781. Jud Schwed

[514] Am Rathaus der Stadt Kissingen schaut oben ein bärtiger Mannskopf, der sich in den Haaren rauft, als ein Wahrzeichen herab. Das nennen die Einwohner den Jud Schwed und erzählen davon folgende Sage. Im Dreißigjährigen Kriege, als die Schweden diese ganze Gegend heimsuchten, wurde auch Kissingen von ihnen belagert und hart bedroht. Doch widerstand die Stadt tapfer und wäre vielleicht nicht erobert worden, wenn nicht ein Jude an ihr zum Verräter geworden wäre. Dieser wußte einen unbewachten Ausgang durch die Mauer und führte die Feinde dort ein. Doch empfing er seinen Lohn, und zum Andenken wurde sein Bild, wie er sich aus Reue die Haare ausrauft, am Rathaus befestigt. Hernach kam es auch, daß man ihn und die Seinen nicht mehr bei ihrem wahren Namen, welcher der Vergessenheit überliefert wurde, rief, sondern Schwed, zur ewigen Erinnerung; und diese blieb auch, denn noch heute leben Nachkommen von ihm zu Kissingen, welche den Namen Schwed führen.

Eine andere Sage von diesem Juden kündet aber gerade das Gegenteil des Vorstehenden. Nach dieser goß der Jude für die Bürger Kugeln, welche die geheimnisvolle Eigenschaft hatten, unfehlbar zu treffen, und den Schweden so tödlich wurden, daß sie abziehen mußten. Darauf wurde des Juden Kopf als Erinnerungszeichen dankbar am Rathaus angebracht.

Ein anderer steinerner Kopf am Kissinger Rathaus ist, wie die Sage will, dem Andenken eines Bürgers namens Peter Heil gewidmet. Es war eben auch im Schwedenkriege, und zwar im Jahr 1643. Die Schweden hatten bereits die ganze Gegend von ihrem Lager über Bischofsheim aus verheert und geplündert und drohten nun unter ihrem Führer Reichwald auch der Stadt Kissingen mit einem heimlichen Überfall, der an einem Jahrmarkt geschehen sollte. Der Feind barg sich in dem nordöstlichen Bergwalde, wo ihn jedoch einige Krämer entdeckten und den Kissingern die nahe Gefahr anzeigten. So kam es, daß der Feind tapfern Widerstand fand, der nun aber die Stadt mehrere Tage lang beschoß und sie durch einen Sturm zu gewinnen suchte. Kaum vermochten die kampfesmüden Einwohner dem immer[514] heftiger andringenden Feind Widerstand zu leisten, als Peter Heil den Rat gab, die zahlreichen Bienenkörbe, welche die Bürger besaßen, von der Mauer hinab auf den anstürmenden Feind zu stürzen. Dies geschah, und die Bienen, so gestört, fielen voll Grimm auf die Feinde und stachen manchen derselben bis zum Tode. Da ward schleuniger Rückzug anbefohlen, und die Stadt war gerettet, dem Peter Heil aber, dessen Rat ihr zum Heil geworden, setzten sie das verewigende Denkmal.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 514-515.
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