814. Eule legt Dukaten

[532] Zu Prichsenstadt in Franken hat vordessen ein Mann gewohnt, der hatte in seiner Oberstube, wie allgemein die Rede ging, eine Ohreule, die legte ihm[532] alle Tage, wie ein Huhn sein Ei legt, einen Dukaten. Das war hübsch von der Eule, aber umsonst geschieht dergleichen Wunder nicht, und mochte wohl ein Aber mit selbem Nachtvogel haben. Der Mann hatte nun Geldes vollauf, denn die fleißige Eule hatte jahrelang gelegt und starb nicht, und der Mann hatte endlich Gründe, zu wünschen, die Eule los zu sein, denn es war die Zeit bald um. Und da dachte er, du willst die Eule wegschenken, und als einstmals eine Frau zu ihm kam, die einen Tragkorb auf dem Rücken hatte, so setzte er ihr die Eule heimlich in den Korb. Aber siehe da, plötzlich sank die Frau in die Kniee und schrie: Ach was Schweres liegt denn in meinem Korbe? und riß den Korb von der Schulter und schaute in die tückischen feurigen Augen des Ungetüms und schrie: Jesus, Maria, Joseph! – Da fauchte die Eule, gleich einer Katze, und flog aus dem Korbe, und die Frau raffte ihren Korb an sich und entwich. Nachher hat der Mann die Eule behalten müssen und konnte sie nimmermehr loswerden, nicht verschenken, nicht verkaufen, nicht töten, und als eines Morgens die Türe seines Schlafgemachs lange verschlossen blieb und er nicht zum Vorschein kam, so ward die Türe erbrochen, und da lag er tot auf seinem Lager, und die Eule saß auf seinem blutigen Kopfe und hatte ihm die Augen ausgehackt, als welches gar schrecklich anzusehen war, und war so groß wie der größte Steinadler und flog durch die geöffnete Türe alsbald fauchend von dannen. Für solche Eule lobt sich doch wohl mancher die Dukatenmännchen, die sie zu Nürnberg und Sonneberg machen, die fügen keinem ein Leid zu und bringen auch die Seele in keine Gefahr, dafür legen sie auch keine Dukaten, sondern tun nur so.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 532-533.
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