869. Wilden Heeres Spuk

[566] Einst ritt ein vornehmer Reiter zur Nachtzeit zwischen Ober-Hochstadt und Burgsalach längs der Teufelsmauer seine Straße hin, da begann sein Pferd zu schnauben und zu schlagen und närrische Kapriolen zu machen, denn es sahe etwas, was der Reiter nicht sah, weil Tiere, vornehmlich Pferde, Esel und Hunde, Geister und Gespenster sehen, als welches schon die Eselin Bileams bewahrheitete. Es mochte wohl die Höllenpferde wittern und erblicken, auf denen das wilde Gejaig dahinfuhr.

Im dicken Walde Harleslohe in der Gegend von Theilenhofen und Rittern ist aller Spuk und Greuel des wilden Heeres bald nah, bald fern zur Nachtzeit vernommen worden, ja einem Bauer begegnete das Heer am hellen Tage in Gestalt von Schatten, die von fern auf ihn zukamen, Jäger mit Saufedern, zu Roß, Treibknechte, Hundejungen mit ganzen Koppeln von Hunden, aber alles in tiefer Stille, so sei es an ihm vorüber zu Walde gezogen. Es herrscht auch dort der Glaube, wie in Thüringen, daß Frau Holle die Zugführerin des Heeres sei, dieselbe, die den Mägden, die zur Weihnachtzeit ihren Rocken nicht abgesponnen haben, den Flachs verwirrt und einen stinkenden Possen hineintut.

Zu Heidenheim saß der Zolleinnehmer, guckte nachts zum Fenster heraus und sah das wilde Heer von Sammenheim hergebraust kommen; er hatte viel Herz im Leibe und schrie, als es nahe war: Alles z'samm nei in Moarkt! Alles z'samm nur nei! – Ratsch! hatte er einen Schlag auf den Kopf, und als er diesen rasch zurückziehen wollte, pump, da krachte der obere Fensterrahmen, und der Kopf tat weh und ging nicht hinein, dieweil ihm der wilde Jäger ein Hirschgeweih aufgesetzt hatte. Ähnlich ging es auch einem Turmwächter zu Eichstätt, im Ostentor, wo gewöhnlich das Heer durchzieht – das Loch ist noch zu sehen –, der war auch fürwitzig und schaute nach dem Geisterspuk, und da schwoll ihm der Kopf so dick, daß er nicht wieder zurückgezogen werden konnte, und wurde sein Maul zwei Spannen breit, und als es Tag wurde, guckte er noch, und die Gassenjungen deuteten hinauf und schrieen: Hei! der Passauer Tölpel! der Passauer Tölpel! –

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 566.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsches Sagenbuch
Gesammelte Werke. Märchenbücher / Deutsches Sagenbuch: Zwei Theile in zwei Bänden
Deutsches Sagenbuch (German Edition)