Vorrede

Schon vor mehreren Jahren habe ich mich mit der Bearbeitung des vorliegenden Gedichtes beschäftigt; verschiedene Umstände, vor allem aber meine lange Abwesenheit aus Deutschland, haben mich bis jetzt verhindert, es dem Drucke zu übergeben, welches ich nun mit einiger Schüchternheit thue, weil ich sehr wohl weiß, welche schwierige Aufgabe ich mir selber gemacht habe, und also mit Recht zweifle, ob es mir gelungen ist, sie zur Befriedigung der Kenner der Poesie zu lösen.[3]

Bei dem jetzt allgemein verbreiteten Studium der altdeutschen Poesie darf ich mit Recht voraussetzen, daß das aus dem Mittelalter auf uns gekommene Gedicht: Flore und Blanscheflur, gekannt ist, und also die Vergleichung mit meiner Arbeit leicht wird, woraus sich dann von selbst ergiebt, ob mein Unternehmen Rechtfertigung verdient, oder ob ich so unglücklich gewesen bin, meinen Zweck zu verfehlen, es sey mir nur erlaubt noch einige Gründe anzuführen, weshalb diese Behandlung des Stoffes von mir gewählt wurde.

Unter den uns bekannten Gedichten des Mittelalters zog mich besonders der reizende Gedanke von Flore und Blanscheflur an, die Natur der Blumen in der Liebe zweier Kinder darzustellen, denn wie die Bilder der Rose für Flore und der Lilie für Blanscheflur immer wiederkehren, so dient der zarte Glanz und die liebliche Farbe dieser Blumen immer dazu, in allen Wendungen der Rede die Schönheit der Kinder zu verherrlichen, wie der anmuthige Duft der Blüten, gleichsam den Hauch bezeichnet, der[4] in den süßesten Reimen ihre Liebe spricht. Ein anderer Grund der mich bestimmte, liegt in der großen Unvollkommenheit des altdeutschen Gedichts, denn es schien mir eben deshalb erlaubt, nur die Grund-Idee des Alten zu behalten, und im Uebrigen frei bei der Ausschmückung des Ganzen meiner Neigung zu folgen.

Es hat sich mir oft der Gedanke aufgedrängt, daß, wie wir das altdeutsche Gedicht besitzen, es vielleicht mehr als ein Versuch sich in der Poesie zu üben betrachtet werden muß, als daß es die Forderungen befriedigte die man zu machen berechtigt ist, wenn es als das Werk eines Meisters betrachtet werden sollte; denn, einzelne schöne Stellen abgerechnet, bewegt sich das Ganze ohne Kunst, und die kurzen Verse mit aufeinander folgenden Reimen sind ohne Wahl und Geschmack nach einander hingestellt, so daß sie nur mühsam dienen, den trägen Gang der Geschichte zu erzählen, die, wie ich glaube, in dem Gedicht selbst die Bedeutung verloren hat, indem nur fragmentarisch, wie es mir scheint, die einzelnen Schönheiten einer damals berühmten und bekannten[5] Liebesgeschichte benutzt sind. Ich habe gesucht mehr Einheit und Zusammenhang in das Gedicht zu bringen, und zugleich mit mehr Mannigfaltigkeit es auszuschmücken; deshalb habe ich die Keuschheits-Probe gegen den Schluß nicht fallen lassen, obgleich der strenge Ameral seinen Sinn ändert; denn mir scheint, um ihn vollkommen zu überwinden, ist sie unerläßlich nöthig, abgerechnet, daß wenn diese Probe der Keuschheit ganz vergessen wird, ein unnützer Aufwand von Fantasie gemacht ist, um früher diesen höchsten Zauber zu beschreiben. Auch glaube ich, muß der Ameral nicht bloß die Lehre bekommen, daß der höchste Scharfsinn, den er anwendet seine Frauen zu verschließen, dennoch ohnmächtig gegen die Liebe ist, sondern er muß sich auch überzeugen, daß bei der Reinigkeit des Herzens die Unschuld der Sitten auch bei der traulichsten Nähe nicht verletzt wird. Dies scheint mir der Sinn des alten Gedichts zu seyn und deshalb sind Blumen als das Unschuldigste in der Natur zum Bilde gewählt, und deshalb kommt der Poet immer wieder darauf zurück, wenn sie auch in höchster Zärtlichkeit schwelgen, daß ihre Liebe derjenigen der Engel gleicht.[6] Bei dieser höchsten Blumen-Unschuld ist es natürlich nicht zu vermeiden, daß der endliche Schluß, die eheliche Verbindung, aus dem Ton, aus dem Character des Ganzen fällt, und die Frömmigkeit, die über den Rest ihres Lebens gebreitet wird, kann den Mißton nicht aufheben. Diesen Fehler hat mein Gedicht mit dem alten gemein, und ich gestehe, daß meine Fantasie mir kein Mittel bot, ihn zu vermeiden, denn die Art, wie ihn Boccaccio in seiner Bearbeitung desselben Gegenstandes vermieden hat, heißt das ganze Gedicht aufheben. Dieser Meister in der Darstellung und Redekunst hat seine ihm eigenthümliche Schönheit hinein gebracht. Der Satan selbst bestimmt den König Felix die Pilger zu erschlagen, und schöne Reden werden von ihm wie von den Pilgern gehalten; Flore selbst tritt schon in Kinderjahren als Held auf, indem er Riesen erschlägt und dergleichen Heldenthaten ausübt. Wie er später in den Thurm eindringt zu seiner ihm entrissenen Blanscheflur, so ist ihr Beysammenseyn nicht, wie im alten Gedicht gesagt wird, »in lieber Unschuld die den Engeln glich;« und als der strenge Ameral sein Daseyn[7] entdeckt, läßt er ihn mit seiner jungen Freundinn entkleidet zum Fenster hinaus hängen, welches auf eine unangenehme Weise an Mars und Venus erinnert, wie sie sich im goldnen Netze befanden, so daß am Ende in diesem Werke des großen italienischen Meisters für mich nichts störend ist, als daß die Kinder mit Rosen und Lilien, wie im alten Gedicht verglichen werden. Doch auch Boccaccio's Werk ist in Deutschland bekannt, und man kann, wenn mein Versuch bedeutend genug erscheint, ihn auch mit diesem vergleichen. Ich habe gesucht meinem Gedichte den innern Zusammenhang zu geben, der dem alten mangelt, indessen gebe ich gerne zu, daß mein Versuch nicht vollkommen gelungen ist; das alte Gedicht ist zu fragmentarisch, und ich wollte mir nicht zu viele Willkührlichkeiten erlauben. Auch habe ich, um die ermüdende Einförmigkeit zu vermeiden, die einem Gedichte so leicht beigesellt ist, das sich um wenige Gedanken dreht, mir alle die Ausschmückungen erlaubt, welche mein Vorbild nur schwach andeutet. So habe ich die Annäherung, Erklärung und Vereinigung zweier liebenden Gemüther leise durch die Einleitungen[8] der zwölf Gesänge geschlungen, aus denen mein Gedicht besteht. Eben so habe ich in diesen Einleitungen, die, in der Zeit worin die Erzählung des Gedichts angenommen wird, bekanntesten Liebesgeschichten angebracht, wie in dem Gedicht selbst, die in der Mythologie berühmtesten; beides ist schwach angedeutet in dem alten Gedicht, indem in der Einleitung Tristan und Isalde erwähnt wird, so wie im Laufe der Geschichte Dido und Aeneas.

Statt der höchst ermüdenden kurzen Verse, mit aufeinander folgenden Reimen, welche nicht die mindeste Kunst erfodern, habe ich die italienische Form der Ottave rime gewählt, die sich durch den Character künstlerischer Bildung, den sie an sich tragen, vorzüglich für das erzählende Gedicht eignen, und mir ganz besonders zweckmäßig für Flore und Blanscheflur schienen, weil durch die dreimal abwechselnden Reime sich in der Form schon eine gewisse Zärtlichkeit ausdrückt, die in den beiden Schlußreimen gleichsam eine sanfte Befriedigung findet. Ich glaube nicht, daß man mich um dieser Behauptung willen des[9] Mysticismus beschuldigen wird, ob man gleich in der neuesten Zeit diesen Vorwurf oft sonderbar mißbraucht hat, denn ich glaube, daß die Alten die Poesie deswegen die Sprache der Götter nannten, und daß Sänger und Dichter gleichbedeutend sind, weil die Poesie die Musik welche in jeder Sprache sich befindet, vorherrschend macht, und wie die Musik zärtlich, andächtig, flehend, zürnend, kriegerisch, triumphirend seyn kann: so, ohne Frage, auch die Poesie, und zwar nicht allein dem Geiste und Worte nach, sondern auch in der Form; und deshalb glaube ich keineswegs, daß es gleichgültig ist, welche Form der Poesie gewählt wird, um diese verschiedenen Empfindungen auszudrücken.

Daß ich diese Form gewählt habe, werden mich vielleicht scharfe Kritiker, trotz meiner Ansicht bedauren machen, denn sehr gewiß werde ich meine Aufgabe nicht überall so glücklich gelöst haben, daß dem Tadel kein Raum bliebe; doch läßt sich auch hoffen, daß billiggesinnte Kunstrichter die große Schwierigkeit berücksichtigen werden, womit besonders in dieser Form der Poesie gekämpft[10] werden muß. Trift mich aber auch die schärfste Kritik, so muß ich mich damit trösten, daß selbst Torquato Tasso in seinem befreiten Jerusalem nicht von allem Tadel frei bleibt, was die Form anbetrifft, denn seine Stanzen zerfallen häufig in zwei Theile, und man kann sich zuweilen eine etwas ermüdende Eintönigkeit der Verse nicht abläugnen. Ist dies einem der grösten Meister der italienischen Poesie begegnet, in einer Sprache, worin man leichter den Wohllaut findet als vermeidet, so hoffe ich, man wird auch die Mängel in meinem Werk nachsichtig entschuldigen, denn mit dem größten, bis jetzt in dieser Form noch unübertroffenen Meister, Ariosto, wetteifern zu wollen, so weit hat mich mein Muth niemals geführt.

Es bleibt mir nun noch übrig zu bemerken, daß ich die altdeutsche Form der Sprache nur in sofern beibehalten habe, als sie vollkommen verständlich bleibt, und dazu beiträgt, den Wohllaut zu vermehren. So habe ich zuweilen die Endigungen der Alten: Freundinne statt Freundin, und Königinne für Königin behalten,[11] weil es oft den Vers weicher macht, und oft der härtere männliche Reim dadurch vermieden wird. Da Flore und Blanscheflur ursprünglich aus dem Französischen her stammt, so, wie wohl alle Gedichte des Mittelalters, die sich auf Arthur und die Tafelrunde, oder auf Karl den Großen und seinen Hof beziehen; so finden sich im alten Gedicht viele Spuren französischer höflicher Redensarten, welche ich nicht verschmäht habe beizubehalten, als zum Beispiel, der häufig vorkommende Gebrauch der Redensart, mit Gnade, welches die wörtliche Uebersetzung des noch jetzt in der französischen Sprache üblichen, de grace, ist; eben so die Anrede: Königin, welches im verliebten Gespräch bloß Königin des Herzens bedeutet und keine andre Würde bezeichnen soll.

In vielen Gedichten des Mittelalters kommt der Ameral als eine Person von hoher Würde vor, welcher viele andere Könige untergeordnet sind, und auch in Flore und Blanscheflur nimmt er eine bedeutende Stelle ein. Ich habe einige Male in neuern Poesien diese Benennung Ameral, in Admiral verwandelt gefunden, welches[12] ich für unrichtig halte, obgleich die Aehnlichkeit sehr nahe liegt; denn ein Admiral, wie reich, mächtig und angesehen er auch seyn mag, ist immer seinem Monarchen untergeordnet, und ihm können nicht viele Könige unterworfen seyn.

In der Beschreibung der Reise und Wallfahrt des Grafen Johann von Solms im Jahr 1483 nach dem gelobten Lande, werden drei Personen als die Regenten von Alt-Cairo, oder wie es dort geschrieben ist Alkayr, genannt, wovon der Erste der Soldan, der Nächste in der Ordnung der Amiraldus genannt wird, der Dritte Dyodarus. Von diesen dreien Regenten wird ausdrücklich gesagt, daß sie über die ganze Heidenschaft herrschen, und die verschiedenen Gebieter einsetzen. Noch in einer andern Reisebeschreibung aus derselben Zeit, kommt die Würde des Amerals vor, und wird ausdrücklich von ihm gesagt, daß ihm viele Könige unterthan sind; ich habe aber die mir hierüber aufgeschriebene Notiz verloren, und kann mich nicht auf den Titel des Buchs besinnen.[13]

Nach diesen wenigen Bemerkungen, die es mir nothwendig schien meinem Werke voran zu schicken, muß ich es nun erwarten, welchen Eindruck die zärtliche Liebe dieser beiden Blumen-Kinder auf die Leser machen wird.


Sophie von Knorring.
[14]

Quelle:
Sophie Bernhardi: Flore und Blanscheflur. Berlin 1822, S. III3-XV15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Flore und Blanscheflur
Flore und Blanscheflur: Ein episches Gedicht in zwölf Gesängen. Herausgegeben und mit einer Vorrede begleitet von August Wilhelm Schlegel

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon