IX

[182] Es war ein schöner Sonntagnachmittag im Herbste des Jahres achtzehnhundert und sieben, als der Doktor Lindbrecht nach einem mäßigen Spaziergange seinen Freund, den Pfarrer, besuchte und sich an dessen Theetisch in der Ecke eines Sophas behaglich lehnte, um aus der von St. Julien erhaltenen Pfeife den Rauch in gelinden Wolken im Zimmer zu verbreiten. Das auffallend große, goldne Mundstück derselben,[182] so wie die überladene Verzierung mit Ketten, Quasten und Schnüren in allen Farben, sagte seinem Geschmacke zu. Lächelnd betrachtete er oft den funkelnden Brillanten an seinem Finger, nahm zuweilen aus der auf dem Tisch stehenden goldnen Dose Tabak und zog die schon zu weit hervorstehende feine Wäsche noch ein wenig mehr heraus, indem er mit gutmüthigem Hochmuth seinem Freunde erzählte, der Graf habe nach der Genesung der Gräfin seinen Gehalt ansehnlich vermehrt und St. Julien außer dem Geschenke zum Andenken ihn noch für die Heilung seiner Wunden großmüthig belohnt, so daß ich mich jetzt, schloß er, für einen reichen Mann halten und vielleicht bald an eine vernünftige Heirath denken kann.

Der Pfarrer ging eben im Kopfe alle seine Bekannten durch, die er vielleicht zu dieser Verbindung empfehlen könnte, als der Schulze des Dorfes mit Geräusch eintrat, den Sonnenschein der Heiterkeit in allen Mienen. Der kräftige Landmann übersah in der Freude das strenge Gesicht seines Seelsorgers, womit dieser den lauten, unehrerbietigen Eintritt tadeln wollte, und rief: Gott segne Sie, Herr Prediger! Meine Mutter hatte Recht, als sie sagte: Peter, geh Du zum Herrn Pfarrer, der schafft Deine Base heraus, mag sie stecken, wo sie will; dieß Wort der guten alten Frau ist wahr geworden, Sie haben die Base herbeigeschafft.[183]

In der That, fragte der Geistliche, wird sie kommen?

Sie ist schon hier, erwiederte der Schulze freundlich, und als eine vornehme Madame ist sie angekommen, sie wird auch gleich hier bei Ihnen sein, sie wollte selbst mit Ihnen über die Erbschaft sprechen. Sehen Sie, da kommt sie mit meiner Mutter und ihrer Tochter. Der Pfarrer trat zum Fenster und auch seine Gattin kam neugierig herbei, so wie alle Kinder; nur der Arzt blieb in philosophischer Ruhe in seiner bequemen Lage, denn ihn regte die Neugierde wenig an, die Verwandte eines Plebejers, eines Bauern zu sehen.

Die Frau des Predigers lächelte ein wenig über den überladenen und für ihr Alter nicht anständigen Putz der Ankommenden, der aber doch von großer Wohlhabenheit zeigte. Eine ziemlich wohlbeleibte Frau näherte sich mit etwas zu weit ausgreifenden Schritten dem Pfarrhause; ihr Kleid von hellfarbiger Seide hatte sie etwas hoch aufgehoben, um nicht im Gehen gehindert zu werden; die blaufarbigen Bänder der Haube flatterten im Winde und mischten sich mit rothen Rosen, die den Kopfputz verzierten. Die Mutter des Schulzen war in ihrer sonntäglichen Kleidung, und Beiden folgte ein junges, weißgekleidetes Mädchen, deren großer Strohhut ihr Gesicht nicht bemerken, aber deren sehr schlanke Form auf große Jugend schließen ließ. Der Pfarrer wußte nicht recht, ob er den Ankommenden wie seines[184] Gleichen entgegen gehen oder den Eintritt der Verwandten eines Bauern ruhig erwarten sollte. Er entschied sich für das Letztere, doch that es ihm alsbald leid, als er mehrere Schnüre echter Perlen um den sonnverbrannten Hals der Eintretenden bemerkte.

Die drei Frauen hatten das Wohnzimmer des Geistlichen betreten, und die Fremde sagte mit etwas durchdringender Stimme: Nehmen Sie es nicht übel, Herr Prediger, daß wir Ihnen beschwerlich fallen. Der Arzt hatte sich um die Ankommenden nicht gekümmert und war, in Gedanken versunken, sitzen geblieben. Der Ton der Stimme aber, mit welcher die wenigen Worte gesprochen wurden, zuckte wie ein elektrischer Schlag durch alle seine Nerven, und er sprang auf und stand nahe vor der Angekommenen, ohne daß er es wußte. Diese betrachtete ihn einen Augenblick, schlug die Hände zusammen und rief: Ist es möglich, kann es sein, muß ich den Hasenfuß hier antreffen? Der Arzt sprang beleidigt zurück. Na, sei Er nicht böse, rief die Fremde, indem sie ihm die Hände entgegenstreckte und sich nicht bemühte, die Thränen zurück zu halten, die reichlich über ihre vollen, braunrothen Wangen flossen; Er wird sich ja nun wohl die Hörner abgelaufen und von einer Tante, die es gut mit ihm meint, ein Wort vertragen gelernt haben?[185]

Der Arzt wußte nicht recht, wie ihm geschah. Frau Base, stammelte er und wollte die dargebotene Hand mit Höflichkeit küssen; er wurde aber wohlmeinend an eine volle Brust gezogen, mit kräftigen Armen, denen sich nicht widerstehen ließ, umschlungen und drei bis vier Mal schallend geküßt, indem er die noch immer fließenden Thränen warm an seiner Wange fühlte. Diese unverkennbaren Zeichen des Wohlwollens brachten auch ein Gefühl der Rührung bei ihm hervor. Frau Base, sagte er, Sie haben Ihren Sinn gegen mich christlich geändert.

Er war ja ein Narr, antwortete seine Verwandte, indem sie ihre Thränen trocknete; er bildete sich in seinem überstudirten Kopfe ja nur dummes Zeug von mir ein. Ich habe es immer gut mit Ihm gemeint, so wie mein alter, guter seliger Mann.

So ist mein Oheim gestorben? fragte der Arzt mit Bestürzung. Ja wohl, erwiederte die Wittwe, und bis zum letzten Augenblicke seines Lebens hat er nicht aufgehört an Ihn zu denken, für ihn zu sorgen, und ich kann es Ihm sagen, wie Er von Jena weggegangen war und Niemand wußte, wo Er geblieben wäre, haben wir oft bitterlich geweint und es bereut, daß wir Ihn so in die Welt hatten hinein laufen lassen, und mein Alter sagte oft: Es ist zu hart, daß wir ihm nicht geschrieben haben; der arme Mensch[186] hat alles Vertrauen zu uns verloren, wir hätten ihm seinen Fehler vergeben sollen; wer weiß, in welchem Elende er umgekommen ist. Solche traurige Gedanken hatten wir über ihn, und nun, Gottlob! finde ich Ihn hier ausgeputzt wie den Großtürken.

Der Pfarrer und seine Familie umstanden die beiden sich erkennenden Verwandten, und es gelang dem Ersten endlich, einige Ordnung in die Gespräche zu bringen.

Die Frau Professorin wurde, so bald sie als solche erkannt war, eingeladen, auf dem Sopha neben ihrem Neffen Platz zu nehmen, wogegen sie sich nicht sträubte. Das junge Mädchen in ihrer Begleitung wurde von ihr als ihre Tochter bezeichnet und gesellte sich zu den Töchtern des Predigers, auf deren Aufforderung sie den großen Strohhut abnahm und ein feines, blasses Gesicht mit großen blauen Augen zeigte, die sie schüchtern beinah nach jeder Bewegung auf die Mutter richtete, die ziemlich streng das Betragen der Tochter zu regeln schien; starke Flechten von hellblonden Haaren vollendeten das Bild des jungen Mädchens, das im Ganzen einen angenehmen Eindruck hervorbrachte. Als diese Gäste Platz genommen hatten, sah sich der Pfarrer verlegen nach dem Schulzen und seiner Mutter um, die er nicht zu seiner Gesellschaft zählen und auch als Verwandte der Fremden nicht beleidigen wollte. Sie waren[187] aber schon bereit, sich zurück zu ziehen; denn wenn sie auch ihre vornehmen Verwandten mit Stolz betrachteten, so wußten sie doch, daß sie sich dem Geistlichen nicht als Gesellschaft aufdrängen konnten. Der Arzt konnte sich noch immer in das, was ihm begegnet war, nicht recht finden, und der Prediger suchte das Gespräch auf die Angelegenheiten und auf die Begebenheiten der Frau Professorin zu leiten. Sie war, wie alle Leute ohne Erziehung, gleich bereit, auf Beides offenherzig und umständlich einzugehen, und erzählte: Wie ich in Gießen vor funfzehn Jahren eintraf und nach meinem Vaterlande zurückkehren wollte, beschädigte ich mich beim Absteigen vom Wagen so stark am Fuße, daß ich nicht weiter konnte und einige Wochen da bleiben mußte, um das Bein zu heilen. Während der Zeit hatte ich einige gute Freunde gefunden, die mir sagten, ein gewisser Professor, der sich vor lauter Gelehrsamkeit um nichts Anders bekümmern könne, suche eine Haushälterin, auf deren Treue er sich verlassen könne, denn er sei ein Mann von Vermögen. Ich sagte zu mir, was willst du zu Hause machen? Das Bauernleben bist du doch nicht mehr gewohnt und suchst dann doch wohl wieder einen Dienst, also besser gleich hier geblieben. So geschah es dann und ich nahm die Stelle bei dem guten alten Manne an; aber, lieber Herr Prediger, was war bei dem für eine Wirthschaft! Jeder bestahl ihn,[188] Jeder betrog ihn, seine Kollegia wurden ihm nicht bezahlt, sein Geld nahmen ihm Heuchler und Betrüger ab, kurz, es ging Alles drunter und drüber. Ich konnte das nicht mit ansehen. Zu seinem Besten zankte ich mich mit ihm alle Tage, aber es half nichts, er konnte sich nicht ändern. Ich stellte ihm hundert Mal vor, daß er auf diesem Wege ein verlorner Mann sei, und rieth ihm, eine Frau zu nehmen, die Gewalt über ihn habe und ihn in Ordnung halten könne, denn ich als seine Haushälterin könne darin nichts thun. Seine Blutsauger lachten mich nur aus, wenn ich sein Geld eintreiben wollte; er sah Alles ein, gab mir Recht, aber konnte sich immer nicht entschließen. Endlich hatten wir uns ein Mal wieder tüchtig gezankt und ich sagte ihm, wenn er keine Frau nehmen wolle, so würde ich auch nicht bei ihm bleiben, denn ich könne die unordentliche Wirthschaft nicht länger mit ansehen. Da sagte der gute Mann, was brauche ich denn in der Ferne zu suchen, was mir so nahe im Wege liegt. Wir können uns ja gleich selber heirathen, meine gute Leonore, wenn es nöthig ist, eine Frau zu nehmen, um Ordnung im Hause zu haben. Ich war anfänglich ganz bestürzt über seine Rede; wie ich es aber gehörig überlegt, fand ich, daß er ganz recht hätte. Ich erkundigte mich, ob er nahe Verwandte habe. Niemanden, sagte er, als einen Schwestersohn, der bald hieher auf die Universität[189] kommen wird, um unter meiner Anleitung Theologie zu studiren, und für den ich wie ein Vater zu sorgen denke. Nun, dachte ich, für den wird es auch besser sein, wenn er zugleich eine Mutter findet, denn ich dachte nicht, Herr Prediger, wie ich mich mit dem alten Herrn Professor zu dessen Bestem verheirathete, daß uns Gott noch Kinder schenken würde. Na, wie gesagt, so gethan, wir waren ein Paar, ehe der Trotzkopf dort ankam. Ich sah es wohl, dem war die Frau Base nicht recht, nicht vornehm genug, aber ich dachte, das wird sich schon geben; findet er nur täglich seinen Tisch gedeckt und gute Klöße in der Suppe, so wird er wohl einsehen, daß sein Oheim vernünftig darin gehandelt hat, für eine Pflegerin im Alter zu sorgen. Aber der Mensch war wie verhext; je mehr ich ihm Alles nach dem Munde einzurichten suchte, um so gröber wurde er und blinzte immer tückischer mit den kleinen Augen. Das bemerkte selbst mein guter Mann, der sonst auf wenig achtete, und ich hatte oft genug zu thun, um ihn zufrieden zu sprechen. Ich sagte ihm oft: Jugend hat keine Tugend, wenn er mehr zu Verstande kommt, wird ihm der dumme Hochmuth vergehen. Aber es wurde täglich schlimmer. Endlich schrieb er gar meinem Manne, daß er umsatteln und auf die Doktorei studiren wolle. Sie wissen, Herr Prediger, jeder Mensch liebt seine Profession, und ich dachte,[190] meinen alten Mann würde der Schlag rühren, wie er den Brief las, denn Der hatte schon das Versprechen erhalten, daß man ihn in eine schöne Pfarre einschieben wolle, wenn er ausstudirt haben würde. Lorchen, sagte der gute Mann zu mir, ich fürchte für meine Gesundheit, wenn ich den Undankbaren spreche; übernimm Du es, ihm sein Unrecht zu zeigen. Ich that das gern für den alten Mann und wollte dem Springinsfeld zeigen, daß er sein Stipendium und Alles verlieren müßte, wenn er nicht geistlich bliebe. Aber der war grob wie ein Kannibale und führte so anzügliche hebräische Redensarten, von denen er behauptete, sie ständen in der Bibel, daß mir endlich, wie er gar dem Apostel Paulus seine Grobheit zuschieben wollte, auch die Galle überlief und ich ihm tüchtig meine Meinung sagte.

Am andern Morgen war der Brausekopf auf und davon, und wir weinten hinterdrein, und ich weinte noch mehr, wie meine Tochter nach wenigen Tagen geboren wurde, denn nun konnte er nicht Gevatter stehen bei dem Kinde, wie ich ich es immer mit seinem Oheim ausgemacht hatte. Mein guter Mann sah, wie mich das Alles kränkte, und schrieb nach Jena an einen guten Freund, den er dort hatte, und der richtete es so ein, daß dem Neffen alle Unterstützung zukam, die er durch uns bekommen konnte, bald als Geschenk für eine glückliche Kur, bald auf andern Wegen, so[191] daß wir wußten, es ginge ihm dort nichts ab. Er blieb lange in Jena, ohne uns weiter zu schreiben, als ein Mal. Mein seliger Mann wartete immer auf Briefe und dachte ihm dann zu vergeben; denn für ihn schickte es sich doch nicht, mit der Vergebung aller Grobheit dem Neffen entgegen zu kommen; wer aber nicht schrieb, das war der übermüthige Patron, und so blieb es viele Jahre, bis man auf ein Mal meinem alten Manne meldete, der Vogel sei ausgeflogen. Er war aus Jena verschwunden und Niemand wußte, wo er geblieben war. Ich weiß nicht, fuhr die gute Frau ernsthaft, den Kopf schüttelnd, fort, ob mein lieber Vetter alle die Thränen verdient hat, die sein guter seliger Oheim um seinet Willen weinte. Vor zwei Jahren, wie der gute Mann sein Ende nahe fühlte, sagte er zu mir: Lorchen, wenn Du meinen Neffen auffinden kannst, so laß ihm doch aus meinem Nachlasse die Bibliothek und die Naturaliensammlung zukommen, wenn Du es glaubst, daß unser Kind es entbehren könne. Ich antwortete ihm, unsere Marie würde, wenn sie die Jahre hätte, wohl ohne die Bücher und all den Kram einen guten Mann finden, und ich wollte es dem Neffen geben. Er fragte mich, ob er darüber etwas aufzeichnen solle; ich antwortete aber, daß es ihm bewußt sei, daß ich keine Heidin wäre, und daß es keiner Schreiberei bedürfe, um seinen Willen zu erfüllen. Darauf[192] ist Sein Oheim gestorben, lieber Vetter, und er kann alles das Zeug nun haben.

Wie, rief der Arzt erstaunt, die ganze Bibliothek, das ganze Naturalienkabinet?

Alles, erwiederte seine Verwandte, die Bücher, die Steine, die ausgestopften Vögel und andern Thiere. Es hat mir Mühe genug gekostet, alles das Vieh zu erhalten, und Gott weiß, ob nicht doch die Motten die Kreaturen gefressen hätten trotz des vielen Pfeffers und Lavendels, der daran gewandt wurde, wenn sich nicht ein Paar von meinen Herren Kollegen der Sache angenommen hätten. Sie waren immer Freunde des Seligen gewesen und hatten auch seine Liebhabereien, und so wurde Alles erhalten.

In der That, sagte der Arzt gerührt, ich erkenne die Großmuth der werthgeschätzten Frau Base, ganz wie ich soll.

Na, was faselt Er nun wieder von Großmuth, lieber Vetter, erwiederte seine Verwandte gutmüthig; der Selige wollte ihm das alles gönnen, also kommt es ihm zu, und es wäre schlecht von mir gewesen, wenn ich es ihm hätte verderben lassen. Er verliert so dadurch, daß uns Gott ein Kind bescheert hat, aber wenn er sich nach etlichen Jahren ordentlich aufführt, so kann er mein Schwiegersohn werden mit der Zeit, und dann bekommt er mehr, als ohne mich der alte Mann, sein Oheim, nachgelassen haben würde, nicht[193] einmal das zu rechnen, setzte sie mit einer stolzen Bewegung des Kopfes hinzu, was ich hier noch erbe.

Frau Base, Ihre Güte – – stammelte der Arzt

Na, na, das ist nur so in's Blaue gesprochen, unterbrach ihn diese. Meine Marie hat noch lange Zeit, das braucht Ihn nicht zu binden und mich auch nicht.

Die schlanke Marie, ein Kind von dreizehn Jahren, betrachtete neugierig den Arzt, den ihre Mutter so ohne Umstände als den künftigen Bräutigam bezeichnete, indeß dieser, verlegen erröthend, an seinem Busenstreif zupfte. Es flogen ihm alle Vortheile dieser Verbindung schnell durch den Kopf, aber auch die ihm höchst anstößige Verwandtschaft mit Bauern, die daraus entspringen müsse. Er richtete die halb zugedrückten Augen scharf auf das junge Mädchen, deren feine Gestalt nichts Bäuerisches hatte, aus deren blassem Gesicht ihn die große Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Oheim rührend ansprach. Er beschloß also zu überlegen, zu prüfen und dann wie ein Mann sein Schicksal zu bestimmen. Daß er selbst seiner vermuthlichen Braut mißfallen könne, fiel ihm gar nicht einmal ein.

Die Base hatte durch den Gedanken an eine mögliche nähere Verbindung mit dem Vetter eine noch lebhaftere Theilnahme für diesen gewonnen, und fragte ohne Umstände nach allen seinen Verhältnissen, worauf sie lauter befriedigende[194] Antworten erhielt. Der Prediger mischte sich in dieß Gespräch und hoffte durch die nun anwesende ehemalige Dienerin der Gräfin Vieles über deren frühere Verhältnisse zu erfahren. Er sagte also: Da Sie, meine werthe Frau Professorin, in Ihrer Jugend die Baronin Schlebach und ihre Tochter auf Reisen begleitet haben, so werden Sie sich ja freuen, die Letztere hier wieder zu begrüßen. Was! rief die Angeredete, indem sie aus großer Ueberraschung von ihrem Sitze aufsprang, ist die Frau von Blainville hier? Frau von Blainville, wiederholte der Prediger verwundert, ich meine die Gräfin Hohenthal, die Gemahlin des hiesigen Gutsherrn.

So lebt sie also und hat sich wieder verheirathet? fragte die Wittwe des Professors. Nun, setzte sie mit Rührung hinzu, ich muß die Gnade Gottes preisen, daß er mir auch diesen Wunsch gewähren will, sie vor meinem Ende wieder zu sehen; ich habe mir vergebliche Mühe genug gegeben, sie wieder aufzufinden.

Also war die Gräfin schon ein Mal verehelicht, sagte der Prediger, der sich von seinem Erstaunen nicht erholen konnte.

Haben Sie das nicht gewußt? fragte die Fremde mit einem scharfen Seitenblicke. Nein, erwiederte der Geistliche, es ist mir überhaupt Manches auffallend gewesen; die Familie scheint Vieles zu verschweigen, und selbst die vertraute[195] Dienerschaft theilt das geheimnißvolle Wesen, denn der Haushofmeister Dübois ist eben so zurückhaltend wie seine Herrschaft. So ist der gute alte Dübois auch hier, rief die Fremde in freudiger Ueberraschung. Sie kennen ihn also? fragte der Prediger auf's Neue. Wie sollte ich nicht, rief mit Thränen in den Augen die Frau Professorin, indem sie vor Verwunderung die Hände zusammen schlug. Du große Güte! morgen am Tage gehe ich auf's Schloß, sie alle zu besuchen; Du mein Heiland! das hätte ich nicht gehofft, auch den guten Alten wieder zu finden nach so vielem Unglück, er war ja schon damals alt.

Sie werden uns ja vieles Interessante mittheilen können, Frau Professorin, sagte der Geistliche sehr freundlich. Sie äußerten sich verwundert darüber, die Gräfin lebend zu wissen, Sie drückten sich so aus, als ob sie Ihnen verloren gegangen wäre; das klingt ja Alles recht sonderbar und könnte wohl die Neugierde erregen. Die Befragte richtete abermals einen scharfen Blick auf den Geistlichen und erwiederte mit der Frage: Hat Ihnen denn die Gräfin das nicht alles selbst erzählt? Keine Sylbe, erwiederte der Pfarrer, und auch hier unserm Freunde, der doch der Arzt des Hauses ist, sind alle Verhältnisse desselben fremd. So, erwiederte die Frau Professorin trocken, wenn das ist, so ist es ein. Zeichen, daß die Frau Gräfin darüber nichts sprechen[196] will; denn Sie, mein lieber Herr Prediger, haben eine so dreiste Art zu fragen, daß man es sich schon recht fest vornehmen muß, wenn man ein Geheimniß bei sich behalten und Ihnen verbergen will. Ich will nun gerade nicht damit sagen, daß sich das für einen protestantischen Geistlichen schickt. Wenn Sie katholisch wären, so wäre es was Anders, denn die haben ihren Götzendienst und ihre Ohrenbeichte, aber wir guten Christen brauchen Gottlob unsern Priestern nicht Alles zu sagen.

Verlegen und empfindlich erwiederte der Pfarrer: Nach Ihrer Antwort muß ich glauben, daß Sie mir eine recht böse Absicht zutrauen, wenn ich aus Theilnahme mich nach den Verhältnissen der Gräfin erkundige.

Nehmen Sie es mir nicht übel, erwiederte die Base des Schulzen, ich bin mein Lebelang treu gewesen, und was die Gräfin für gut gefunden hat Ihnen zu verschweigen, werden Sie von mir auch nicht erfahren.

Der Geistliche war auf's Aeußerste verletzt, daß diese Frau mit bäuerischer Gradheit ihm seinen Fehler so treuherzig vorrückte; zugleich mußte er sich tadeln, daß er sie für zu einfältig gehalten, da er vermuthlich alles, was er wissen wollte, hätte erfahren können, wenn er nicht geglaubt hätte, hier ohne alle Umstände geradezu gehen zu dürfen. Er schwieg also verdrießlich. Der Arzt hatte auf diese Unterredung[197] seines Freundes mit seiner Base wenig geachtet. Sein eigenes Schicksal beschäftigte ausschließend seine Gedanken. Der Besitz einer bedeutenden Bibliothek, eines ansehnlichen Naturalienkabinets beglückte sein Herz. Er dachte daran, wie er dieß alles wolle hieher kommen lassen, und dabei fiel ihm die Nothwendigkeit ein, ein eigenes Haus zu haben, wenn er seine Schätze recht genießen wollte. An diesen Gedanken knüpfte sich der andere, daß alsdann eine Frau im Hause nothwendig sein würde, und er blinzelte so oft nach der schlanken Marie hinüber, daß diese trotz ihrer großen Jugend erröthete. Auf solche Weise war die Unterhaltung den Frauen überlassen, und die Frau des Predigers vertiefte sich mit der Base des Arztes bald in ein Gespräch über häusliche Einrichtungen, welches immer wärmer und lebhafter wurde, je mehr beide Frauen ihre gegenseitigen Einsichten erkannten, und man wechselte laut und lebhaft mit Fragen und Rathschlägen ab, worauf die beiden anwesenden Männer nicht zu achten schienen, sondern gedankenvoll und stillschweigend Tabak rauchten, indeß die jungen Mädchen in dieser langweiligen Umgebung nicht recht wußten, was sie mit sich anfangen sollten.

Wie ein Sonnenstrahl durch den Nebel dämmert, so wurde die drückende Langeweile, die sich auf die Gesellschaft zu lagern begann, ein wenig durch einen rasch vorfahrenden[198] Wagen zerstreut, dessen zierliche, der neusten Mode entsprechende Form sich im hellen Mondenschein bemerken ließ. Der Prediger eilte erstaunt den neuen Gästen entgegen, denen ein gut gekleideter Diener den Schlag des Wagens öffnete, worauf ein junger, sehr zierlich gekleideter Mann heraussprang, dem ein alter etwas mühsam folgte. Der Herr sei gelobt, der uns so weit geführt hat, sagte dieser mit heuchlerischer Stimme, und der Prediger erkannte den alten Lorenz. Er war zweifelhaft, wie er ihn aufnehmen sollte, als dieser mit großer Unbefangenheit auf ihn zutrat und ihm die Hand mit Vertraulichkeit bot, die der Prediger, überrascht, nicht ausschlug. Wir fuhren so nahe bei Ihnen vorbei, lieber Herr Prediger, begann Lorenz, daß ich es nicht unterlassen konnte, Ihnen meinen Besuch zu machen, um so weniger, da auch mein Sohn sehr wünschte, Ihnen nach so langer Zeit ein Mal wieder seine Achtung zu beweisen. Die Neugier, diesen Sohn zu sehen, war in dem Augenblick das überwiegende Gefühl des Predigers, und er nöthigte die Angekommenen höflich, einzutreten. Der junge Mann näherte sich mit leichten Schritten und sicheren Gebehrden den Frauen, um sie zu begrüßen, und nach einigen höflichen Worten, mit denen er seinen späten Besuch bei der Frau des Predigers entschuldigte, musterte er mit dreistem Blicke die Gruppe der jungen Mädchen, von welchen keine seinen besonderen Beifall zu erhalten[199] schien. Er fuhr sich hierauf mit den weißen Fingern durch die schwarzen Locken, ordnete vor dem Spiegel ohne Umstände seine Halsbinde und gesellte sich zu den Männern.

Der Prediger konnte sein Erstaunen weder beherrschen noch verbergen, indem er seine neuen Gäste betrachtete. Jede Spur von Armuth war verschwunden; die feinsten Kleider trug heute der alte Lorenz statt des abgetragenen Ueberrockes, dessen er sich noch vor Kurzem bediente. Sie waren seinem Alter angemessen, aber doch nach der Mode; den kahlen Scheitel deckte eine künstliche Perücke, und statt des im Walde geschnittenen Stockes diente ihm jetzt ein mit einem goldenen Knopfe versehenes Rohr als Stütze.

Der Arzt war durch das Geräusch der Eintretenden ebenfalls aufgeregt worden, und indem er die neu Angekommenen begrüßte, betrachtete er mit scharfen, stechenden Blicken den jungen Mann, der seine großen schwarzen Augen dafür höchst ruhig auf ihn richtete.

Irre ich nicht, redete ihn der Arzt mit vor Zorn flammenden Wangen an, so habe ich schon ein Mal die Ehre gehabt, Ihnen zu begegnen. Ich wüßte nicht, antwortete der junge Lorenz; ich bin jetzt erst kurze Zeit wieder hier im Lande. Indem er diese Antwort höchst gleichgültig gab, nahm er aus einer goldenen Dose ruhig Tabak.[200]

Der Arzt ergriff seine eigene, viel schönere goldene Dose, und indem er heftig auf den Deckel schlug, rief er mit funkelnden, halb zugekniffenen Augen: Ich dächte doch, Sie müßten sich erinnern, was in Krumbach vorfiel, als ich Sie dort in der Schenke traf.

Ich halte mich nicht anders in Schenken auf, sagte der Andere verächtlich, als wenn auf Reisen meine Pferde Ruhe bedürfen, und so kann es wohl sein, wenn Sie solche Orte besuchen, daß Sie mich ein Mal in der in Krumbach vorhandenen getroffen haben, denn mein Weg hat mich mehrmals durch dieses Dorf geführt.

Und Sie hätten ganz vergessen, sagte der Arzt, indem er nahe auf ihn zutrat, was Sie damals alles sprachen, als ich durch mein Pflichtgefühl getrieben die Schenke besuchte, aus Menschlichkeit, die der Arzt niemals verläugnen darf, denn Wehe dem, der sich zu vornehm dünkt, an das Schmerzenslager zu treten, mag es stehen, wo es will. So können Sie mich in Schenken und an noch niedrigeren Orten antreffen, wenn Pflicht und Menschenliebe es mir gebieten; wenn ich aber zu meiner Erholung unter Menschen gehe, so werden Sie mich immer in der besten Gesellschaft finden, zu der ich gehöre.

Es ist gut, daß Sie mir das sagen, antwortete der junge Lorenz gleichgültig, denn Ihre unnütze, unbegreifliche[201] Heftigkeit würde mich das zum Beispiel nicht haben errathen lassen.

Der Arzt bemühte sich nun ebenfalls gleichgültig zu sprechen und fuhr deßhalb mit schlecht unterdrückter Heftigkeit fort: Es scheint also, Sie haben rein vergessen, was Sie damals über den Grafen Hohenthal sprachen, über seine Ergebenheit gegen die Franzosen, über den verwundeten Herrn St. Julien, dessen Leben ich mit Mühe erhalten hatte und der ein Spion sein sollte, der arme Mensch, der weder sprechen, noch sich rühren durfte damals; jetzt, Gottlob! ist er hergestellt und kann sich selbst verantworten. Haben Sie das alles ganz aus Ihrem Gedächtnisse vertilgt?

Wenn ich damals in der That solche Ansichten hatte, erwiederte der junge Lorenz mit unzerstörbarer Ruhe und Gleichgültigkeit, so habe ich sie gewiß mit allen, die etwas von den Verhältnissen des Grafen wußten, getheilt, und ich sehe nicht ein, was Sie darin beleidigen kann, und wenn Sie wirklich zur guten Gesellschaft gehören, wie Sie versichern, so werden Sie selbst einsehen, daß es nicht passend ist, mich in einem fremden Hause über eine Ansicht, die Ihnen unrichtig scheint, mit Heftigkeit zur Rede zu stellen. Nach diesen sehr ruhig gesprochenen Worten ließ er den kampflustigen Arzt stehen und nahm einen gleichgültigen Antheil an dem Gespräche seines Vaters mit dem Prediger.[202]

Der alte Lorenz hatte dem Geistlichen schon auf seine gewöhnliche heuchlerische Weise mitgetheilt, daß er ein kleines Gut für's Erste gepachtet habe, daß er aber wohl hoffen dürfe, es werde in Jahresfrist das Eigenthum seines Sohnes werden, der für jetzt eine Stelle als Privatsekretair bei einem bedeutenden französischen Generale annehmen würde, der mit seinen Truppen noch so lange in Preußen verweilen würde, bis die Kontributionen alle abgetragen wären; und es ist dieß eine vernünftige Einrichtung, schloß der alte Heuchler, und Gott möge seinen Segen dazu geben, denn mein Sohn kann dem Herrn General nützlich sein in tausend Fällen, weil er die Rechte studirt hat, und kann auch wiederum manchem Freunde dienen, der die Hülfe eines Landsmannes bei dem Herrn General brauchen sollte.

Es entgingen die schlechten Gründe dem Pfarrer nicht, welche die Handlungen des Sohnes wie des Vaters bestimmten, und er betrachtete den jungen Mann mit mißtrauischen Blicken, als er sich in das Gespräch mischte.

Die Base des Arztes redete diesen an und begann ihm Mancherlei von ihrem verstorbenen Gemahl zu erzählen; dadurch lenkte sich die Unterhaltung ohne Zwang auf die Bibliothek und das Naturalienkabinet, und ging endlich auf merkwürdige Krankheitsfälle über, die dem Arzte vorgekommen[203] waren, und die sie sich umständlich erzählen ließ, so daß dessen üble Laune gänzlich schwand und er nach dem Abendessen, von ihr aufgefordert, mit Vergnügen diese Verwandte, die er sich eingestand verkannt zu haben, nach Hause zu begleiten versprach. Als sie nach einem formellen Abschiede von dem Prediger und dessen Familie, und einer kaum merklichen Verbeugung gegen Lorenz und dessen Sohn nun den Arm ihres Neffen gefaßt hatte und im hellen Mondenscheine der friedlichen Wohnung des Schulzen zuwandelte, sagte sie gutmüthig scheltend: Er hat immer noch seinen unvernünftigen Trotzkopf, Vetter; was fing Er nur für unnütze Händel mit einem Menschen an, der ihn in's Unglück bringen kann? So wie ich hörte, daß der alte Vater dem Prediger ohne Scham und Scheu erzählte, daß sein Sohn ein Franzose wird, so fing ich nur gleich mit Ihm an Allerlei zu reden und ließ mir geduldig vorerzählen, wovon ich kein Wort verstehe, damit Er nur nicht wieder mit dem schlechten, jungen Menschen in Zank und dadurch in Unglück gerathen sollte; aber sei Er für die Zukunft vorsichtig, versprech Er mir das. Sie meinen es gut mit mir, sagte der Arzt nicht ohne Bewegung. Das habe ich immer gethan, erwiederte seine Verwandte, und umarmte und küßte ihn herzlich, da sie das Haus des Schulzen erreicht hatten. Die schlanke Marie reichte dem Vetter die Hand, die dieser höflich küßte, worüber[204] das junge Mädchen lebhaft erröthete, und die Verwandten trennten sich in der wohlwollendsten Stimmung.

Der Prediger hatte den Verdruß, daß Lorenz und sein Sohn nicht die mindeste Anstalt machten ebenfalls aufzubrechen, und er war gezwungen ihnen ein Nachtlager anzubieten, damit er sich selbst zur Ruhe begeben könnte, und dieß wurde von Beiden wie eine Sache, die sich von selbst verstände, angenommen.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 2, Breslau 1836, S. 182-205.
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