VI

[89] Nach den ersten Ausrufungen des Erstaunens ergriff der Arzt schnell einige stärkende Mittel, die er gleich anzuwenden gedachte, und wollte den Kranken entgegen eilen, doch plötzlich blieb er stehen, betrachtete mit blinzelnden Augen den Grafen und sagte: Vor Allem muß ich für Sie sorgen, das ist das Dringendste. Ich bin gesund, sagte der Graf, ich bedarf keiner Hülfe. Sie sind furchtbar erhitzt, erwiederte der Arzt, und Sie sind in dem Alter, wo Schlagflüsse anfangen das Leben auch des Gesundesten zu bedrohen. Ueberlassen Sie mich nur meinem Schicksale, sagte der Graf lächelnd, mein Blut wird sich von selbst wieder abkühlen. Nein, rief der Arzt mit Heftigkeit, und Thränen funkelten in den[89] kleinen Augen, nie würde ich es mir verzeihen, hätte ich meine Pflicht gegen Sie versäumt, und wie könnte je mein Gewissen sich wieder beruhigen, wenn durch meine Nachläßigkeit das Leben eines erhabenen Menschenfreundes, des Schöpfers meines Glücks, auch nur um eine Stunde verkürzt würde?

Der Graf fühlte sich bewegt durch die Liebe des Arztes, wenn sie sich auch auf eine etwas wunderliche Weise kund that. Er ließ sich also dessen Verordnungen gefallen, und bald fühlte er, daß seine Pulse wie der regelmäßig schlugen, und das Blut nicht mehr gewaltsam zum Kopfe und zum Herzen drängte.

Der Arzt hatte, ehe er den Kranken entgegen eilte, seiner Base einen Wink gegeben, die sich sogleich mit Mägden und Bedienten in laute Thätigkeit versetzte, um das für die Kranken bestimmte Zimmer mit allen erforderlichen Bequemlichkeiten zu versehen.

Die Dämmerung des Abends hatte schon die Gegend rings umher in tiefe Schatten gehüllt, als das elende Fuhrwerk, auf dem die Kranken lagen, von dem Grafen Robert und dem Arzt begleitet, das Schloß erreichte. Mühsam wurden die beinah Leblosen vom Wagen gehoben, und sie empfanden eine schmerzliche Wollust, als sich die entkräfteten Glieder nach so harten Entbehrungen zum ersten Mal wieder[90] auf ein bequemes Lager streckten. Der Arzt war von heftiger Rührung ergriffen, als er die beinah vernichteten, in widrige Lumpen schmachvoll gehüllten Gestalten betrachtete. Wie groß kann das menschliche Elend sein! rief er klagend. Hier ist die größte Vorsicht nöthig, und Gott! wie werde ich den alten Dübois vermissen! Er ist zwar ein eigensinniger, hochmüthiger Mann, der sich auf seine Aussprache des Französischen viel zu viel einbildet, aber einen trefflicheren Krankenwärter habe ich niemals kennen gelernt. Und Wer wird nun diese hier bewachen, daß sie meine Vorschriften genau befolgen, woran doch ihr Leben hängt.

Nun, nun, rief die Frau Professorin, ich will den Herrn Dübois nicht lästern, aber ich werde doch wohl auch im Stande sein, Kranke zu pflegen, und ich will den sehen, der mir was Böses nachredet, wenn ich diese Christenliebe an jungen Männern ausübe.

Der Arzt war hoch erfreut, daß seine Base sich zu diesem Dienste erbot, und er dankte ihr mit einer Innigkeit, als habe sie ihm die größte Wohlthat erwiesen. Na, was sind das nun für Weitläuftigkeiten, sagte die gutherzige Frau barsch, um ihre Rührung zu verbergen. Was geschehen muß, das darf man mir nur sagen, und ich bin gewiß, daß sich Keiner unterfangen wird, um ein Haar breit davon abzuweichen.[91]

Der Arzt war nun beruhigt. Seine Mittel stärkten die Kranken sichtlich, und er konnte schon am folgenden Tage ein stärkendes warmes Bad wagen, wodurch zugleich die Spuren des Elends von den Unglücklichen abgewaschen wurden, die nun wieder das Ansehen von zur besseren Gesellschaft gehörigen Menschen gewannen. Nach einigen Tagen der aufmerksamsten Behandlung schienen auch ihre geistigen Fähigkeiten zurückzukehren, denn sie gaben zusammenhängende Antworten auf die an sie gerichteten Fragen, und der Arzt verkündete mit lauter Freude, daß er Beide mit Hülfe seiner Base wieder herzustellen hoffe, die für die Befolgung seiner Vorschriften eben so eifrig, wenn auch nicht eben so sanft, wie Dübois, sorge.

Der Graf Robert hatte während dieser Zeit viel mit seinem Oheim über die Sicherheit seiner Freunde gesprochen, die ihm gefährdet schien, da sie zu den Truppen Schills gehörten, die so unglücklich endeten. Der Graf suchte ihn zu beruhigen, indem er ihm vorstellte, daß die preußischen Behörden gewiß keinen Eifer anwenden würden, die Theilnehmer an dieser Unternehmung auszuspüren, wenn sie ihnen nicht bestimmt als solche angezeigt würden, daß es also nur der Klugheit bedürfe, jede Theilnahme der Unglücklichen an Schills Plänen vorsichtig zu verschweigen und für die müßigen Nachbarn, die nicht ermangeln würden, mit Fragen[92] einzustürmen, eine wahrscheinliche Fabel zu ersinnen, um ihren kläglichen Zustand genügend zu erklären.

Der Arzt hatte den Prediger gleich den nächsten Tag in der Bewegung seines Gemüths mit dem traurigen Zustande bekannt gemacht, in welchem die beiden jungen Edelleute, ehemalige preußische Offiziere, nach dem Schlosse waren gebracht worden, und jener erschien sogleich, um das Wie und Warum zu erfahren, und als ihm der Graf Robert mit einiger Verlegenheit antwortete, die Kranken wären noch so schwach, daß man sie nicht um ihr Geschick befragen könne, und daß es überhaupt menschlicher sein würde, schmerzliche Erinnerungen aus ihrem Gemüthe zu entfernen, als durch Fragen zu erregen, erwiederte der Prediger verdrüßlich und spöttisch: So wird es uns damit vielleicht gehen, wie mit der Begebenheit des Herrn St. Julien, der beinah in demselben Zustande in dieß Schloß gebracht wurde, und niemals hat man die Veranlassung seines Unglücks erfahren.

Des Grafen Wangen röthete der Zorn. Sie wissen, Herr Prediger, sagte er mit einiger Heftigkeit, wie nah mit mir der Obrist St. Julien verbunden ist, und wenn ich die Gründe ehre, die ihn bestimmen, über diesen Gegenstand zu schweigen, so dächte ich, dieß könnte eine Regel für alle meine Freunde sein.

Der Prediger fühlte, er war zu weit gegangen. Ein[93] verdrüßliches Schweigen herrschte im Saale. Endlich begann der Geistliche von Neuem: Beinah hätte ich es vergessen, Ihnen mitzutheilen, daß der alte Lorenz einen so schändlichen Gebrauch von dem ihm durch des Sohnes Tod zugefallenen Vermögen gemacht hat, daß ich glaube, er wird bald wieder in drückender Armuth sein.

Woher schließen Sie das? fragte der Graf gleichgültig.

Weil mir diesen Morgen ein jüdischer Handelsmann einen Brief von ihm brachte, in dem er mich ersuchte, Sie dahin zu vermögen, ihm eine schriftliche Zusicherung der Pension auszustellen, die Sie ihm bewilligt haben, wie er schreibt, um Lebens und Sterbens Willen, wie mir der Israelit vertraute, damit er sie diesem verkaufen könne. Man wendete sich an mich, fügte der Prediger hinzu, weil man nicht wußte, daß Sie sich jetzt gerade hier befinden. Ich rieth dem jüdischen Kaufmann, sich mit diesem Gesuch gerade an Sie zu wenden, und ich zweifle nicht, daß er bald auf dem Schlosse erscheinen wird.

In der That wurde, nachdem kaum eine Viertelstunde verflossen war, Herr Moses gemeldet, der dem Grafen des alten Lorenz Gesuch vortrug, mit der Versicherung, daß er aus Menschenliebe bereit sei, dem Greise die Pension abzukaufen und ihm den Ertrag einiger Jahre voraus zu bezahlen; obgleich es möglich sei, daß der Alte früher stürbe[94] und er sich Verlust dadurch zuzöge, so wollte er es auf die Gefahr hin wagen, damit nur der Greis nicht des Obdachs beraubt würde, denn er könne sich bei diesen schweren Zeiten, bei den drückenden Abgaben ohne diese Unterstützung nicht im Besitze des Gutes erhalten.

Der Graf erwiederte auf die lange Rede des menschenfreundlichen Israeliten, daß ihm dieß leid thue. Da aber die dem alten Lorenz von ihm bis jetzt ausgezahlte Pension ein freiwilliges Geschenk sei und er sich die Freiheit vorbehalten wolle, es ihm nach Umständen zu geben oder zu entziehen, so sei er nicht geneigt, sich schriftlich eine Verbindlichkeit aufzulegen und eine Handlung der Güte in eine Pflicht zu verwandeln. Nach dieser Erklärung empfahl sich Herr Moses, nachdem er geäußert hatte, daß er sich unter solchen Umständen auf kein Geschäft mit dem alten Manne einlassen könne.

Nachdem er den Saal verlassen hatte, sagte der Graf: Wie ist es nur möglich, daß der alte heillose Sünder in der kurzen Zeit, seit er das Erbe seines Sohnes empfing, so viel Geld ausgegeben hat?

Es thut mir leid es sagen zu müssen, erwiederte der Prediger etwas kalt, weil er des Grafen frühere Heftigkeit noch nicht hatte vergessen können, daß ihm nicht bloß die schlechte Gesellschaft von seinem Gelde geholfen hat, sondern[95] auch die sogenannte gute. Der unselige Alte hat sich der Völlerei und dem Spiele ergeben, und manche haben es nicht verschmäht, große Summen von ihm zu gewinnen, die recht bedeutende Ansprüche in der Welt zu machen gewohnt sind. Aber gedenken Sie ihm nun Ihre Unterstützung zu entziehen, da er wieder in Noth geräth, die Sie ihm zukommen ließen, wie er ihrer nicht bedurfte?

Keineswegs, sagte der Graf; da ich aber voraussehe, daß dieß bald seine einzige Hülfsquelle sein wird, so will ich sie ihm erhalten; denn hätte ich ihm die Möglichkeit gegeben, seinen künftigen Unterhalt zu verkaufen, so, glaube ich, würde dieß seinen Fall kaum einige Monate hingehalten haben.

Das ist sehr wahrscheinlich, sagte der Prediger, und es wäre gut, daß man ihn, wenn er alles Uebrige verloren hat, gewissermaßen unter Aufsicht nähme, denn die ewige Trunkenheit hat seine Verstandeskräfte geschwächt, ihn unfähig gemacht, sich selbst zu regieren, ja, er ist völlig kindisch geworden. Denken Sie nur, er ließ sich von Leuten, die ihn verspotteten, überreden, ein Bad zu besuchen, dort den großen, vornehmen Gutsbesitzer zu spielen, sich zu lauter Edelleuten zu drängen und Summen an diese zu verlieren, welche bei den jetzigen drückenden Verhältnissen einen viel Reichern als ihn hätten zu Grunde richten müssen. Der Graf zuckte[96] verächtlich mit den Schultern, und es ließ sich nicht unterscheiden, ob dieß dem alten Lorenz oder den erwähnten Edelleuten galt. Im Laufe des Gesprächs verabredete er mit dem Prediger, der seine gute Laune nach und nach wieder gewann, daß, wenn der Alte so weit sein würde, daß er nichts mehr, als die Unterstützung des Grafen besäße, er alsdann bei rechtlichen Leuten untergebracht werden sollte, die sich anheischig machten für alle seine Bedürfnisse zu sorgen, und die ihre Entschädigung aus den Händen des Geistlichen erhalten sollten, der alsdann nur den Ueberrest dem alten Lorenz zur beliebigen Verwendung einhändigen würde; und so ist dem alten Schuft, schloß der Pfarrer seine Vorschläge, ein weit besseres Loos gesichert, als er verdient.

Wenn wir streng sein wollen, sagte der Graf lächelnd, so ist dieß mit wenigen Ausnahmen wohl bei allen Menschen der Fall.

Sie scheinen die Ansichten der strengen Theologen zu theilen, sagte der Prediger, die den Menschen für so verderbt halten, daß alles ihn umringende Elend immer noch nicht seine Bosheit und Schlechtigkeit hinreichend bestraft.

Ich spreche nicht von Ereignissen, erwiederte der Graf, die, unabhängig vom Menschen, das Geschlecht desselben bedrohen, gegen die man sich nicht vertheidigen kann, weil sie, uns unerreichbar, jeden Kampf unmöglich machen, und[97] wo freilich oft bei vollkommener Unschuld ein unermeßliches Unglück erduldet werden muß. Aber im Ganzen werden Sie doch zugeben, daß sich unser Schicksal aus unserm Charakter entwickelt, und wenn wir am Abend unseres Lebens den Lauf desselben überdenken, glaube ich, werden wir zugeben müssen, daß unsere Thorheiten, Schwächen und Irrthümer uns noch weit mehr Kummer bereiten, uns noch in eine schlimmere Lage hätten versetzen können, wenn dieß nicht ein gütiges Geschick zu unserem Besten abgewendet hätte.

Dieß Gespräch wurde durch den Grafen Robert unterbrochen, der seinem Oheim meldete, es sei Zeit, wenn er den kriegerischen Uebungen der jungen Landleute beiwohnen wollte, sich auf den den dazu bestimmten Platz zu begeben, weil man sich dem Grafen zu Ehren versammelt habe, obgleich es heute kein Sonntag sei. Der Graf war bereit seinem Vetter zu folgen und der Prediger bat spöttisch um die Erlaubniß die Herren zu begleiten, und man bemerkte an der verdrüßlichen Art, wie der Graf Robert diese Begleitung annahm, daß sie ihm keineswegs angenehm war.

Wir haben hier recht ein Bild von dem Zustande Frankreichs, sagte der Prediger noch immer spöttisch, zum Grafen gewendet, wie es war, als die erste Begeisterung seine Jugend vereinigte zum Kampfe gegen die ganze Welt. Eben so drängen sich die jungen Landleute hier herum zu den[98] Waffenübungen, und selbst Wer Anfangs über die Begeisterung lachte, die Ihr Herr Vetter unter Ihren Unterthanen verbreitete, ward nach und nach von der Krankheit ergriffen, und statt des ehemaligen sonntäglichen Kegelspiels beschäftigt Exerciren und Marschiren weit und breit die kampflustige Jugend, wie gesagt, ganz wie in der Periode der Begeisterung in Frankreich.

Und haben Sie vergessen, sagte der Graf ernsthaft, was Frankreich damals in dieser Begeisterung Unglaubliches vollbrachte? Und sollte es nicht möglich sein, daß das, was jetzt wie eine thörichte Spielerei erscheint, noch einmal nützlich wäre? Ueberrascht blickte der Pfarrer dem Grafen in die Augen. Es schien, er wollte mit Begierde darin einen tieferen Sinn der Rede lesen. Der Graf aber fuhr ruhig fort: Und wenn diese kriegerischen Uebungen auch zu nichts weiter führen, so machen sie doch die jungen Leute gewandter, und schon das ist Gewinn.

Man hatte unter diesen Gesprächen den zur Waffenübung bestimmten Platz erreicht, und der Graf bemerkte den jungen Gustav Thorfeld, der mit großem Eifer die Landleute einübte, und mit Vergnügen sah der Graf, daß er das, was er sich zu lehren bestrebte, selbst in höchster Vollkommenheit zu üben verstand.

Wenige Männer verlieren ganz die Neigung zu kriegerischer[99] Thätigkeit, denn nur in der Brust weniger erstirbt das Gefühl gänzlich, daß es des Mannes Beruf ist, sein Vaterland zu vertheidigen, seinen Heerd zu beschützen. Auch der Graf also überließ sich mit Lebhaftigkeit der Theilnahme an diesen Uebungen, und in seinen Augen leuchtete die Hoffnung, daß sich aus geringen Keimen viel Gutes für die Zukunft entwickeln könne.

Man war noch nicht lange auf dem Uebungsplatze versammelt, als man den Hufschlag von Pferden vernahm, und bald zeigten sich drei Reiter, von denen der eine voraus ritt, und dem die beiden andern in bunter Kleidung folgten, über die man einen Augenblick in Ungewißheit blieb, ob es kriegerische Uniformen waren oder der phantastische Putz, den Kunstreiter anzulegen pflegen. Bald klärten sich die Zweifel auf. Der Baron Löbau nahte und stieg ab, um den Grafen auf's Herzlichste zu begrüßen.

Ich dachte es wohl, sagte er lächelnd, daß ich Sie wenigstens hier auf dem Uebungsplatze finden würde, wenn Sie es auch verschmähen, Ihre alten Freunde und Nachbaren zu besuchen.

Der Graf entschuldigte sich mit der kurzen Dauer seines dießmaligen Aufenthalts und mit den vielen dringenden Geschäften, die in dieser kurzen Zeit alle abgemacht werden müßten.[100]

Da Sie Theilnahme für unsere kriegerischen Uebungen beweisen, erwiederte der Baron selbstgefällig lächelnd, so müssen Sie doch wenigstens einem Manoeuvre beiwohnen, das morgen auf meinem Marsfelde Statt finden wird, denn es ist doch billig, daß Sie auch meine Truppen in Augenschein nehmen, da die ganze Sache, die jetzt so allgemein mit Eifer getrieben wird, von mir ausgeht; denn ich machte Ihren Herrn Vetter zuerst darauf aufmerksam, wie vortheilhaft es sein würde, wenn man die jungen Leute abhielte, sich Sonntags in den Schenken zu versammeln, wo der Trunk oft zu Raufereien führte, und daß es in unserer jetzigen Zeit eine Wohlthat sei, wenn sie mit den Waffen umzugehen wüßten, um im Nothfalle sich und die Ihrigen beschützen zu können. Der Graf sah seinen Vetter an, der das Lachen mit Mühe unterdrückte. Der Baron aber fuhr mit großer Behaglichkeit fort: Versprechen Sie mir morgen zu kommen. Ihr Herr Vetter kennt den Weg zu meinen Uebungsplätzen, und ich gebe Ihnen mein Wort, Sie sollen eine Kavallerie sehen, die auch den Kenner befriedigen würde. Die Leute haben Pferde, deren sich ein Prinz nicht schämen dürfte; Sie können hier eine Probe davon sehen. Er deutete bei diesen Worten auf die beiden bunten Leute, die ihn begleitet hatten, und bezeichnete sie auf diese Weise als Kavalleristen, die zu seiner Miliz gehörten.[101]

Beide Grafen hatten Mühe ernsthaft zu bleiben, versprachen aber den Baron zu befriedigen und seinem Manoeuvre des andern Tages beizuwohnen, worauf er sich, in seiner gutmüthigen Thorheit beglückt, nach dem herzlichsten Abschiede von ihnen trennte.

Auf dem Rückwege nach dem Schlosse, nachdem sie sich von dem Prediger getrennt hatten, erzählte der Graf Robert seinem Oheim, daß, nachdem er angefangen habe die jungen Leute unter demselben Vorwande, den der Baron ihnen als seine Gründe aufgestellt habe, zu Waffenübungen zu versammeln, der Baron mit lebhaftem Eifer sogleich gestrebt habe ihn zu überbieten, indem er dem Fußvolke eine uniformirte Reiterei beigefügt habe, die aus zehn bis zwölf Mann seines Hofgesindes bestände, die freilich alle schöne Pferde aus des Barons Ställen ritten. Die Hauptkunst bei ihren Manoeuvres bestände aber darin, sagte er, die Pferde zu schonen, die auf keine Weise erhitzt oder angestrengt werden dürften, so daß alle Evolutionen im ruhigsten Schritt ausgeführt werden müßten.

Der Graf lachte und sagte, die Thorheit des guten Barons, die gewiß in der Gegend den meisten Lärm verursacht, ist sehr nützlich, denn sie dient dazu, die Aufmerksamkeit von Andern ab und auf ihn zu lenken, und die Manoeuvres auf seinem Marsfelde werden keine Art von Mißtrauen erregen.[102]

So ist es, erwiederte der Graf Robert, weil er selbst so weit davon entfernt ist, einen höheren Zweck zu ahnen. Wenn sich französische Officiere in der Nähe befinden, so ladet er sie jedes Mal feierlich ein, um sie darauf aufmerksam zu machen, welche trefflichen Hülfstruppen sie aus den preußischen Landen im Fall des Bedürfnisses zu erwarten hätten, seit auf seine Veranlassung an mehreren Orten Waffenübungen Statt fänden, und also künftig statt vorher ungeschickter Rekruten nun völlig eingeübte Streiter ausgehoben werden könnten.

Die Sache ist unter den Franzosen ein Gegenstand des Scherzes, und wenn junge Officiere gegenwärtig sind, so bemerken sie leicht seine Schwachheit für seine Kavallerie, und er ist mehr als ein Mal dadurch geängstigt worden, daß diese sich dann zu Kommandeurs seiner Kavallerie aufwerfen und sie Bewegungen machen lassen, die ganz von dem sanften Schritte der Gewohnheit abweichen.

So dient er doch auch dem Vaterlande, sagte der Graf, und wenn es einmal Ernst wird, so wird derselbe Ehrgeiz, der jetzt thöricht erscheint, ihn auch zu ernsten Anstrengungen vermögen.

Man erreichte das Schloß und beide Grafen besuchten die Kranken, deren Zustand sich sehr verbessert hatte und die der Arzt außer Gefahr erklärte. Das bleiche Gesicht des Herrn von Wertheim röthete sich flüchtig, als er den Grafen[103] erblickte. Es ist eine eigene Strafe meiner Rohheit, sagte er mit bewegter Stimme, daß ich Ihnen mehr als ein Mal Schutz, Rettung meines Lebens und Unterstützung verdanken muß, die man nur mit Widerstreben aus der Hand des vertrautesten Freundes empfängt, und aus der großmüthigen Hand eines beleidigten Mannes nicht anders als mit tiefer Beschämung empfangen kann.

Vergessen Sie doch endlich eine jugendliche Unbesonnenheit, sagte der Graf gütig, die ohne Ihre Erinnerung mein Gedächtniß mir nicht zurückgerufen hätte, und denken Sie nur daran, daß Ihre und Ihres Freundes Gesundheit wieder hergestellt werden muß.

Der Baron Lehndorf wagte die Frage, ob sie sich im Schlosse Hohenthal wohl als gesichert betrachten könnten, und der Graf erkundigte sich nun nach ihrem Verhältnisse zu Schill und nach den näheren Umständen ihres Unglücks.

Beide Freunde waren tief erschüttert, als sie an das unglückliche Ende ihres hochverehrten Anführers erinnert wurden, doch beherrschte der Baron Lehndorf zuerst seine Rührung und sagte, daß sie Schill als Freiwillige und als Freunde gefolgt wären, und ihre Namen sich in keiner Liste befänden, die man hätte auffinden können.

Dann begreife ich nicht, sagte der Graf, wie Sie sich nicht mit einiger Behutsamkeit sogleich hieher gewendet haben.[104]

Die schreckliche Niederlage bei Stralsund, sagte Wertheim, hatte uns aller Mittel beraubt, uns zu zeigen. Wir besaßen nichts als die Uniform, die wir an uns trugen, und einige Silbermünzen von unbedeutendem Werth. Es stand also nicht in unserer Gewalt, die Kleidung abzulegen, die uns kenntlich machte, und wir verbargen uns am Tage in Wäldern und Sümpfen, um dem Schicksale unserer Gefährten zu entgehen, von denen wir zuweilen von unserm Verstecke aus einzelne von den feindlichen Truppen Eingefangene bemerkten, die einem schmählichen Loose entgegengeführt wurden. Wir hatten die Absicht uns dennoch, trotz der Gefahr hieher zu wenden. Da wir aber nur bei Nacht wandern konnten, so verirrten wir uns oft und erkannten nach langer Anstrengung zuweilen dieselben Orte wieder, von wo wir vor mehreren Tagen ausgegangen waren. Da wir uns nur die allernothwendigste Nahrung erlauben durften, so wurden unsere Kräfte erschöpft, und doch mußte auch diese Nahrung noch beschränkt werden, denn wir hatten bald gar keine Mittel mehr. Zwei Tage, ehe Sie uns fanden, war es uns schon nicht mehr möglich, ein wenig Brodt von den Bauern einzuhandeln, denn wir hatten auch nicht das kleinste Stück Geld übrig. Wir versuchten es, uns durch Beeren und Wurzeln zu ernähren, und wir wären gewiß verloren gewesen, hätte der Zufall Sie nicht zu unserem Beistande herbei geführt.[105]

Der Graf Robert umarmte seine Freunde in heftiger Bewegung, und sein Oheim wendete sich ab, um seine Rührung zu verbergen. Er sagte den beiden jungen Männern, daß er hoffe, sie seien auf Schloß Hohenthal in vollkommener Sicherheit, daß er aber zu ihrer Beruhigung noch nähere Erkundigung einziehen wolle.

Da die Erzählung der Geschichte ihres Unglücks die Kranken sehr aufgeregt hatte, so rieth ihnen der Graf dringend, den Schlummer zu suchen, damit sie nicht, wie er lächelnd hinzufügte, sich den Tadel des Arztes und ihrer strengen Wärterin zuzögen.

Er führte darauf den Grafen Robert mit sich hinweg und sagte: Ich bin vollkommen überzeugt, daß beide junge Männer ohne Gefahr hier bleiben können, wenn es nicht verrathen wird, daß sie mit Schill in Verbindung waren. Deßhalb müssen wir auf eine bestimmte Erklärung des jämmerlichen Zustandes sinnen, in dem wir sie fanden, denn glauben Sie mir, der Prediger wird nicht mit allgemeinen Antworten zufrieden sein. Und wenn er auch thäte, als wäre er es, so wird er so viele mißtrauische, spöttische Winke fallen lassen, daß er unfehlbar Argwohn erregen wird, und doch möchte ich auch ungern ihm das Geschick Ihrer Freunde aufrichtig vertrauen, denn er würde dieß Vertrauen zwar um keinen Preis mißbrauchen, sie unglücklich zu machen, aber er[106] würde dadurch ein solches Uebergewicht erlangt zu haben glauben, daß er Ihnen, bester Vetter, oft unerträglich lästig sein würde.

Der Graf Robert, der die Menschen nicht immer so milde betrachtete, wie sein Oheim, und der daher dem Prediger nicht sonderlich geneigt war, sah die Wahrheit des Gesagten ein. Nach langer Berathung kamen die beiden Verwandten überein, dem Prediger zu vertrauen, die beiden jungen Männer hätten sich nach Frankreich gewagt, um das Schicksal der Schwester des Einen und der ehemaligen Braut des Andern zu erforschen, und wären auf den französischen Obristen gestoßen, mit dem Wertheim das Duell der Schwester wegen gehabt habe. Die eingeleitete Verfolgung habe die jungen Männer zur Flucht genöthigt und sie gezwungen, sich ängstlich zu verbergen. Dadurch wären ihnen die Hülfsmittel ausgegangen und sie endlich in den kläglichen Zustand gerathen, worin man sie gefunden. Daß das französische Regiment abgelöst war, gab der Fabel einige Wahrscheinlichkeit, und da der Pfarrer bei seiner Neugierde im Grunde leichtgläubig war, so ließ sich hoffen, er würde die Unwahrscheinlichkeiten in dieser Erzählung übersehen. Der Graf Robert übernahm es, seine Freunde davon in Kenntniß zu setzen, auf welche Weise ihre Erscheinung auf dem Schlosse erklärt würde, damit sie im Stande wären, die Fragen[107] gehörig zu beantworten, die der Geistliche unfehlbar an sie richten würde.

Der große Tag war erschienen, an welchem das glänzende Manoeuvre des Baron Löbau Statt finden sollte. Er hatte alles gethan, um die Waffenübung des Grafen Robert zu übertreffen, den er mit einigem Verdruß als seinen Rebenbuhler betrachtete, ohne zu bedenken, daß er niemals auf die Idee gekommen wäre, Beschäftigungen der Art anzuordnen, wenn ihm nicht die Einrichtungen des Andern dadurch, daß sie das Streben ihn zu übertreffen in ihm weckten, eine Anregung gegeben hätten.

Als die beiden Grafen erschienen, bemerkten sie eine Batterie von Kanonen, die ein Mittelding zwischen Scherz und Ernst, ein Spielwerk für Erwachsene genannt werden konnten. Mit leuchtendem Gesicht machte der Baron sie darauf aufmerksam, und er hatte die Genugthuung, daß der Graf alle seine Pläne lobte. Die Batterie wurde genommen und die Kavallerie auf den schönen Pferden entschied im bedächtigen Schritt, wie es angeordnet war, den Sieg.

Es ist so kindisch, sagte der Graf Robert, als sie sich von dem entzückten Baron getrennt hatten, daß man nicht einmal darüber lachen kann.

So ist es doch auch harmlos, erwiederte der Graf, und wird Niemand verletzen. Es liegt in jedes Menschen Seele[108] eine gewisse poetische Sehnsucht, aus dem alltäglichen Leben heraus zu treten, etwas Besonderes vorzustellen. Sie offenbart sich schon bei dem Kinde in der Neigung zu Verkleidungen. Bei Niemandem von meinen Bekannten habe ich aber diese Sehnsucht so groß gefunden, als bei unserm guten Baron. Sie werden dieß in jeder kleinen Geschichte bemerken, die er erzählt, und ich habe mir oft gedacht, wenn er Talent genug zur Darstellung besäße und seine Phantasie dadurch befriedigen könnte, daß er Novellen und Romane schriebe, so würde er im gemeinen Leben der Wahrheit näher bleiben.

So wäre also, rief der Graf Robert lachend, ein Lügner im Grunde nur ein verunglückter Dichter?

Warum wollen Sie es nicht so milde betrachten? erwiederte sein Oheim, da zudem in jedem Menschen, auch in dem edelsten, sich eine kleine Neigung für diese Schwäche findet.

Es ist wahr, sagte Graf Robert, ich möchte wohl den Menschen sehen, der sich rühmen könnte, nie die Unwahrheit gesagt zu haben, und es ist mir lieb, wenn ich mich künftig einmal auf so etwas ertappen sollte, daß ich zu meiner Beruhigung weiß, daß ich mich nur der Neigung zur Dichtkunst überlasse, indem ich sündige. Sie können uns ja[109] gleich diese Gerechtigkeit wiederfahren lassen, sagte sein Oheim, denn haben wir nicht gleichfalls ein feindliches Komplott gemacht, um den Prediger zu hintergehen? Das ist Noth, rief der Graf Robert, aber nicht freie Neigung zur Dichtkunst.

Da der Graf seine Abreise auf den andern Tag festgesetzt hatte, wollte er, nachdem sie das Schloß wieder erreicht hatten, noch den Abend von dem Obristen Abschied nehmen, um den Greis nicht am andern Morgen in seiner Ruhe zu stören.

Als der Obrist sich bald nach zehn Uhr entfernen wollte, um die Vorschriften des Arztes nicht zu übertreten, der die Ruhe vor Mitternacht unerläßlich für ihn fand, schloß ihn der Graf mit Rührung in die Arme, um ihm Lebewohl zu sagen. Er fühlte den Freund in seinen Armen vor Altersschwäche zittern, und sein Auge ruhte wehmüthig auf dem nur noch spärlich von silberweißen Haaren bedeckten Scheitel. Das leuchtende Auge des Greises traf den von einer Thräne verschleierten Blick des Grafen. Sie fühlen, sagte der Greis mit seligem Lächeln, daß wir uns hienieden nicht mehr wieder sehen werden. Und Sie sprechen dieß wie eine Hoffnung aus? fragte der Graf mit sanftem Vorwurf.

Mein theurer Freund, erwiederte der Obrist, indem er beide Hände des Grafen faßte, wenn Sie durch die reizendsten[110] Thäler lustwandeln, über Berge schweifen, die Ihnen die schönsten Aussichten, immer neue Ueberraschung gewähren, und Sie setzten diesen Genuß unaufhaltsam fort, kommt nicht endlich die Stunde, wo auch das schönste Thal nicht mehr zum Weiterschreiten lockt, wo die ermüdeten Glieder sich nach Ruhe sehnen, und Sie sinken hin und lassen der menschlichen Natur ihr Recht angedeihen. Ein solcher müder Wanderer bin ich. Ein großer Theil meiner Bahn war rauh und dornenvoll. Sie versetzten mich in ein reizendes Thal, aber ich kann die Reise nicht fortsetzen; ermüdet sehnen sich meine Glieder nach Ruhe. Wir werden uns hier nicht wieder sehen, schloß der ehrwürdige Alte, empfangen Sie den letzten Dank und den Segen eines liebenden Vaters.

Mit inniger Rührung umarmten sich die Freunde noch ein Mal und trennten sich mit dem Gefühle, daß sie wahrscheinlich zum letzten Mal liebende Worte gewechselt hatten.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 3, Breslau 1836, S. 89-111.
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