251. Der Gießübel.

[229] In Rottenburg a.N. war ein »Gießübel«. In der Nähe des Silcherthors beim jetzigen bischöflichen Palais war über dem Stadtgraben, der dort Deichelweiher hieß, eine Vorrichtung an der Brückenmauer angebracht, ähnlich einer Waage. Ein weit vorstehender Stein, an dessen Ende ein einen rechten Winkel mit ihm bildender Balken angebracht wurde, war zu sehen. An dem Balken befestigt durch Seiler sei ein »Kraten«, ein Korb, gehangen. Felddiebe mußten Seiler um den Leib und von oben gehalten da hinauslaufen, und sobald sie auf den Balken kamen, gänzte und schnappte es und er fiel in den Korb und vom Korb nach einer Weile in's Wasser unten, wo man ihn »pfludern« ließ biß genug und hernach wieder heraufzog. Buben schaarenweise standen unten und warfen mit Roßbollen, Koth etc. nach dem Felddieb. Von diesem Brauch her datirt sich das noch bräuchige und in Rottenburg bekannte, aber selten verstandene: »dëer işt de kratte nâ« = der hat büßen müssen, der hat seinen Lohn, dem ist's übel gegangen.

Eine ähnliche Anstalt, die man Gießübel nannte, war in Tübingen. Bei der Schwemme war am Spital ebenfalls eine solche Vorrichtung getroffen. Felddiebe mußten auf dem[229] Balken hinauslaufen, fielen in einen Korb, wurden eine Zeitlang hin und her »gegautscht« und plötzlich schnappte es: der Dieb lag im Wasser. Auch hier übten die Buben wie in Rottenburg gewissenhaft ihr Geschäft, indem sie kaum erwarten konnten, bis er »pfluderte«104.

Zwischen Heiligkreuzthal und Hundersingen ist der »Gießübel« ein Wald; dort war früher ein Weiher, und ohne Zweifel wurde vom Kloster aus auch diese Strafe an Felddieben vollzogen.

In Eßlingen war ebenfalls ein »Gießübel«. »Auch befand sich der Gießübel hier (vor dem Ober-Eßlinger Thore), ein hölzerner Kasten mit einer Fallthüre, durch welche man Verbrecher, namentlich Felddiebe in's Wasser warf«105.

104

Anzeiger für Kunde etc. 1858. Sp. 341. 342.

105

Pfaff, Geschichte der Reichsstadt Eßlingen 1840. S. 72. – »Wegen des starken Zunehmens der Felddiebstähle wurde die früher darauf gesezte Strafe des Gießübels vom 16. Julius 1664 von Neuem eingeführt.« K. Pfaff, in der Zeitschr. für Culturgeschichte v. Müller und Falke 1858. S. 17. Vgl. auch E. Osenbrüggen, das Alemannische Strafrecht 1860. S. 112.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 229-230.
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