Vorbericht.

Ich weis nicht recht, aus welchem Gesichtspunkte man diese ganze Schrift ansehen möchte, wenn ich diesen Gesichtspunkt nicht selbst zeigte, und dazu soll nun dieser Vorbericht dienen.

Es mag vielen ein sehr dreuster und mißlicher Einfall zu seyn scheinen, daß ich eine Art von Theorie für die Romane schreiben will. Wenn sich nicht mancherley Schwierigkeiten dabey fänden, so dürften vielleicht nicht so viel Jahrhunderte vergangen, und so viele Romane geschrieben worden seyn, ohne daß nicht irgend ein Grübler auf den[3] Einfall gerathen wäre, über diese Gattung von Schriften nachzudenken, die vorhandenen Werke mit ihrem Zweck und Absicht zu vergleichen, und, nach Anlage der menschlichen Natur, die Mittel anzuzeigen, wodurch man diesen Zweck am sichersten erreichen könne. –

Aber vielleicht hat man es nicht der Mühe werth gehalten, über eine Gattung von Schriften viel nachzudenken, die nur für die Unterhaltung der Menge geschrieben ist? – Dies scheint wirklich der Fall zu seyn; aber eben dadurch wird diese Sorglosigkeit strafbar. Sollte man nicht zuvörderst darauf denken, dem größten Theil des menschlichen Geschlechts gesunde Nahrung zu verschaffen?

Ich bin nicht Willens, – und auch nicht fähig, eine vollständige Theorie für eine Gattung von Schriften zu schreiben, die so mancherley Gestalten annehmen können; aber ich halte Bemerkungen über diese Dichtungsart, aus den angeführten Gründen, für sehr nothwendig.[4]

Daß diese Schriften, weil sie nun einmal die Unterhaltung der Menge sind, natürlich einen Einfluß auf ihren Geschmack, – und auch auf ihre Sitten gehabt haben, ist wohl unläugbar.

Wir wollen hierüber nicht etwan den Epigrammatisten allein hören, der in Zieglers Asiatische Banise schrieb:


Mit kühnen, treuen, frommen Rittern,

Verdarb sich der Geschmack von unsern guten Müttern;

Mit feinerm Witz, empfindungsvollen Scherzen,

Verdirbt man unsrer Töchter Herzen.


Kästners Vorles. Zweyte Samml.

S.114.


Was läßt sich von einer Schrift erwarten, »in welcher gewöhnlich die Heldinn ein tugendhaft Frauenzimmer ist, das der Verfasser durch allerhand Gefährlichkeiten zu Wasser und zu Lande herum führt, tausend Versuchungen, zuweilen gar gewaltthätigen Unternehmungen, aussetzt, und am Ende durch diese oder jene Peripetie[5] krönt? Das Mägdchen muß Schiffbruch leiden, um zur Sclavinn gemacht zu werden; ihre Tugend wird auf die Probe gesetzt, entweder von einem Bassa oder Thersander, oder einem jungen Liebesritter in Paris, London, oder wo es ist. – Die Romanen aller Nationen scheinen dies mit einander gemein zu haben: – daß Männer ihre Zeit, ihre Ruhe, ihre höhere Bestimmung, zuweilen ihre Gesundheit, oder so gar das Leben dem andern Geschlechte aufopfern:« – was, sag' ich, läßt sich von solch einer Schrift, charakterisirt durch einen Romanenschreiber selbst, wenigstens durch einen Romanenübersetzer, für die Bildung des guten Geschmacks, für die Ausbreitung guter Sitten erwarten?

Damit nun dieser Geschmack weniger verdorben werden, damit der üble Einfluß der Romane auf die Sitten, von unsern guten Müttern weniger beseufzt werden möge, hab' ich diese Bemerkungen niedergeschrieben. Sie sollen, wenns möglich[6] ist, den Roman zur Wahrheit und Natur zurücke führen.

Ich gesteh' es sehr aufrichtig, daß ich glaube, ein Roman könne zu einem sehr angenehmen, und sehr lehrreichen Zeitvertreibe gemacht werden; und nicht etwan für müßiges Frauenzimmer, sondern auch für den denkenden Kopf.

Solcher Romane aber haben wir vielleicht nicht mehr, als zwey oder drey; – vielleicht gar nur einen. Diese vorhandenen Werke hab' ich mit allen dem Fleisse studiert, der nöthig ist, um es ausfindig zu machen, wodurch sie das geworden sind, was sie sind.

Noch ehe ich daran dachte, diesen Versuch zu schreiben, las' ich die Wielandschen und Fieldingschen Romane, den Agathon und den Tom Jones, zu meinem Unterricht und zu meinem Vergnügen, sah bey jedem Schritt, der darinn geschieht, zurück auf die menschliche Natur, und fand bey ihnen das, was Pope vom Homer sagt:


Nature and they were ... the same.
[7]

Und von den andern, in dieser Gattung erschienenen Werken, hab ich gewiß die wichtigsten, – und überhaupt so viele gelesen, als nöthig gewesen, um die Vortrefflichkeit jener einzusehen. – Es ist nicht etwan mein Vorsatz, indem ich diese beyde mit einander nenne, sie einander gleich zu stellen, und für einerley zu erklären; unstreitig hat Wieland einen Schritt zur Vollkommenheit voraus; aber Fielding verdient nächst ihm gestellt zu werden. Die Ausführung hierüber gehört an einem andern Ort. –

Aber wird man das, was ich aus diesen beyden Schriftstellern, und also aus der menschlichen Natur, gelernt und abstrahirt habe, auch gelten lassen, auch annehmen wollen? – Wenn es den Dichtern am Herzen liegt, gegründeten Beyfall zu haben, so denk' ich, können sie mit keinem hadern, der sich die Mühe giebt, ihnen wenigstens etwas von dem zusagen, was sie thun müssen, um den Beyfall der Besten zu erwerben. Und wenn die Ausbreitung[8] des guten Geschmacks und die Verbesserung der Sitten diejenigen Endzwecke sind, die sie billig, sich vorsetzen müssen, wenn man sie nicht zu unnützen Zeitvertreibern zählen soll: so sollten die Mittel, wodurch diese Endzwecke erreicht werden können, mit der größten Sorgfalt hervorgesucht werden. – Und wer wird nicht, wenn er sieht, daß Fielding und Wieland durch das, was er hier von ihnen angemerkt finden wird, geworden sind, was sie sind, das Gesagte wenigstens der Mühe werth finden, es zu prüfen? Wer wird nicht gerne ein Fielding oder Wieland werden wollen, – wenn er kann? –1[9]

Die Leser selbst, oder die Menge, wenn man will, könnte es leicht am übelsten empfinden, wenn alle Vorschläge befolgt würden, die sich aus den angeführten Mustern folgern lassen. Sie hat sich einmal das Richteramt über diese Schriften angemaßt; vielleicht glaubt sie, dabey zu verlieren, wenn ihr ein Kunstrichter auch nur einen Roman wegcritisirt. Wer wird sich gutwillig seine gewohnte Nahrung nehmen[10] lassen? – Ich kann nichts thun, als versichern, daß sie, so fremde und schwer ihr auch die neue Nahrung auf den ersten Augenblick dünkt, nichts dabey verlieren, sondern nur um desto gesünder davon werden wird. – Und auch dafür werden die Romanendichter wohl sorgen, daß es ihr nicht so bald an der gewohnten Nahrung gebricht. –

Aus allem, was ich bis jetzt gesagt habe, wird man folgern können, daß ich nicht willkührliche Grundsätze und Vorschriften vorzutragen Willens bin. Auch habe ich nicht etwan mit einer Untersuchung über das Wort Roman angefangen, und daraus die nöthigen Eigenschaften dieser Gattung Schriften hergeleitet. Nicht einmal die Schrift des Huet, de l'origine des Romans, hab' ich gelesen; ob ich gleich sie habhaft werden zu können, gewünscht hätte.

Meinetwegen mag auch das Wort Roman von Ῥωμη (Stärke) oder von der Stadt Rheims, oder von dem Namen der[11] Sprache, worinn die Barden dichteten, abstammen! Leser, die das bey mir suchen, könnten sich leicht betrogen finden.

Und eben so sehr diejenigen, die über die bloß äußere Einrichtung des Romans viel Bemerkungen erwarten. Es sieht inwendig noch zu öde und wüst darinn aus, als daß man sich um den Aufputz zuerst bekümmern sollte. Dieser Aufputz sollte billig immer das letzte seyn, und ist, leyder! fast immer das Erste; er ist fast immer für das Wesentlichste angesehen worden. Werden wir denn nicht einmal aufhören, dem Knaben in Gellerts Fabeln ähnlich zu seyn, der durch aus den Zeisig zur Nachtigall machen wollte? –

Weder über die Ausdehnung des Ganzen also, noch die zufällige Form, noch über den Schauplatz (das abgerechnet, daß ich deutsche Sitten empfehle) noch über die Menge und Auswahl der spielenden Personen, wird man hier was anders finden, als was, in Beziehung auf wichtigere Dinge, davon gesagt werden muß.[12]

Ich sehe den Roman, den guten Roman für das an, was, in den ersten Zeiten Griechenlands, die Epopee für die Griechen war; wenigstens glaub' ichs, daß der gute Roman für uns das werden könne. – Aber ich will hiermit nicht gesagt haben, daß diese beyden Gattungen von Werken gerade in Allem einerley, und sich ganz ähnlich wären. – –

Die Romane entstanden nicht aus dem Genie der Autoren allein; die Sitten der Zeit gaben ihnen das Daseyn. Gegenden, in welchen man keine Bürger brauchte; und Zeiten, in welchen keine Bürger mehr waren, verwandelten die Heldengedichte der Alten, eine Iliade oder Odyssee, in einen Roman. Der erste Romanendichter würde, wenn er in ganz bürgerlichen Zeiten geboren, und gebildet worden, an statt einen Roman zu schreiben, gewiß eine Epopee geschrieben haben. – Doch die Heldengedichte der Alten sind nicht durch diese Romane etwann so verdrängt geworden, daß sie nicht dabey haben[13] bestehen können, und wirklich bestanden sind; sondern diese sind nur so zur Unterhaltung ihrer Zeit geschrieben worden, wie jene zur Unterhaltung der ihrigen. Den Eindruck, den damals nur jene machen konnten, machen jetzt diese; in so fern nämlich nur, daß sie die Unterhaltung des Publikums jetzt sind, so wie es jene ehmals waren.

Natürlich sind hieraus Unterschiede in der Einrichtung dieser verschiedenen Werke entstanden. Der Roman ist von mannichfaltigerm Umfange, als die Epopee, weil sich für den Menschen mehr Gegenstände zur Unterhaltung, als für den Bürger finden. Und dieser Unterschiede sind noch mehr. Aber alle lassen sich aus dem Unterschiede herleiten, der sich zwischen den Sitten und Einrichtungen der damaligen, und der jetzigen Welt findet.

Wenn der Roman das für uns eigentlich ist, was die Epopee, nach Maaßgebung, für die Griechen war; – wenn wir jetzt nur vorzüglich der Theilnehmung[14] für das, was den Menschen eigentlich angeht, (ohne daß wir auf ihn, als Glied eines gewissen Staates denken) fähig sind: so wird man leicht die Foderungen voraussehen können, die ich mit Recht an den Romanendichter machen zu dürfen glaube. – Diese Veränderung in unsrer Theilnehmung kann das menschliche Geschlecht seiner Vervollkommung näher bringen. Der Romanendichter soll es mit dahin führen helfen.

Er soll uns den Menschen zeigen, wie er ihn, nach der eigenthümlichen Einrichtung seines Werks, zu zeigen vermag. Das übrige alles ist Verzierung und Nebenwerk. Die verschiedenen Formen, die der Roman haben kann, müssen alle von einer Materie seyn. Von dieser ist hier nun, als dem Wesentlichsten, die Rede; nicht von der Gestalt, von dem Model des Dinges. –

Und ich ehre die nackte Menschheit, die, von allem, was ihr Sitten und Stand, und Zufall geben können, entblößte Menschheit so sehr; ich möchte sie so[15] gern in ihr wahres Vorrecht wieder eingesetzt sehen; ich möchte so gern alle Welt davon überzeugen, daß ein heller Kopf und ein reines Herz die wichtigsten Stücke in unserm Posten sind: – und ich finde diese Meynungen so wenig immer noch ausgebreitet, daß ich natürlich öfter, als einmal auf sie zurück gekommen bin, und mich so gar einigen kleinen Abschweifungen überlassen habe, um sie desto Anwendungsfähiger zu machen. Denn, wenn wir vorzüglich dies, im Menschen sehen und suchen müssen: so müssen wir dazu gebildet, und der Mensch uns so gezeigt werden, daß wir erst dies an ihm sehen, und dann auch an ihm bemerken können, wie er zu dem Besitz dieser Eigenschaften gelanget ist? –

Für den Philosophen kann die Aussicht, die aus der Veränderung der Gegenstände unsrer Theilnehmung entsteht, nicht unangenehm seyn. Wenn wir zuerst Menschen sind, und seyn sollen; wenn wir nur, indem wir Menschen sind, unsre Bestimmung[16] erreichen können: so muß es ihm lieb seyn, daß die Theilnehmung der Menschen vorzüglich auf das geht, was den Menschen allein trift, und nicht den Menschen, als Bürger. – Vielleicht folgert er hieraus, daß ein Theil dieses Alls, dieser Erde seiner Vervollkommung näher ist, als je ein andrer Theil es war, – daß einige Krümmungen und Umwege auf der Bahn zum Ziel, und allgemeinen Endzweck der Natur, mehr durchlaufen sind; – daß alle die von den Morgenländern und Griechen besessene Vollkommenheiten und Vorzüge nicht das sind, was man eigentlich glaubt; – daß die Abänderung und Umschmelzung unsers Geschmacks hierinn, nicht Verfall, und die Vollkommenheiten der Griechischen Literatur nicht die höchsten Vollkommenheiten sind. –

Glücklich der Dichter, der etwas beytragen kann, diese Aussichten für den Philosophen zu erweitern; der, indem er uns den Menschen zeigt, und kennen, und es uns selbst werden lehrt, sein Volk doch nie,[17] mit seinen Besondernheiten, dabey vergißt, sondern in seiner Art so national ist, als es die Griechischen Dichter für ihr Volk waren.

Dadurch glaub' ich, kann der Romanendichter classisch, und sein Werk des Lesens werth werden. Dar auf habe ich vorzuglich bestanden, weil der Romanendichter sich vorzüglich mit dem Menschen beschäftigt; und so ist dieser Versuch entsprungen. Man sieht leicht, daß jene Kleinigkeiten und Nebenwerke nicht Platz darinn hatten.


Daß sich meine Begriffe sehr gut mit den Begriffen der Kunstrichter in andern Dichtungsarten vertragen: davon bin ich sehr gewiß überzeugt. Ich verlange aber nicht ganz neue und bis jetzt ungesagte Dinge vorgetragen zu haben. Ich habe größtentheils schon längst bekannte, und angenommene Grundsätze und Bemerkungen auf die Romane angewandt. –


Ich schreibe auch nicht für die Meister der Kunst, und will nicht für sie geschrieben[18] haben. Dazu fühl' ich mich zu schwach. Aber eben weil ich nicht für sie, sondern für junge, angehende Romanendichter schreibe: so habe ich an einigen Orten weiter ausgehohlt, als es jenen vielleicht nöthig dünken wird. Aber ich bitte sie, zu bedenken, wie es mit unsern gewöhnlichen Romanenschreibern aussieht. –

Noch einige Kleinigkeiten! – Ich habe sehr oft Beyspiele aus dem Epopee oder dem Drama angeführt, wo sie das bewiesen, was sie beweisen sollten, und sie nicht aus dem Roman genommen. – Die Ursachen sind mancherley; eine davon ist auch diese, daß man, im Ganzen gerechnet, Epopee und Drama mehr kennt, als den Roman. – Ich habe ferner der Ausländer öfter gedacht, als meiner Landsleute; aber ich hasse und verabscheue Kritiker- und Autorenkriege. Die aus den Ausländern und Alten gebrauchten Stellen, hab' ich fast immer mit ihren Uebersetzungen zugleich angeführt. Auch diese Vorsicht wird wohl nicht ganz bey unserm Publiko unnütz seyn;[19] – wenigstens bey den gewöhnlichen Romanschreibern.

Ich habe ferner oft Werke von großem Rufe getadelt. Darunter gehören vorzüglich Richardsons Romane. Aber ich habe nicht die Absicht gehabt, sie herunter zu setzen. Wer mich zu entscheidend, oder zu richterlich sprechen zu hören glaubt: der setze dies nicht auf Rechnung von Stolz und Eigendünkel. Ich schätze Richardson; aber die Wahrheit höher, als ihn. Ich habe jedesmal, ohn' alle Nebenabsicht, aber nach inniger Ueberzeugung, und vorhergegangener Prüfung niedergeschrieben.

Uebrigens zerfällt mein Werk von selbst in zwey Theile. In dem erstern finden sich Betrachtungen über das Anziehende einiger Gegenstände; Im zweyten ist die Rede von der Kunst des Dichters, in Rücksicht auf die Anordnung und Ausbildung der Theile und das Ganze des Romans.

1

Der Verfasser von Sophiens Reise hat uns, wenn ich Ihn recht verstehe, ein Werk, in der Geschichte des H. Groß, versprochen, wodurch die Zahl der ächten Romane vermehrt werden wird, wenn er sein Wort hält. Wir sollen nämlich in diesem Werke eine Reihe von Begebenheiten und Vorfällen sehen, wodurch H. Groß gleichsam geführt wird, um am Ende, durch ihre Einwirkung auf ihn, vor unsern Augen, das zu werden, was er ist. Natürlich wird also diese Reihe von Begebenheiten, eine, durch die Person des H. Groß verbundene Kette von Ursach und Wirkung seyn, deren Resultat der Charakter des H. Groß ist. Wenn je eine Schrift meine Erwartung erregt hat, so ist es diese. Sie muß, ihrer Einrichtung nach, unendlich weit die bisherigen Romane dieses schätzbaren Mannes übertreffen; und ich erinnere den Verfasser daher an sein gegebenes Wort. Deutschland wird gerne noch warten, wenn es solch einen Roman erwartet.

Quelle:
Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman, Leipzig und Liegnitz 1774. , S. 21.
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