V.

[503] Seevögel umkreischten schrill ihre Nester, der Schaum klatschte an den stiebenden Sand, eine schwarze Ente schwang sich auf der glasigen Woge. Mit seiner Braut, der Erde, schien der Ozean zu schäkern. Er schmückte sie mit Muscheln. Bald ebbte er zurück, um ihren Reiz überschauend zu mustern, bald rollte er wieder zum Kusse heran.

Krastinik lag am Strande, das Buch war ihm entglitten. Und statt seiner las er vom weißen Blatt des Dünensandes, der unter dem glühenden Sonnenstrahl zu knistern schien, die Gedanken-Arabesken ab, welche wie Schatten seines Geistes darüberhin huschten.

Er schloß die Augen. Die Nacht der innern Stille umfing sein waches Hirn, jene Nacht, aus der allein sich Sterne empordrängen.

Lang und sorgsam dachte er über das Gelesene nach, um sich über die Zweifel Rechenschaft zu geben, die ihn bedrängten.[504]

Wie ein Dom erhabener Stille, wölbten sich Meer und Aether ineinander. Wie das stille Murmeln altersgrauer Vergangenheit, wie das Zirpen von Heimchen in zerfallener Ruine, plätscherten sanft die Wogen. Aus dem Becher des Meergottes sprühte ihm ein gastlicher Willkommengruß schaumtropfend entgegen.

Dem nach innen Schauenden war es, als ob der Geist seines todten Idols, dessen treuer »Heroen-Anbeter« er gewesen, lautlos über den Wassern schwebe und wandele über Meer und Land. Und eine Stimme, wie das Geräusch vom Flügelschlag eines Engels oder das Säuseln in Karmels Klüften, wie das Murmeln der Muschel, die sich nach der Mutterwoge zurücksehnt, – eine geheimnißvolle Stimme sang den versöhnenden Psalm:


Wundersame Morgenfrühe,

Dehnst die Seele mir so weit.

All der Erde starre Mühe

Löst die holde Einsamkeit.

Sie umhüllt der Erde Schmerzen

Wie ein lichtes Schleiertuch.

Liebe wandelt still im Herzen

Und Vergebung sei mein Fluch.


Was vermag der Menschen Grollen,

Allgerechter, gegen Dich!

Deinem Licht, dem liebevollen,

Sonnengott, vertraue ich.

Meine Sünden, meine Fehle

Richten kannst Du nur allein.

Denn Du schaust in meine Seele,

In das Herz der Welt hinein.
[505]

Wohl, diese Stimme sang das Hohelied einer wahren Versöhnung, einer Erhebung des Menschen aus irdischer Wirrsal, aus tiefer Ich-Not aufschreiend zur All-Liebe. Aber diese Stimme – tönte sie wirklich aus dem Geist des Verblichenen, oder tönte sie vielleicht aus des Nachtrauernden eigener Brust? Zum ersten Mal begann dieses begeisterungsfähige Gemüth kritisch an sein Idol heranzutreten und sich objektiv darüber zu stellen. Warum schwang sich denn Leonhart zu solcher Versöhnung niemals auf?!

Wenn heut einem großen Dichter nun einmal keine andere Wahl gelassen scheint, nun, so besinne er sich nicht lange am Scheideweg des Herkules! Warum verzichtete er nicht gänzlich auf solche flüchtigen Werthungen der äußern Geltungseitelkeit? Warum schloß er sich nicht ab von der Welt und sank in majestätischem Schweigen, das Lächeln einer erhabenen Verachtung am den Lippen, ins Grab des Todtschweigens und der Verlästerung? War er doch von zu grobem Metall für solche goldklare Feinheit Gesinnung?

Schopenhauer sprach das große Wort gelassen aus: Was sei alles Genie gegen vollkommene Güte des Herzens, welche Andern gegenüber jene grenzenlose Nachsicht übt die man sonst nur gegen sich selbst anwendet. Von dieser Herzensgüte besaß Leonhart viel, aber noch lange nicht genug. Freilich, da sich die kindische Selbstsucht und Eitelkeit der Menschennatur nirgends so schamlos entpuppt, wie in der sogenannten Litteratur, so bleibt es hier am schwersten, jene höchste Bethätigung der Herzensgüte[506] zu üben – nämlich Gerechtigkeit, die sich auf den Standpunkt des Andern zu setzen und jene großen Gesichtspunkte zu bewahren weiß, vor welchen persönliche Freundschaft und Feindschaft verschwinden. Auch ist es mit der »grenzenlosen Nachsicht«, die Schopenhauer als vollkommene Herzensgüte rühmt, immer ein eigen Ding, da durch sie ja nichts gebessert wird. In der Kunst wird eine gewisse Art von Nachsicht ganz einfach zum Verbrechen. Wer das Große und das Kleine, das Genie und Talent, das Talent und Nichttalent gleichmäßig »anerkennt«, versündigt sich am Besseren durch Gleichstellung desselben mit dem Guten. Kann man es also Leonhart verdanken, wenn er manchmal heftig und zufahrig draufschlug?

Jaja, die Herzensgüte! So rührend jene Phrase im Munde eines großen Mannes wirkt, dessen eigene Herzensgüte so mäßig entwickelt schien, so darf man dies Augenblicks-Aperçu doch wohl nicht ernst nehmen.

Wiegt Passive Herzensgüte im geistigen Haushalt der Menschheitsentwickelung nicht vielmehr federleicht gegen jede produktive Bethätigung wahren Talents? Auch wenn letzteres scheinbar zerstörend auftritt. Nun ja, das wohl. Aber Herzensgüte voll Nachsicht gegen fremde Gebrechen und voll Strenge gegen sich selbst – mag sie als seltenste Ausnahme nicht ab und zu vorkommen? Und wäre das nicht ein Ziel, aufs innigste zu wünschen? Steigt diese Güte wirklich bis zu einem hohen Grade, so tritt sie freilich stets produktiv auf, wie bei[507] Christus und Buddha, da sie die Lüge und Gemeinheit der Welt zu reformiren trachtet.

Genie ist Initiative. Allerdings muß das Glück nachhelfen. Der bloße Mann der That ist ja bloß der Sklave der Außenwelt, aber der Denkerschöpfer ist darum noch lange nicht Herr der Außenwelt. Seine Studirstube mag ihm als der Archimedische Punkt erscheinen, von dem aus man die Welt aus den Angeln hebt. Doch die Außenwelt stört eben wie jener römische, Legionär die Kreise des Archimedes und schlägt ihm den Kopf ab. Ohne Glück und Erfolg erlahmt die Initiative des Genies.

Aber lag nicht auch in Leonharts Initiative eine selbstbetrachtende Absichtlichkeit? Wäre er naiv fürbaß, geschritten, so würde die Initiative auch frischer, und ursprünglicher herausgesprudelt sein. Der kommt am weitesten, welcher nicht weiß, wohin er geht – sagt Oliver Cromwell.

Gewiß lag etwas Zielbewußt-Heroisches in Leonharts Leben. Krastinik kannte es aus der umfassenden Darlegung seines Freundes genau, der freilich immer an sich unleugbare Thatsachen noch pessimistisch färbte. Seit frühster Kindheit war dieser Mensch von dem Bewußtsein seines Dichterberufes durchdrungen gewesen. Seit seinem dreizehnten Jahre durchkostete er eigentlich die gleiche Bitterniß, wie jetzt am Ende seiner kurzen überreichen Laufbahn. Als Knabe umgeben von kindischer Roheit und Dummheit, einfältige Holzköpfe als »Lehrer« über sich, ihr werthloses Kanderwälsch dem feurigen Adlergeiste aufpfropfend, dessen ironisches Lächeln diese Bildungs-Hauswurstiaden[508] aus überlegener Höhe verhöhnte. Als Jüngling die geckenhafte Unreife halbwüchsiger Krafthuber um sich her, über sich die Weisheit wohlpatentirter Weltautoritäten, die seine hohe Ueberlegenheit ebenso durchschaute. Als Mann um sich her die Rotte der Streber und Aftertalente, über sich immer noch die hohlen Gesetze der bestehenden Gesellschaft, die er verachtete. Immer, wachsend mit den Jahren, weit voraus und weit über den momentanen Dingen, also stets entfernt von dem Verständniß der Mitwelt. Allerdings kam es ihm zu Statten, daß er stets und immer das Ziel fest vor Augen hielt, sich zum Dichter auszubilden. Mit beispielloser eiserner Zähigkeit, die in ihm den echtpreußischen Berliner kennzeichnete, ließ er nie auch nur einen Augenblick sein Arbeitsstreben los. Die grünen Jungen, die über ihn salbaderten, wären vielleicht mit staunender Ehrerbietung scheu bei Seite gewichen, hätten sie, je klar anschaulich dies bewunderungswürdige System vor Augen gehabt, wo Fuge in Fuge griff, wo sich die frühsten Anfänge der Knabenjahre mit fünfzehn späteren Arbeitsjahren innerlich verknüpften. Das Räthsel seiner »überreizten Fruchtbarkeit« löste sich freilich dann sehr klar. Ausgestattet mit einem erstaunlichen Gedächtniß, ohne Gleichen an Arbeitslust und vor allem an Ordnungssinn, einem Hauptattribut des Genies, thürmte er unablässig das schwindelnd hohe Gebäude seines umfassenden Geisteslebens Stein auf Stein. Eigentlich war und blieb er stets gleich groß. Seine Jugendgedichte und Jugenddramen in einem Alter, wo man sich höchstens für »Räuber und Indianer« und[509] Coopers Lederstrumpf erwärmt, mußten geradezu unglaublich genannt werden. Die historischen Essais in seinem Schubfach gab er später zur Zeit seines Glanzes als neuste Beiträge heraus, ohne daß Jemand ahnte, der dreizehnjährige Leonhart rede zu ihm!

Alles war hier anders als bei den Durchschnittstalenten. Ein solches, wie etwa der überfruchtbare Paul Heyse, spielert wohl als Primaner reizend geleckte Nippsächelchen und Märchen zurecht, um sich darob als junger Goethe bestaunen zu lassen. Aber gerade das, womit man der albernen Welt sofort imponirt, die gefällige Form, mangelte diesem wahren Genie, wie jedem Großbeanlagten, anfänglich vollkommen. Wenn er sich quälte, lyrische Liedchen nach bekanntem Muster zu pfeifen, mißlangen sie gänzlich. Von der Großartigkeit seiner gedanklichen. Conception verstand natürlich ein zum Urteil herangezogener Kunsthandwerker ebensowenig, wie von der unabgeklärten, aber genialen Gestaltungskraft seiner Charakteristik. Es wäre ein Glück für ihn gewesen, wenn er wie so mancher Dilettant, auf eigene Kosten seine Jugendsachen wenigstens mit sechszehn Jahren hätte publizieren können. Denn in diesen stak wenigstens der wirkliche ganze Leonhart, der halbflügge Genius, so daß alles Philistergenörgele immerhin hätte zugestehen müssen, für einen Knaben seien diese Versuche einfach unerhört. Aber so gut wurde es ihm nicht. Niemand verstand das Bahnbrechende in diesen seltsam bizarren Sachen und so überwand er sich denn endlich, etwas »Liebliches« zu fabriziren, um einen Verleger zu finden.[510]

Mit der Publikation dieses minniglichen Opus (er zählte mittlerweile achtzehn Jahre) begann nun die endlose Aergerkette seiner öffentlichen Laufbahn. Die Einzelheiten, welche er als besondere Tabelle gebucht hatte, wirkten allerdings vernichtend für die gänzliche Unfähigkeit der »Kritik«, das Ungewöhnliche zu begreifen, und der stumpf apathischen Welt, Perlen statt ihrer Trog-Kartoffeln zu verdauen.

Immer und immer wieder sah er in sich das Sein im Bettlergewand, um sich her den Schein im Galakleid. Wohl mochte er rufen mit dem größten aller Dichter: »Müd alles Dessen schrie ich nach ruhevollem Tode. Zu sehn, wie wahre Kraft von hinkender Schwäche entwaffnet, wie der Kunst die Zunge gefesselt von falscher Autorität, wie Narrheit als Doktor die Weisheit curirt.«

Nun ja, das alles mochte wohl als wahr gelten, vom Standpunkt der äußeren Gerechtigkeit. Aber liegt nur hierin die immanente Gerechtigkeit der Dinge, von der Gambetta sprach? Bleibt nicht der Werth und das Ideale in sich selbst Sieger?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

An einsam moosigem Gestein verträumte der Müde den Abend. Wie die Sonne wild verblutete! Ueberm Meer ein Flammenmeer. Ein Scharlachbaldachin auf goldnen Strahlenschnüren schien langsam droben hinzuschweben. Dann wieder schien eine Stadt aus Purpurwolken den Rand des Horizontes zu schmücken.

Leichte feuchte Wassernebel kräuselten sich, emporsteigend.[511] Roth überhaucht wie gefrorenes Blut schien sich die ruhige Fluth zu dehnen, ruhig wie das Todte Meer, das wie Eisenöfen raucht, wo ihren Saft die Palme gerinnen fühlt. Das Todte Meer mit seinem giftigen Qualm – ja, dem gleicht das Leben der großen Welt und der großen Stadt. Und das Rothe Meer – ja, durchs Rothe Meer muß man hindurch, wenn man zum gelobten Lande will. Aber die Feuersäule des Genies, die den Weg weist – wo lodert sie? ......

Die Lectüre dieses Tagebuches wirkte niederdrückend. Das Herz krampfte sich zusammen vor diesem Aufwühlen aller geheimen Schreckensmächte, die unser Dasein unterhöhlen.

Gewiß kann solch ein Grimm als ehrwürdig, als ein heiliger Zorn erscheinen. Von ihm werden die großen Männer zu welterschütternden Thaten hingerissen. Man liebt einen guten Hasser. Es ist der Haß gegen die Feigheit und Falschheit der Welt.

Die Hindus beten die Brillenschlange, die Hagin den Tiger an. Die Chinesen opfern im Sturm dem Drachen der Tiefe, statt ihr Schiff zu lenken, und lassen sich als Gefangene lieber pfählen, statt tapfer zu fechten. Ewig verehrt die stumpfe Herde Fetische. Aber der vom göttlichen Hauch Beseelte wird wieder und immer wieder seinen Wormser Protest aus der Klause von Ermenonville, aus dem Erker der Wartburg, von der Insel Ufenau treu bis zum Tod den unfehlbaren Päpsten dieser Welt entgegenschleudern: »Ich hab's gewagt! – Ich kann, nicht anders, Amen.«[512]

War Leonhart ein solcher Geist, war es ein heiliger Zorn, der ihn beseelte? Wohl darf man fürchten, nein.

Und schlägt dieser Wahrheitsdrang des »Entrüstungs-Pessimismus« nicht manchmal ins Manierirte, Krampfhafte um? Schneidet er nicht Grimassen scheuer Lüsternheit, wirft er nicht Togafalten des Weltschmerzes?

Ibsen ist ja so verlogen, daß er die Verlogenheit der Menschen stets noch ins Unwahre übertreibt Etwas davon stak auch in Leonhart's griesgrämiger Skepsis. Während dieselbe die naturentstellenden Schönpflästerchen hinwegzuschwemmen suchte, fehlte es ihr selbst nicht ganz an Schminke. Echtes Gefühl und falsche Empfindelei zu unterscheiden, fiel manchmal schwer. Gleichwohl suchte man ja hier umsonst nach der Zwiebel, welche die schönen Zähren entlockt, wie bei moschusduftigen Flennern. Ueber diese harten bizaren Züge, welche ein wahrer Schmerz verzerrt, rannen wirkliche Thränen. Aber verwischten sich nicht vor dem absichtlich kurzsichtigen Mikroskopauge des Dichters hier allmählich die Unterschiede von Vernunft und Narrheit?

Und wenn er auch elementare Naturlaute lallte, warum fand er niemals Noten auf dem Instrument seines umfassenden Geistes für morgenfrische Glücksbegeisterung? Freilich, wo sollte die auch herkommen in einer Zeit, die nur feiles Gesindel heranzüchtete?

Ja, es blieb wahr, wie man es drehen und wenden mochte, dieser Grimm war an sich gerecht. Die Verzweiflung hatte ihn geboren. Der Ekel an seiner jämmerlichen Umgebung, dem »Collegen«-Gesindel, in das ihn[513] sein vermaledeiter Beruf verstrickte, mußte sich einmal Luft machen. Und was er an Klagen und Anklagen vorgebracht war ja an sich gerecht.

Allein, seiner grausamen Ironie fehlte gänzlich das Wohlwollen. Und somit erhob er sich nur wenig über den allgemeinen Menschenhaß eines Schmoller. Gewiß gehörten sie Beide, Löwe Leonhart und Tiger Schmoller zu der adeligsten Rasse, der Rasse der Naubthiere. Aber wie sah es denn mit dem Charakter dieses unerbittlichen Zuchtmeisters selber aus, der so lieblos seine Geißel schwang über Gerechte und Ungerechte?

Ueberall spürte man mit Trauer, aber nicht immer mit Mitleid, wie der Schatten des Wahnsinns diesem grellen Irrlichteln näher rückt. Er wüthete endlich auch gegen sich selbst und prophezeite mit heiserem Gelächter seine Anlage zur Geistesstörung.

Eine alte Erfahrung lehrt, daß die Welt nur als ein Spiegel dient: Was herein schaut, schaut heraus. Das Ich selbst giebt allein die Auffassung des All. Ein guter Mensch entdeckt überall gutmüthige Züge, ein schlechter überall nur bewußte oder unbewußte Schlechtigkeit. War nicht Leonharts und Schmollers wüthende Misanthropie gerechtfertigt, da sie von sich selbst aus urtheilen mußten? Eine Gesellschaft, die aus lauter solchen Naturen bestände, möchte sich wohl bald genug untereinander zerreißen. Erreichen diese Gallenergießungen nicht manchmal einen Grad, der bereits anfängt, dem albernen Lallen des Irrsinns zu ähneln? Pathologisch gesprochen, rumort der Wahnsinn in dieser Menschenverachtung, die in letzter[514] Instanz unbändigem Größenwahn entspringt. Indem ein solcher Halbgott die Menschen wie aufzuspießende Insekten angrinst, wird er selber ein Halbthier.

Schnellt der grauenhafte Wuthschrei einer aus Rand und Band gerathenen Weltverzweiflung nicht auf ihn selber zurück? Hört man in diesem gräßlichen Gelächter nicht den Widerhall des eigenen bosheitgetränkten Gemüthes?

Unablässig geheizt von dem Brand eines grenzenlosen Hasses und dennoch von gleichmäßiger kaltblütiger Härte, arbeitete diese Denkmaschine rastlos fort. Doch glich ja die in Leonhart kochende Bitterkeit gar wenig dem kannibalischen Gebelfer eines Schmoller, dessen wuthschäumender Biß vergiftete wie der eines tollen Hundes Fauchte Jener wie ein schwarzer Panther, dies häßlichste unzähmbarste aller Raubthiere, dessen gelbe Schwefelaugen man aus der Finsterniß der Käfigecke in nimmersatter Mordlust funkeln steht, – so brüllte Leonhart wie ein Löwe. Aber auch ihm fehlte des Löwen Majestät, des Leoparden Grazie. Gepeinigt von jenem Magenkrampf galleüberfüllter Bestien, letzte er seine stachlige Zunge im Blut der Opfer. Ergriff ihn die rasende Wuth seiner Weltverzweiflung, so zerriß er die ganze Heerde und soff Blut, bis er berauscht niedertaumelte. Er wollte Blut sehen, das Zerreißen selbst war seine Lust. Und sein Tatzenhieb vergiftete zugleich die Wunden, die er schlug, wie des Tigers Klaue ein Gift verbergen soll.

Lag nicht in dem ewigen Gejammer und Weltanspucken Leonharts eine unmännliche Schwäche verborgen?[515]

Das Leben ist ja kein Liebeslied, sondern ein Schlachtgesang.

Das Genie findet fortwährend das Ei des Columbus. Warum nicht hier! Hätte er doch lieber alles Unedle deterministisch aus Abstammung, Erziehung und Umständen erklären sollen!

Faßte er nicht alles gleich von der schlimmsten Seite auf und nahm stets die schlechtesten Motive an, welche vielleicht ja unbewußt mitspielten, aber noch nicht als wirkliche bewußte Infamie aufgefaßt werden brauchten?

Krastinik überlas nochmals das Urtheil des Tagebuchs über Schmoller. Er lächelte. Nie hatte er Leonharts Vorliebe für diesen Mann bis zu solchem Grade begreifen können. Der aristokratische Instinkt lebte noch zu mächtig in ihm. Er sah in Jenem nur den echten Litteraturvertreter des Socialismus. So wie der freche Maurergeselle sich alleine »Arbeiter« nennt, als ob andre Leute vom Müßiggang lebten, und den Begriff der geistigen Arbeit nicht zu fassen vermag, dabei aber von Gleichheit und Menschenrechten schnapsfaselt, – so blickte dieser Arbeiterdichter im Dünkel seiner Bornirtheit auf alles herab, was nicht mit dem Modethema des Tages, der sogenannten socialen Frage, zusammenhing. Der Größenwahn des Socialismus ins Litterarische übersetzt. So hatte der Graf stets geurtheilt, obschon er dem großen Talent Schmollers Gerechtigkeit widerfahren ließ.

Doch mochte nun Leonharts mildere Auffassung die richtige sein, – warum wandte er sie denn nur Schmoller gegenüber an? Warum sah er nicht die Gebrechen der [516] dii minorum gentium mit gleich verzeihendem Auge? Gewiß ein zugleich ekelhaftes und komisches Schauspiel, diese Krämpfe der Ohnmacht, die sich ihres Nichts nicht bewußt werden will und alles besser könnte, wenn sie nur Zeit hätte. Oder diese idealen Pumpiers, die jeden »Collegen«, der nicht grade verhungert, als reichen Filz verschreien, wenn er ihnen nicht die Mittel zum faulen Schlampampen bieten will. Und doch – von »Lumpen« zu reden ist leicht. Aber wieviel bittre Scham, wieviel Erröthen vor sich selbst, wieviel Qual gekränkten Stolzes, welche Reue um gefallene Ehre mag heimlich solch ein Lump- und Pumpleben begleiten! Und wie natürlich erscheint der verzehrende Neid gegen den, der nicht nur größer, sondern auch in glücklicheren Verhältnissen! Recht wohl kann die Raserei herostratischer Neidwuth sich mit der tiefen und reinen Läuterung weihevollen Schmerzes in anderer Hinsicht verbinden. Denn widerspruchsvoll ist der Menschengeist. Drum will auch alles Menschliche so verstanden und entschuldigt werden. Warum empfand Leonhart nicht selbst das harte Loos nach, das Loos der Edelmann und Haubitz? Nachdem man sich von Kindesbeinen an als geheimer Agent Apollos weihepriesterlich gespreizt, nun plötzlich zu entdecken (– denn, ohne es zu gestehen, besitzt der Neid ja Argusaugen für das Größere –), daß ein Anderer von dem trügerischen Apollo noch viel bedeutendere Vicekönigs-Vollmachten erhielt! Das scheint gleichsam ein Betrug des Schicksals, ein Verrath der Muse, und sich dafür zu rächen, blieb als letztes Labsal dem Ex-Minister des Parnaß![517]

Warum entbehrte denn Leonhart dieses humoristischen Mitleids? Allerdings darf man sich nicht verhehlen, daß Jeder sich selbst der Nächste ist. Steuert man daher nicht den zügellosen Orgien neidgelben Größenwahns, so verzögert sich die Erkenntniß der Wahrheit, an der man sich somit durch lässiges Zusehen versündigt. Und hier handelte es sich freilich nicht um die Person des Dichters, sondern in ihm um die Zukunft der Poesie. Man konnte Leonhart gewiß nicht verwehren, daß er sich deren erwehrte, die seinem Dichterthum ans Leben wollten. Aber er hätte denn doch – das Recht ihm zugestanden, daß er selbst lebe – den Satz der Humanität mehr beherzigen sollen: »Die Andern wollen auch leben.« Die sprüchwörtliche Antwort darauf »Je ne vois pas la nécessité« ziemt sich für einen Weltmann, aber nicht für einen Prediger des Idealen.

Wohl kennt die Welt keinen andern Prüfstein des Werthes, als den Erfolg. Wer früher über einen Alvers spöttelte, gehörte jetzt gewiß zu seinen lautesten Schmeichlern. Was manche »Unabhängige« an Leonhart benörgelten, das beräucherten sie ja jetzt schon nach seinem Tode. Denn die Menschen sind zwar sehr beschränkt und sehr boshaft, doch nicht so sehr, daß sie nicht zu Sinnen kämen, wenn ihnen das Flammenschwert der Wahrheit direkt ins Auge fuchtelt. Gewiß, der Mannesstolz vor Fürstenthronen wird immer verdächtig, wenn er sich an Könige- ohne -Land richtet. Trotzalledem brauchte Leonhart wahrlich nicht in eine solche Rage zu gerathen, wenn seine »Judasse«, wie er das charakteristisch im Vertrauen[518] Krastinik gegenüber nannte, ihm als sauertöpfische »Aufrichtigkeit« angebliche Wahrheiten ins Gesicht warfen, die er als hohl und wesenlos erkannte.

Kurz, wohin der Graf auch blicken, wie auch immer er sich das Bild seines todten Idols vergegenwärtigen mochte, überall fand er jetzt Kleinliches und Schwächliches. Alles in der Welt hat zwei Seiten; es kommt darauf, von welcher Seite man es sieht. Erhabener Stolz – Eitelkeit unbefriedigter Ruhmsucht – wie nahe hängt das zusammen! Nein, Leonharts geistige Größe hatte zu moralischer Größe sich nie emporgeschwungen. Das höchste, das moralische Genie blieb ihm versagt. Wohl war's der Größenwahn des Genies, aber selbstüberhebender Größenwahn lallte auch hier.

Die Krankheit des Jahrhunderts hatte auch ihn verzehrt, in ihm ihre herrlichste Beute gefunden. Sein Ich über alle menschlichen Schranken hinaus dem Schöpfer entgegenspreizen – das ist nicht Größe, das ist Großmannssucht. Die wahre Größe und die wahre Weisheit ist demüthig, weil sie es sein muß, ehrfürchtig dem Unerforschlichen sich beugend. Den Kampf an Jaboks Furth, Gott wider Mensch, besteht auch der stärkste Ringer nur mit verrenkter Hüfte. Wer Gott nur als Tyrannen anerkennt, der vom Gewaltthron niederglotzt auf den Freien, den er foltert, – der wird den Verborgenen nimmer schauen, der in Allem sich offenbarte, wird nie in inniger Gottverschmelzung den Weltumlauf vollbringen, wird nie sich freudig verbluten im heiligen Feuer der Lebensgemeinschaft mit Gott.[519]

Krastiniks Idol lag in Stücken. Das war kein Messias, das war ein schwacher sündiger Mensch wie alle, nur mit dem Zufall einer abnorm feinen Gehirnstruktur, vielleicht auch mit doppeltem Hirngewicht, wie sich bei Byron's phänomenal kleinem Schädel bei der Leichenobduction ergab. Das war alles. Höchstens seine innere Wahrhaftigkeit vor sich selbst, wie sie ja auch theilweise den verschwiegenen Blättern dieses Tagebuchs anvertraut, die unbestechliche Selbsterkenntniß erhob ihn über die Menge. Aber die rechte Selbsterkenntniß war es doch nicht. Denn die hätte ihn über sich selbst erhoben. Sich erkennen heißt Gott erkennen, aus dem menschlichen Nichts sich zum Ewigen hinüberretten in Demuth und Entsagung.

Das alles wurde dem einsamen Denker nur halbbewußt und instinktiv klar. Er empfand es wie den Gnadenstoß, wie den Todesstreich seiner Geistesentwickelung. In dem Todten hatte er einen Uebermenschen und Heros gesehen, dessen Cultus er auch nach dem Tode mit der Pietät eines Jüngers bewahren durfte. Und nun lag dies Idol vor einer höheren Erkenntniß in Stücke gebrochen. Wo war hier der Kampf für eine große Sache? Nur der Kampf für die kleine Sache des eigenen großen Ichs, das Durchsetzen seines Herrscherrechts, nur souverainer Egoismus, wenn auch erhabener Art, hatte dies dämonische Leben ausgefüllt. Und so hatte es denn an sich selbst die Strafe vollstreckt, die gerechte Strafe.

Hänge Dein Herz nicht an Menschen! Alles Vergängliche[520] ist nur ein Gleichniß. – Krastinik barg sein Haupt in seine Hände und weinte bitterlich.

Da – – wie, ein Telegramm aus Siebenbürgen, direkt »Bad Scheveningen« adressirt? Was mochte das bedeuten? – –

Im Leben selbst überstürzen sich die Ereignisse so, daß man das Seltsam-Absichtliche des Zufalls kaum gewahrt. Aber dies war mehr als Zufall, das war Schicksalsfügung, wie so manches Frühere.

Sein Bruder auf der Jagd mit dem Pferde gestürzt. Gefährliche Verletzung. Das sofortige Erscheinen Xavers wurde dringend erbeten. – –

Was sollte er auch noch länger hier treiben! Der Geistesarbeit hatte er ja Valet gesagt. Ja, die Phrenologie hatte gelogen, wie alles Andere auch. Auch sie ist Phrase und Humbug. Nur fort, fort von diesem Meere, dem Sinnbild der Ewigkeit, das ihn medusenäugig anstarrte.

Und doch wie schwer, von ihm zu scheiden! Wie schwer sich loszureißen, wenn man das Ewige angeschaut und den letzten Fragen ins Auge sah! – –

Das Meer hielt seine Siesta. Rings schillerten zahllose Sonnenpünktchen wie Myriaden goldener Mücken über der Tiefe. Freilich, so friedlich der glatte Spiegel, drunten in der Tiefe ist's fürchterlich. Da tobt der Kampf der Lebewesen, Einer frißt den Andern. Ein Bild der menschlichen Gesellschaft, die ja auch nur ein Abbild des Thierreiches.[521]

Die Felsblöcke, träge in der Brandung badend, glichen versteinerten Robben. Einer trug eine Wallroßftirn, ein Anderer eine Alligatorschnauze. Auf einem Steine, der von Wellen fast ganz umspült, stritten Sonne und Meer um die Herrschaft. Bald wurde der trockene Flecken in der Mitte der Steinspitze überschäumt, bald vergrößerte er sich sogar durch die jede Nässe verzehrende Leuchtkraft der Sonne. So kämpft in einer Seele, die von den Wogen des Lebens überschüttet, warme Lebenslust mit naßkalter Erstarrung.

In der Ferne hüpften die Sprungwellen unablässig an einer Sandbank empor und über sie hin schwammen die Butterflecke der Sonne, wie Fettaugen auf einem Suppenteller. Der eigenthümliche Geruch des Seetangs (wie ein erotisches Excrement des selbstverliebten Meeres) mischte sich dem Salz-Ozon.

Ein enteilender Dampfer ließ über die spiegelglatte Fläche das nachschleppende Silberband seiner Furche hingleiten. Ueber dem Ufer-Wald stand ein Regenbogen und eine Möve flitzte wie ein weißer Pfeil darunter hin.

Die Segel der grünen Boote hoben sich goldgelb von der hellblauen Fläche ab, die wie in einer Waschschüssel teich-ruhig lag. Grüne Wasserstreifen zeichneten sich langgezogen in die windstille Fluth. Die Wolken bekamen einen matten Ton, goldgelb flimmerten die Dünenhügel, wie mit einer Bernsteinlasur überhaucht von der sinkenden Sonne.

Es dunkelte. Laubumkränzte Kähne kehrten heim mit Musik und Lampions von einer Ruderwettfahrt. Feuerwerk[522] stieg auf, Meerleuchten verklärte die dämmernde Ferne. Ein Dampfer draußen auf dem offenen Meer spritzte sein elektrisches Licht in trichterförmigem Strahl weithin, als bespritzte eine Gießkanne weite Rasenflächen.

Ernstes feierliches Meer! Wie du in Mondscheinnächten die Erde umwallst, so wallt ums weite All mit Fluth und Ebbe das große Weltgeschick.

Wie mit Schlüsseln von lauterem Gold schien der Mond das Geheimniß der Tiefe zu erschließen. Wollustweich wie Brüste flossen die wölbigen Wellen.

Drunten klagen Osterglocken, wo eine bunte Welt versunken ruht. Doch nur der vernimmt die Glocken, wer auf Erden heimwehkrank. Blast, Winde, blast und, Fluthen rollt! Die Meerfei drunten im krystallenen Schloß lispelt verführend: Wie so süß ist der Tod!

Wolkenrappen spannten sich an den Wagen des Sturms, der langsam heraufzog. Dies allgewaltige Meer alleine böte Raum, um die Unermeßlichkeit einer unirdischen Sehnsucht zu betten. Grenzenlos wie eines Genius Gedanken schäumen die heiligen Wogen. Was tobst du, Sturm, was brüllt ihr hinauf zu den Sternen o Wogen? Was seid ihr gegen den Sturm in eines Menschen Brust! Ihr kommt und geht, eine verschlingt die andere, in ewigem Auferstehen ringt ihr zu nie gefundenem Ziel. Warum, wozu? Warum immer neue Zeiten und neue Wesen, lärmend und brandend, bis daß sie in Schaum zergehen?

Der wechselnde Strom des Lebens braust hinab in[523] die ewige Leere und wir versinken mit unsrer Zeit in dem einen, dem ewigen Grab.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 3, Leipzig 1888, S. 503-524.
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