[16] Giesecke – Charlotte – Ottilie – Leopold.
GIESECKE. Zwee Julden für die kleene Fahrt! Ich danke! Davor kann ich schon dreimal von der Jannowitzbrücke nach Treptow fahren und noch eine Portion Aal jrün essen! Zu Leopold. Haben Sie jrüne Aale?
LEOPOLD. Nein, bitte. Aber ein schöner Lungenbraten wär' da.
GIESECKE. Will ich nicht. Wenn ich Dampfer fahre, will ich Aale essen, das gehört zusammen. Aber so was kennen hier die Brüder natürlich nicht.[16]
CHARLOTTE. Aber Wilhelm! Aale gibt's doch nun einmal nicht im Salzkammergut!
GIESECKE. Warum wir aber auch gerade in die Jejend reisen mußten!
OTTILIE. Aber Papa, wir hatten doch nun einmal die schönen Kostüme vom Alpenball im vorigen Jahre. Die müssen wir abtragen, und hier geht ja doch alle Welt so.
CHARLOTTE zu Ottilie. Steht dir aber auch wirklich reizend, dieses Ischler Bauernkostüm!
GIESECKE. Aber mir nicht! Wirft den Lodenmantel ab und erscheint im Gebirgskostüm, gemsledernen Hosen, nackten Knien und hellgrünen Stutzen. Wenn ich mir so in die Friedrichstraße blicken lasse, da denken die Leute, ich bin aus die Jebirgshallen ausgebrochen! Von's Tiroler Quartett! Und das soll schön sein? Die halben Hosen? Als wenn der Stoff nicht gelangt hätte! Und die nackichten Knie! Wenn die Sonne weg ist, dann friert's einem – und wenn sie da ist, da kommen die Mücken und frühstücken! ... Ich danke! ...
CHARLOTTE. Aber dafür diese herrliche Natur. Dieser lachende See!
GIESECKE. Der Müggelsee ist mir lieber! ...
OTTILIE. Aber Papa!
GIESECKE. Er ist mir lieber! Das is nu Jeschmackssache!
OTTILIE. Da hast du aber doch nicht die Berggipfel mit dem ewigen Schnee!
GIESECKE. Na, ist denn Schnee vielleicht wat Scheenes? Zu Hause sind wir froh, wenn wir ihn endlich weg haben, und hier soll ich mir freuen, daß er noch da ist! Wieso denn?! Und dann das Wetter hier im Salzkammergut! So was von Regen! Wo sie das Wasser bloß hernehmen? Zu Leopold. Sagen Sie mal, regnet es denn bei Ihnen auch so viel?
LEOPOLD. Ach, wir können nicht klagen. Wir haben doch hin und wieder einen ganz schönen Tag ... Besonders, wenn der Wind vom Gamskogel her kommt!
GIESECKE zu Charlotte. Nun warte du also gefälligst, bis der Wind vom Jamskogel herkommt! Zu Leopold. Wie steht's denn nun mit Logis? Ich brauche zwei Zimmer!
LEOPOLD. Da hab' ich nur noch ein sehr schönes Zimmer im ersten Stock und ein kleines in der Dependance, im zweiten Stock.
GIESECKE. Erlauben Sie mal! Das jeht nicht! Zunächst müssen die Zimmer nebeneinander liegen ... und dann ... wie hoch ist denn bei Ihnen der erste Stock?[17]
LEOPOLD nicht verstehend. Wie meinen der gnä' Herr?
GIESECKE. In Wien wurde mir auch ein Zimmer im ersten Stock angeboten, aber wie ich eine Treppe heraufgekommen war, da sagt der Kellner: »Bitt' sich höher zu bemühen, das ist erst der Halbstock!« und auf dem zweiten Treppenflur: »Das ist der Mezzanin!« Und erst drei Treppen hoch sagte er: »Bitt' schön, das ist der erste Stock!« ... Sie zählen wohl hier in Österreich die Stockwerke von oben?
LEOPOLD. Aber bitt' schön, Euer Gnaden, das gibt's bei uns nicht. Bitte, überzeugen Sie sich selbst, dort ist das Zimmer.
MIRZL erscheint an den Fenstern des Balkons und steckt neue Gardinen an.
GIESECKE. Na, da ist doch noch ein sehr schönes Balkonzimmer daneben, wo das Mädchen jrade die Gardinen ansteckt!
LEOPOLD. Ja, das ist eigentlich schon vergeben. Der Herr ist zwar nicht gekommen ...
GIESECKE. Na also – da ist das Zimmer doch frei?
LEOPOLD zögernd. Ja, aber wenn der Herr doch noch kommt! ...
GIESECKE. Muß er eben in einem andern Hotel wohnen! ... Sie können ihm das Zimmer doch nicht bis zum Winter aufheben!
LEOPOLD. Da haben's eigentlich recht! Soll er in einem anderen Hotel wohnen! Martin, die Herrschaften auf Nummer vier und fünf!
OTTILIE sich zum Gehen wendend. Aber das Balkonzimmer nehmen wir!
Beide gehen ab in das Haus, gefolgt von Martin, der das Gepäck trägt.
LOIDL zu Giesecke. Bitt' schön, Euer Gnaden! Ein armer, hungriger Bettler! ...
GIESECKE. Na, weinen Sie man nich, Onkel! Ihren Hunger wollen wir schon stillen! Gibt ihm eine Münze.
PICCOLO von rechts. Herr Loidl – Ihr Backhähndel ist fertig!
GIESECKE. Was, Backhähndel?
LOIDL. Nein, so ein dummer Bua!
GIESECKE. Und da reden Sie von Hunger?
LOIDL verschmitzt. Aber, ich hab's ja no net g'essen! Im Abgehen. Nur koanen auslassen. Ab.
GIESECKE. Na, det Jeschäft ist richtig! Das sind ja nette Zustände! Zu Leopold. Haben Sie denn hier keinen Landrat?
LEOPOLD ihn nicht verstehend. Nein, aber ein frischer Lungenbraten wär' da![18]
GIESECKE. Sie wollen mich wohl uzen? ... Geben Sie mir mal die Speisekarte!
LEOPOLD nach rechts rufend. Franz! Die Speisekarte für den Herrn!
FRANZ von rechts, eifrig, Giesecke die Speisekarte reichend. Bitte sehr, bitte gleich!
GIESECKE die Speisekarte nehmend. Ich möchte auch was trinken!
FRANZ nach rechts rufend. Piccolo – Getränk für den Herrn!
PICCOLO von rechts, eifrig. G'fällig?
GIESECKE die Kellner musternd, die jetzt in einer Reihe stehen und alle drei gleichzeitig mit den Servietten wedeln. Da gehören nur drei dazu! Für einen ist das wohl zu schwer?
PICCOLO. Bitte, Bier g'fällig? Oder vielleicht an G'spritzten?
GIESECKE nicht verstehend, zu Leopold. Was für ein Ding?
LEOPOLD deutlicher wiederholend. An G'spritzten!
GIESECKE der noch immer nicht versteht. Aha! Also schön – bringen Sie mir so einen G'spritzten!
PICCOLO. Weiß oder rot?
GIESECKE. Wieso?
LEOPOLD. Bitt' schön – ob's an weißen woll'n oder an roten?
GIESECKE. Weiß! ... Ich bin bloß neugierig, was da rauskommt!
PICCOLO schnell ab.
FRANZ. Haben der gnä' Herr schon g'wählt?
GIESECKE. Einen Augenblick! Lesend. Matrosenfleisch! ... Leopold verwundert ansehend. Jungfernbraten! Was das für Gerichte sind! Risi Bisi? ... Beusch'l? ... Haben Sie denn keine deutsche Speisekarte?
LEOPOLD. Kann ich Ihnen aber sehr empfehlen, das Beusch'l!
OTTILIE auf dem Balkon erscheinend. Ach, ist das aber hübsch hier!
GIESECKE zum Balkon hinaufsprechend. Ottilie, du hast doch fremde Sprachen studiert; weißt du vielleicht, was ein Beuschel ist?
OTTILIE lachend. Nein, Papa! Das kann ich dir nicht sagen. Wieder ab in das Zimmer.
LEOPOLD erklärend. Alsdann, ein Beusch'l, das ist ... das ist ... es wird auch manchmal mit einem Ei gegessen.
GIESECKE mit Appetit. Also, dann bringen Sie mir mal so'n Ding! Der Name klingt ja eigentlich ganz vertrauenerweckend!
Franz schnell ab.
Piccolo schnell von rechts.
[19]
GIESECKE das Glas nehmend, mißtrauisch. Das sieht ja aus wie Fliedertee! Vorsichtig kostend. Das ist ja Wasser!
LEOPOLD. Bitt' schön, es ist auch a Wein drin!
GIESECKE. So weit bin ich noch nicht!
LEOPOLD. Durfte ich vielleicht gleich für den Fremdenzettel um den werten Namen bitten?
GIESECKE. Wilhelm Giesecke, Lampenfabrikant aus Berlin, mit Schwester und Tochter. Sind schon Briefe für mich da?
LEOPOLD. Jawohl, Herr von Giesecke! Die Kathi hat schon welche gebracht.
GIESECKE. Die Kathi ...? Wer ist denn das?
LEOPOLD. Die bei uns die Brief' bringt ...
GIESECKE. Ein weiblicher Briefträger! Das ist ja jottvoll! Wäre auch eigentlich was für Berlin ... Also dann bringen Sie mir die Briefe!
LEOPOLD. Sofort, Herr von Giesecke. Ab rechts in das Haus.
GIESECKE. In den Adelsstand hat er mir auch schon erhoben!
FRANZ mit dem Essen von rechts, servierend. Bitt' schön, Euer Gnaden, da ist das Beusch'l.
GIESECKE empört das Essen betrachtend. Das ist ja Lungenhaschée! Das einzige, was ich nicht esse. Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?
FRANZ. Wenn vielleicht was andres g'fällig wär?
GIESECKE. Na, lassen Sie man, ich werde schon mit fertig werden!
FRANZ. Vielleicht eine Nachspeise g'fällig? Ribiseltorte, – Marillenknödel, – Topfentascherl?
GIESECKE wütend. Nu hören Sie mir mit den Fremdwörtern auf, ich habe genug!
Franz ab.
LEOPOLD von rechts aus dem Haus. Bitt' schön, Herr von Giesecke! Übergibt ihm eine Anzahl von Briefen.
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