[30] Siedler – Ottilie.
SIEDLER. Nein – daß Ihr Herr Vater auch so erbittert gegen mich ist?
OTTILIE. Sie haben ihn aber auch zu schwer gekränkt! Wie oft habe ich ihn in den letzten Jahren stöhnen hören –: »Dieser Doktor Siedler – wenn ich dem einmal meine Meinung sagen könnte!«
SIEDLER. Nun, das Vergnügen hat er sich ja jetzt gegönnt! Aber ich begreife nur nicht, wie er mir das persönlich nachtragen kann.
OTTILIE. Kann Sie das wundern?
SIEDLER. Ich habe doch nur seine Rechtsansprüche bekämpft und nicht seine Person, und schließlich hat mir der Richter doch beigepflichtet!
OTTILIE. Das ist es ja eben, was er Ihnen am meisten übelnimmt!
SIEDLER lachend. Das kann ich mir denken!
OTTILIE. Sie wissen wahrscheinlich nicht, was Sie uns allen angetan haben mit Ihrer Hartnäckigkeit! Es war ein Unglückstag für das ganze Haus, wenn ein Aktenstück von Ihnen kam – selbst das Dienstmädchen in der Küche hat schon gesagt, wenn sie den Papa so zornig sah: »Der Herr hat gewiß wieder eine Zuschickung vom Doktor Siedler bekommen!«
SIEDLER. Da scheine ich mich ja in Ihrem Hause recht beliebt gemacht zu haben!
OTTILIE. Ah – das freut Sie wohl noch, daß Sie meinen armen Vater so in die Enge getrieben haben?
SIEDLER. Ja – mein verehrtes Fräulein, wie die Dinge liegen, muß ich allerdings in Ihren Vorwürfen noch eine Anerkennung erblicken, denn sie beweisen doch nur, wie gut ich meinen Klienten vertreten habe! Das ist eben der Beruf des Anwaltes!
OTTILIE. Nun, dann muß ich Ihnen sagen, das ist ein sehr trauriger Beruf! Sie leben ja nur davon, daß zwei sich zanken!
SIEDLER. Allerdings! Sie kennen ja doch das Sprichwort: »Wenn zwei sich zanken, dann freut sich der Dritte.« Und der Dritte ist eben der Rechtsanwalt! Aber ich verspreche Ihnen, wenn ich wieder einmal einen Prozeß gegen Ihren Herrn Vater führe, so werde ich mir alle Mühe geben, ihn zu verlieren! Werden Sie dann zufrieden sein?
OTTILIE. O bitte, Sie haben ja nur Ihre Pflicht getan! Das weiß ich sehr wohl, – aber ich bin meinem Vater viel zu gut, um so rasch vergessen zu können, wie sehr Sie ihm das Leben verbittert haben! Ich denke, das werden Sie begreifen.[31]
SIEDLER. Trotzdem hoffe ich, Ihnen beweisen zu können, daß ich nicht der Unmensch bin, für den Sie mich halten. Ich verstehe vollständig Ihre Empfindungen, aber der Prozeß des Herrn Sülzheimer darf doch nicht mit der lebenslänglichen Verurteilung seines Rechtsanwaltes endigen. Ich appelliere – an Ihre Gerechtigkeit. Sich verbeugend. Inzwischen war es mir ein aufrichtiges Vergnügen, Sie kennen zu lernen!
OTTILIE mit leiser Abwehr. Nun, Herr Doktor ...
SIEDLER schnell. Ja, ja, Ihnen nicht. Ich weiß! Aber das wird schon noch kommen, verlassen Sie sich darauf. Ab in das Haus.
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