[34] Sittenreich und die Vorigen.
SITTENREICH. Was beliebet dem Herrn Vater?
GROBIAN. Es ist dein Glück, daß du nicht ein paar Minuten eher gekommen bist. Deine Mutter hat mich eben besänftiget; sonst würde es toll ausgesehen haben. Habt ihr Teufelskinder euch beredet, daß ihr mich zum Narren haben wollt? Was vor Possen habt ihr diesen Mittag vorgehabt? Meinet ihr, daß mit euerer Freierey ein ganzes Jahr vergehen soll? Ich will noch heute ein Ende darin wissen, oder das Wetter soll darein schlagen.
SITTENREICH. Ja, Herr Vater, das läßt sich ja nicht zwingen. Herr Ehrenwehrt muß ja erst meine Schwester kennen lernen. Er wird ja nicht so hinein platzen.
GROBIAN. Bist du toll, oder was schadet dir? hat er nicht so viel Vertrauen zu dir, daß er glaubet, daß sie Geld hat?
SITTENREICH. So denkt der Herr Ehrenwehrt nicht. Es ist ihm nicht ums Geld zu thun. Er siehet hauptsächlich aufs Gemüth.
GROBIAN. So ist er ein Narr, wie du bist. Was Teufel, als ich meine Frau heirathete, war keine andere Frage, als: Wieviel Geld ist da? Wir hatten uns wohl von ferne gesehen, aber niemals gesprochen. Ihre und meine Eltern kamen zusammen, und wir hatten ein jeder einen Ring mitgebracht. Die Eltern führten das Wort und wir vertauschten die Ringe, ohne das Geringste zu sprechen. Ja ich erinnere mich, daß unsere Verwandte uns brav vexirten, da wir so gar denselben ganzen Abend nicht mit einander sprachen. Dem ohngeachtet sind wir nachhero bekannt genug geworden, und da war mehr als[34] zu viel Zeit, dasjenige mit einander zu sprechen, was wir uns zu sagen hatten. Und Trotz sey dem geboten, der auf unsere Lebensart was zu sagen hat. Die Ehen werden im Himmel gemacht. Aber ihr junge Narren wollet alles vorher untersuchen. Darüber gehet manche schöne Heirath zurück.
SITTENREICH. Aber Herr Vater, woher kommen denn die unglücklichen Ehen? Ich sollte meinen, aus Ungleichheit der Gemüther.
GROBIAN. Halts Maul. Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst nicht raisoniren. Wenn Geld und Geld zusammen kommt, das giebt die besten Ehen. Die Gemüther sind eine Nebensache. Aber sage mir, hast du auf Universitäten auch gelernet, daß der Sohn dem Vater gehorsam seyn soll?
SITTENREICH. O, das verstehet sich, in billigen Dingen.
GROBIAN. So will ich, daß du noch heute des Herrn Ehrenwehrts Schwester um die Ehe ansprichst.
SITTENREICH. Herr Vater, ich habe keine Lust zum Heirathen. Ich finde mehr Vergnügen am ledigen Stande.
GROBIAN. Vergnügen hin, Vergnügen her. Ich befehle es dir, und deine Mutter will es auch.
AGNETA. Ja, lieber Sohn, wenn ihr wünscht, daß es euch wohl gehen soll; so thut eurer Eltern Willen. Ihr kriegt ja alles, was ihr verlangen könnet. Eure Braut ist, wie ich höre, schön und reich.
SITTENREICH. Wenn der Herr Vater und die Frau Mutter so hart darauf dringen, so will ich mein Heil versuchen. Wie aber, wenn sie mir eine abschlägige Antwort giebt?
AGNETA. O, dafür laßt mich sorgen. Ich will sogleich Caffee mit euch trinken, und da sollt ihr sehen, wie ich das Wort für euch führen will.
Gehet ab.
GROBIAN. Ich muß doch gewiß ein gedoppelt rechtschaffener Mann seyn: weil der Himmel mir auf einmal ein gedoppeltes Glück bescheret. Nun, du hast studiret, lege mir das einmal aus.[35]
SITTENREICH. Der Herr Vater ist reich und ...
GROBIAN. Heraus damit.
SITTENREICH. Reich und gei ...
GROBIAN. Willt du es sagen oder nicht?
SITTENREICH. Reich und sparsam.
GROBIAN. Gelt, du bist nach gerade mit mir einerley Meinung, daß nichts mehr Vergnügen bringet, als wenn man viel Geld hat, und täglich was dazu erobert.
SITTENREICH. Ja, wenns mit gutem Gewissen geschiehet.
GROBIAN. Was ist das vor ein Ding, das Gewissen?
SITTENREICH. Das Gewissen überhaupt ist eine beständige Erinnerung des Guten und Bösen, so wir verrichtet haben; und einem Wucherer, wovon hier die Rede ist, wird es fleißig vorhalten, ob er erlaubte oder unerlaubte Zinsen von seinem Gelde genommen hat. In dem ersten Falle heißt es ein gutes, und in dem zweeten ein böses Gewissen.
GROBIAN. O, so habe ich ein gutes Gewissen, denn ich habe mein Lebtage nicht über 10 pro Cento auf Pfand genommen. Wenn man einmal minderjährigen, oder andern Leuten, die in Noth sind, hundert Rthlr. vorschiebt, und läßt sich hundert Ducaten dafür verschreiben, das kann nicht gerechnet werden, denn solches sind ausserordentliche Zufälle, und kommen, leider! sehr selten vor. Doch wieder auf unsere vorige Materie zu kommen; sollte es dem Herrn Ehrenwehrt wohl ein rechter Ernst um deine Schwester seyn? Ich will ja nimmer hoffen, daß du mir was weiß gemacht hast. Ich hienge dich auf, und mich dabey.
SITTENREICH. Ey, Herr Vater, was sind das für argwöhnische Gedanken. Was hätte ich denn vor Ursache, dem Herrn Vater was weiß zu machen?
GROBIAN. Vielleicht deine Freunde dann und wann zu Gaste zu bitten, und mir auf die Weise das Geld aus dem Beutel zu vexiren.
SITTENREICH. Das wäre eine schlechte Sache. Es verlohnet sich wol der Mühe, von einer Mahlzeit zu[36] reden. Wenn es nichts anders gewesen wäre, so hätte ich es dem Herrn Vater gesagt. Er hätte meinen alten Bekannten doch wol ein paar Mal zum Essen genöthiget.
GROBIAN. Das hätte ich wohl bleiben lassen. Meinest du, daß Mahlzeiten kein Geld kosten? Ist mir nicht diesen Mittag eine ganze Boutellie Wein darauf gegangen? Und kurz von der Sache zu reden: Wenn du mich die Wahrheit gesaget hast, so will auch noch heute ein Ende darin wissen, oder ...
Buchempfehlung
Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.
32 Seiten, 3.80 Euro