Fünfter Auftritt.

[40] Agneta und die Vorigen.


AGNETA. Guten Tag, mein lieber Bruder! Es ist mir lieb euch wohl zu sehen. Woher hat man das Glück?

GUTHERZ. Es ist ein Glück, welches ihr so oft haben könnet, als ihr es verlanget, liebe Schwester.

AGNETA. O, ihr seyd immer hönisch.

GUTHERZ. Ey, versteht mich doch einmal.

AGNETA. Ey, was verstehen? Alle Leute können nicht so viel verstehen, als ihr.

GUTHERZ. Wer den Verstand hätte, der uns beyden fehlet, der hätte mehr als wir.

AGNETA. Ich habe Verstand genug. Wenn ich meinem Mann gefalle, so bin ich zufrieden. Aber wenn ihr hieher kommt, so ist immer genug über mich zu klagen.

GUTHERZ. Ich habe dann und wann von der schlechten[40] Kinderzucht gesprochen, dazu hat mich mein Gewissen verbunden: denn hievon entstehet alles Böse, was in der Welt ist.

AGNETA. Ich habe bey der Erziehung meiner Tochter keinen Hofmeister nöthig gehabt. Sie kann so viele Gerichte kochen, als Tage in der Woche sind, und ich und mein Mann essen, Jahr aus Jahr ein, immer einerley; das wird sich mein künftiger Schwiegersohn auch gefallen lassen. Sie kann stricken und nähen. Sie singet Vor- und Nachmittage mit mir ein Lied. Sie liebet die Einsamkeit, und geht lieber mit geringen Leuten um, als in grossen vornehmen Gesellschaften. Sie spielet nicht um Geld; sondern irgend um einen Kuß oder so was. Sie trinkt nicht, ausser dann und wann ein Glas Branntwein, um den Wein zu ersparen. Wie soll ein Frauenzimmer besser beschaffen seyn?

GUTHERZ. Es ist zu späte ietzo davon zu reden. Die Früchte dieser Erziehung werden sich künftig zeigen. Ich bin überdem aus keiner andern Absicht hergekommen, als unsere Freundschaft zu erneuern, und euch zu dem Vorhaben, eure Kinder zu versorgen, Glück zu wünschen.

AGNETA. Da seht ihrs nun, daß meine Tochter gleichwol einen Mann kriegt, ohngeachtet sie so schlecht erzogen ist.

GUTHERZ. Ist es denn damit genug, daß sie einen Mann kriegt? Daran habe ich niemals gezweifelt.

AGNETA. Ja was hat das Frauenzimmer weiter vor Glück in der Welt zu erwarten, als einen Mann zu kriegen?

GUTHERZ. Bleibet nur bey euren Meinungen. Ich werde doch nicht vermögend seyn, euch des Gegentheils zu überführen.

AGNETA. Das will ich auch. Es ist mir bishero gut dabey gegangen, ich werde auch ferner wohl dabey fahren. Zum Sittenreich. Ach denkt doch, mein Sohn, welch ein Unglück! Ich habe zu meiner alten Muhme geschickt, und fragen lassen, wie man sich verhalten müsse, wenn Sohn und Tochter in einem Hause zu gleicher Zeit versprochen[41] sind. Da kriege ich zur Antwort: In einigen achzig Jahren wäre dergleichen Exempel ihres Wissens nicht vorgekommen. Nun weiß ich mich bey niemand anders Raths zu erholen. Denn dies ist die einige Frau, die das Herkommen und den Schlendrian recht aus dem Grunde verstehet. O, was müssen Eltern um ihrer Kinder willen nicht manche Sorgenvolle Stunde haben!

SITTENREICH. Ey, Frau Mutter, wir wollens machen, so gut wir können.

AGNETA. Ey, wir wollen uns auslachen lassen?

SITTENREICH. Wer fraget nach närrischer Leute Gelächter?

AGNETA. Ich war neulich auf einen Besuch einer Kindbetterin, da waren die klügste und vornehmste Frauen von der ganzen Stadt, die hatten über funfzig Fehler angemerket, die sich bey allerhand Freuden- und Trauerfällen zugetragen hatten. Solte ich auch so über ihre Zunge springen? ich müßte mich wahrhaftig todt schämen.

GUTHERZ. Ja, ja, in den Wochenstuben ist der Sitz der Weisheit.

AGNETA. Das geht euch schon wieder nichts an. Genug, ich will so lange nachfragen, bis ich weiß, was das alte Herkommen in diesem Stücke erfordert. Ein anderer kann thun, was er will.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 40-42.
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