[67] Sittenreich. Carolina und die Vorigen.
GROBIAN. Ha, Jungfer Carolina! ihr Bruder ist ein schöner Kerl.
CAROLINA. Wie so? mein Herr!
GROBIAN. Wissen sie nicht, was er gemacht hat?
CAROLINA. Mir ist nichts böses bewußt.
GROBIAN. Ich kann mir auch nicht einbilden, daß sie es wissen, denn sonst hätten sie es nimmer zugegeben.
CAROLINA. Sollte mein Bruder etwas begangen haben, daß wider ihres Hauses Ehre wäre: so will ich es ihm selber verweisen.
GROBIAN. Freylich, hat er mein Haus geschändet, und ich werde es ihm mein Lebtage nicht vergeben.
CAROLINA. Behüte der Himmel! worinn bestehet denn sein Verbrechen?
GROBIAN. Darin, daß er die Charlotte heirathen will. Denken sie doch, ein nacktes Mädgen!
CAROLINA. O, das ist mir schon bekannt; thut er daran übel?
GROBIAN. Ich höre wohl, sie sind auch im Kopfe verrückt. Ist das nicht eine Verachtung meiner Tochter?
CAROLINA. Er kann ja aber nur eine nehmen.
GROBIAN. Das weiß ich ohnedem wohl; aber er hätte doch wohl klüger gethan, wenn er statt eine armen, ein reiches Mädgen erwählet hätte.
CAROLINA. Hierinn sehe ich keinen Unterscheid. Man heirathet ja die Person, und nicht das Geld. Die Jungfer Charlotte wird meinem Bruder besser gefallen haben, darum hat er ihre Jungfer Tochter nicht verachtet.[67] Meines Bruders Absichten beym Heirathen sind blos auf sein eigen Vergnügen gerichtet.
GROBIAN. So weiß er schlecht, worin das Vergnügen bestehet.
CAROLINA. Ein jeder sucht sein Vergnügen nach seiner Einsicht. Was den einen ergötzt, ist oft dem andern zuwider.
GROBIAN. Wer sich am Gelde nicht ergötzt, der muß toll und rasend seyn.
CAROLINA. Das Geld ist freilich eine schöne Sache, weil man dessen nicht entbehren kann; der Ueberfluß aber, welchen man einsperret, und welchen man nicht geniesset, ist schädlich; und wer einen Abgott daraus macht, der handelt gar thöricht. Mit einem Worte. Der Misbrauch einer jeden Sache ist unerlaubt; und das Geld ist zu keinem andern Endzweck da, als daß wir es zu unserer Bedürfniß anwenden, und mit dem Ueberflusse uns Freunde machen.
GROBIAN. Für den besten Freund in der Welt gebe ich keinen falschen Sechsling. Wenn man reich ist, muß jeder unsere Freundschaft suchen, und sichs für eine Ehre schätzen, wenn wir einmal zugeben, daß er in unserm Hause sich eine halbe Stunde vor uns schmieget und bücket. Aber, höre sie, meine liebe zukünftige Schwiegertochter! da sie so vielen Verstand gehabt hat, sich einen reichen Bräutigam zu erwählen; so rede sie ihrem Bruder zu, daß er die Charlotte laufen läßt, und meine Tochter nimmt.
CAROLINA. Da kommt er eben her. Sie werden seine Meinung von ihm selber am besten erfahren.