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[46] Wer gern die Weisheit hört und lehrt
Und ganz zu ihr sich allzeit kehrt,
Der wird in Ewigkeit geehrt.
Die Weisheit als gekrönte Frau mit Engelsflügeln vor Klugen und Narren von einer Kanzel predigend, hält in der Linken ein Scepter, auf dem eine Taube, das Symbol des heil Geistes, sitzt. Aus einer Wolke deutet Gottes Hand auf sie hin.
Die Weisheit ruft mit heller Stimm':
»Menschlich Geschlecht, mein Wort vernimm!
Erfahrung hab' in Acht, mein Kind!
Aufmerket all', die thöricht sind!
Sucht die Belehrung, nicht das Geld!
Weisheit ist besser denn die Welt
Und Alles, was man wünschen mag!
Nach Weisheit trachtet Nacht und Tag!
Nichts ist, was ihr gleicht auf der Erd';
Weisheit im Rathe ist gar werth;[46]
All' Stärk' und all' Fürsichtigkeit
Ist einzig mein,« so spricht Weisheit.
»Durch mich dem König die Krone kommt;
Ich schaff' Gesetz, das Allen frommt;
Durch mich die Fürsten haben ihr Land,
Durch mich die Macht ihr Recht erfand.
Wer mich lieb hat, den lieb' auch ich;
Wer früh mich sucht, der findet mich.
Bei mir ist Reichthum, Gut und Ehr',
Mich hat besessen Gott der Herr
Von Anbeginn in Ewigkeit.
Durch mich macht Gott all Ding bereit,
Und ohn' mich ist gar nichts gemacht.
Wohl dem, der mich stets hat in Acht.
Drum, meine Söhne, seid nicht träge,
Selig, wer geht auf meinem Wege!
Wer mich findet, hat Glück und Heil,
Wer mich haßt, dem wird Verderben zu Theil!«
Die Plage wird über Narren gehn,
Daß sie die Weisheit werden sehn
Und den Lohn, so jener ist bereit
Und währen wird in Ewigkeit,
Daß Schmerz sie greift; – sie werden sich
In Jammer nagen ewiglich.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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