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[50] Wer will zu Borg aufnehmen viel,
Dem fressen die Wölfe doch nicht das Ziel,
Und der Esel schlägt ihn, wann er will.
Ein Narr, der einen Esel beim Schwanze hält, wird von dessen Hinterfuße getroffen. Ein andrer Narr schlägt ihn von oben mit Fäusten, ein dritter eilt schadenfroh herbei, ein vierter auf dem Boden sitzend, hält den Esel fest. Im Hintergrunde ein Wolf bei einem Grabkreuze, welches wol das Ziel bedeuten soll.
Der ist mehr Narr als andre Narren,
Wer stets auf Borg aufnimmt und Harren
Und nicht bei sich erwägen will
Das Wort: »Es frißt der Wolf kein Ziel!«
So thun auch die, deren Schlechtigkeit
Gott trägt auf Beßrung lange Zeit,
Und die doch täglich mehr und mehr
Sich laden auf, weßhalb der Herr
Ihrer wartet, bis kommt ihre Stund'
Und sie bezahlen zum letzten Pfund.
Es starben Frauen, Vieh und Kind,
Als einstmals kam Gomorrhas Sünd'
Und Sodoms zu dem letzten Ziel.
Jerusalem zu Boden fiel[50]
Als Gott gewartet manches Jahr;
Die Niniviten zahlten zwar
Bald ihre Schuld und wurden quitt,
Doch beharrten sie die Länge nit;
Sie nahmen auf noch größre Schand',
Da ward kein Jonas mehr gesandt.
Alle Dinge haben Zeit und Ziel
Und gehn ihre Straße, wie Gott will.
Wer wohl sich fühlt bei seinem Borgen,
Macht ums Bezahlen sich nicht Sorgen.
Sei nicht bei denen, die rasch die Hand
Hinstrecken für dich zum Bürgepfand.
Denn so man nicht zum Bezahlen hätte,
Nähmen sie's Kissen von dem Bette.
Als Hunger einst Egypten fraß,
Nahmen sie soviel Korn auf, daß
Sie eigen wurden hinterher,
Und mußten's doch bezahlen schwer.
Denn wenn der Esel beginnt den Tanz,
Hält man ihn nicht fest bei dem Schwanz.
Ausgewählte Ausgaben von
Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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