XCV.

[180] Es sollte Mancher zur Kirche gehn

Und am Feiertage müßig stehn,

Den man kann vielgeschäftig sehn.


Ein Narr mit einem Kolben in der Linken scheint einen ehrsamen, des Feiertags durch einen Spaziergang in Wald und Feld sich erfreuenden Bürger zu Allotria verleiten zu wollen.


Von Verführung am Feiertage.

Das sind wol Bürger zu Affenberg,

Die ihre Sachen und ihr Werk

Verrichten an geweihten Tagen;

Die müssen auf den Affenwagen!

Dem Einen muß man Rosse beschlagen,

Dem Andern Knöpfe setzen an,

Das wäre besser längst gethan,[180]

Als man gesessen bei Spiel und Wein.

Dem füllet man die Spitzen sein,

Viel Hadern muß man darein stoßen;

Der muß probiren Röck und Hosen,

Die könnt' er sonst nicht legen an,

Hätt' er's am Festtag nicht gethan.

Die Köche rüsten Feuer und Glut;

Eh man die Kirche früh aufthut,

Ist schon bei ihnen Schlemmen und Prassen.

Eh Jemand recht kommt auf die Gassen,

Das Weinhaus angefüllt schon war.

So treibt man's endlos immerdar;

Zumal an den gebannten Tagen,

Wo man sich sollte Werk versagen,

Fährt man mit Wagen und mit Karren.

Der Feiertag macht Manchen zum Narren,

Der meint, daß solchen man erdachte,

Weil kleiner Arbeit Gott nicht achte,

Wenn man das Holz im Spielbret schlage

Und Karten spiel' am ganzen Tage.

Viele lassen schaffen ihr Gesind',

Ohne zu achten, daß Diener und Kind

Zur Kirche, Predigt und Gottesdienst gehn

Oder zur Messe früh aufstehn.

Den Met wollen sie recht auskochen,

Den sie gesotten in der Wochen.

Ein jedes Handwerk paßt dazu,

Daß es am Feiertag nicht ruh';

Man ist auf den Pfennig so erpicht,

Als tagte der Erde kein neues Licht.

Ein Theil steht schwätzend auf den Gassen,

Die Andern sitzen mit Spielen und Prassen

Und Manchem im Wein da mehr zerrinnt,

Als er in der Woche mit Arbeit gewinnt.

Der muß ein Geizhals und Stümper sein,[181]

Wer nicht will sitzen bei dem Wein

So Tag wie Nacht, bis die Katze kräht

Oder die Morgenluft kühl weht.

Die Juden spotten unser sehr,

Daß wir dem Feiertag solche Ehr'

Anthun, den sie doch heilig schätzen,

Daß ich ins Narrenschiff sie setzen

Nicht wollte, falls sie nicht all' Stund'

Sonst irrten wie ein toller Hund.

Ein Armer Holz am Feiertag las

Und ward gesteinigt allein um das.

Die Makkabäer wollten mit Waffen

Am Feiertage nichts haben zu schaffen,

Ob man schlug viele auch zu Tod.

Man sammelte nicht das Himmelsbrod

Am Feiertag, weil Gott so gebot.

Aber wir arbeiten ohne Noth,

Und viel auf den Feiertag wir legen,

Was wir andre Tage schaffen nicht mögen.

O Narr, den Feiertag halt und ehr'!

Es gibt noch Werktag viel und mehr,

Wenn du schon faulest in dem Grund.

Habsucht macht alle Laster kund!

Quelle:
Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 180-182.
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Das Narrenschiff (Ausgabe 1877)
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Das Narrenschiff: Mit allen 114 Holzschnitten des Drucks Basel 1494
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Das Narrenschiff: Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Ausgaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben (Neudrucke Deutscher Literaturwerke)
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