191. An Johanna Keßler

[109] 191. An Johanna Keßler


Heidelberg d. 4. Mai 1873


Liebe Tante!

Da sitz ich nun im schönen Heidelberg. Aber es regnet und regnet. Schon von Darmstadt her schwebte eine schwarzblaue Wetterwolke mit grauem Kern über dem Zuge mit, wälzte sich links ab den Strom hinauf, klemmte so sich über Heidelberg zwischen den Bergen fest, und nachdem wir unsere Kurve beschrieben, kamen wir grade auf dem Bahnhofe an, als sich das Ungethüm unter schaudervollem Donner und Blitz in Regen auflöste. – Mit wenig Unterbrechung regnet's nun so fort. Die Wolken hängen tief in's Thal herab. Ich komme mir vor, wie ein Bleisoldat in der Schachtel, der mit Watte zugedeckt ist. – Na na! Nur nicht lamentiren! – Habe ich vorgestern[109] nicht Bruchsal gesehen? Wer sehen will, was frei und groß und reizend ist, der muß nach Bruchsal gehn. – Gestern war ich auch hier auf dem Schloß droben. Da zieht's. Ich habe einen Schnupfen, als hätt ich den Schädel voll Schusterpech und Sauerkraut.

Meine liebe, gute Tante! – Viele tausend Grüße an Eins, Zwei, Drei und Alle.

Immer und immer Ihr

allergetreuster Fr.

W.B.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 109-110.
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