271. An Maria Anderson

[139] 271. An Maria Anderson


Wolfenbüttel 19 April 75


Meine liebe Frau Anderson!

Das Krähen des Hahns, der der Hel geweiht, ist freilich bedeutungsvoll. Den Dieben und Kranken, den armen Sündern und Gespenstern tönt vor Allen sein mahnender Ruf. Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Ich selber hab ihn oft gehört, wenn ich in der Fremde vom nächtlichen Gelage kam; er rief mir dann ein wohlbekanntes ländliches Haus vor die Seele, das Haus meiner Eltern.

Irgend ein Weiser hat irgendwo gesagt: Das Unrecht, welches wir Andern gethan, verzeihn wir ihnen am schwersten. – Ich prognosticire: Haben Sie Unrecht gelitten, so werden Sie bald nach Frankreich gehn; haben Sie Unrecht gethan, so werden Sie noch länger in Wiesbaden bleiben. Auch hab ich mal gelesen, die Gleichgültigkeit sei hundert mal weiter von Liebe entfernt als Haß. Demnach läge Frankreich nicht gar so fern für Sie. – Sie sind 32 Jahr alt. Welcher Teufel versucht Sie denn? Ist's der Ernährungsteufel oder der Fortpflanzungsteufel? Das sind zwei recht hartnäckige Teufel. – Meine Gebete, fürcht ich, dringen nicht durch den Plafond; und wenn sie's thäten, der liebe Gott würde lächeln und sagen: Sie ist ein Weib! Weiß der Teufel, was sie thut! – oder er wird's nicht sagen, denn er ist gerecht; und wir sind Alle so. – Ja, Mitleid! – Ein Bißel Surrogat ist Alles. Das wahre Mitleid hätte schon längst die Welt erlöst.


Mit herzlichen Grüßen

Ihr Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 139-140.
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