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[158] 322. An Maria Anderson
Wiedensahl 14 Nov. 75.
»Ich möchte lieber einen unglücklichen Menschen tödten, als einen Vogel in glücklichem Flug.« – so würde denn zu Deutsch Ihr Motto lauten. – Man könnte auch sagen: ein Schwein in fröhlichem Grunzen. – Doch nein! – Wir müßten uns das Schinkeneßen abgewöhnen; denn Schinkeneßen ist indirectes Schweineschlachten. – Also ein Vogel! – Nun fliegt so ein Vogel, um Futter zu holen, oder zum Liebchen zu eilen, oder den Feind zu vermeiden, oder er fliegt auf die Wanderschaft. Entweder lockt ihn ein Wunsch, oder es jagt ihn die Furcht. Wen aber Angst und Mangel treibt, der kann nicht glücklich sein. Folglich: es giebt keinen Vogel in glücklichem Flug. – Doch der »Flug« ist ja nur ein poetisches Bild. – Vielleicht ist er glücklich im Schlaf. Aber auch Thiere haben Träume! – Vielleicht ist er glücklich im Augenblick der Begattung. Zu kurzes Glück, um Glück zu heißen! – Und dann: Dem Vogel dem geschieht ganz recht! – Hol der Teufel die Schwalben! – So eine Mücke hat's auch nicht gern, daß man sie hinwegreißt aus dem fröhlichen Hochzeitsreigen, um ihr die Knochen im Leibe zu zerbrechen. – Doch Spaß beiseit! – Ich denke an den »unglücklichen Menschen«. – Käme wirklich und im Ernst der Augenblick der Wahl für Sie, ich weiß, Sie würden Dolch, Keule, Gift und Karabiner sinken laßen und brächten lieber doch den Vogel um. – Ist's mit dem Tod ja doch nicht aus! – Ein altbekanntes tiefes Wort das lautet so: »Das schnellste Thier, was uns zum Heile trägt, ist Leid.« – Also – folglich –: Wer's meiste Unglück macht Der ist der Beste? – Na ja! – Wer's kann der muß; Wer muß der thut's; Wer's thut kriegt Hiebe; und Hiebe kriegt ein Jeder; und das mit Recht.
Ihr ganz ergebenster
W. Busch.