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[190] 426. An Marie Hesse
München d. 14. Nov. 1878
Verehrteste Frau Heße!
Ich lebe hier noch immer so hin, ohne recht eigentlich bei der Sache zu sein. Zwei Mal Mittags in der Woche eße ich bei Lenbach, sonst in der hübschgetäfelten Restauration des neuen Kunstgewerbehauses, wo zuweilen Freund Hanfstängl sich zu mir findet. Abends bin ich bei Piloty, Fritz Kaulbach, meinem Verleger Baßermann oder in der Künstlergesellschaft. Im Theater sah und hört ich unter anderm die »Walküre«, war entzückt von dem, was ich hörte, und gelangweilt von dem, was ich sah. Ginge Einer hinein, der taub wäre, dem müßt es vorkommen, wie eine peinlich in die Länge gezogene Parodie der nordischen Göttersage. – Nur einmal bis jetzt kam ich vor Mitternacht zu Haus, stehe in Folge deßen vor Acht Uhr nicht auf und begebe mich dann in mein wirklich gemüthliches Versteck in der Karlstraße. Da ist denn der riesige grüne Kachelofen ein angenehmer Zimmergenoße, und wie's so draußen durch einander regnet und schneit, was wär mir wohl lieber, als den Sommer zurück zu zaubern und ein paar herzige Menschenbilder, die mir so freundlich begegnet. Die ruhelose Welle, der kühle Strand, ja selbst die tellerklappernde Tabled'hôte sind mir liebe Erinnerungen, und gar zu gerne denk ich mir und hoff ich, daß auch im nächsten Jahr ein gut Geschick es möglich macht, mit Ihnen und den Ihrigen in frischer fröhlicher Umgebung auf einige Wochen zu verkehren. – Ob ich Weihnachten nach W. gehen werde, ist noch unbestimmt; ich weiß nicht, ob der Umzug dort ein behagliches Fest gestattet. – Mitlerweile arbeite ich an einer kleinen drolligen Geschichte so gemächlich weiter.
Leben Sie wohl, meine liebe Fr. H., und vergeßen Sie nicht, daß ich mich immer drauf freue, etwas von Ihnen zu hören.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr Wilhelm B.