487. An Henriette Eller

[210] 487. An Henriette Eller


Wiedensahl 29 Juni 1880.


Ja, meine liebe Frau Eller, wir müßen uns nun mal drücken und drängen laßen zwischen den eigenwilligen Dingen dieser Welt, weil wir auch eins sind. Darum keine Entrüstung! – Dürfen wir doch hie und da mal abbiegen auf die Seitenwege und den Sorgen-und Sündenranzen ins Gebüsch werfen, um in der oberen Gehirnkruste einen jener kleinen, fidelen Umzüge zu halten, die wir schlichtweg »Versimpelung« nennen.

Ich denke mir z.B. Garnichts, aber hübsch rund, nenne es Punkt, lege mich daneben und ruhe nun im stillen, mäßig beleuchteten Grunde meiner Seele, dem einsamen Aufenthaltsorte jenes nulldimensionalen Wesens, vorläufig ein wenig aus. Indem ich hierauf meinen Punkt der Länge nach, ohne zu wackeln, ganz ehrbar spatzieren führe, beschreib ich eine grade Linie und[210] bilde so die gefahrlose Straße der ersten Dimension. Sie ist etwas schmal und öde. Ich schiebe sie zur Seite; eine reizende Ebene dehnt sich in zwei Dimensionen vor den erstaunten Blicken aus. Was könnte man hier nicht der Läng und Breite nach für ein behagliches Leben führen! Aber Veränderung muß sein. Ich lupfe die Ebene in die Höh und – ei sieh da! – ein mathematischer Körper ist auferbaut. Drin kann ich nun nach drei Dimensionen, ganz unbehindert vom Gesetz der Schwere, diekreuzundqueer und auf und nieder flattern. Ich darf auch umkehren und über die Ebne auf dem Pfade der geraden Linie oder im Zickzack in die beschränkte Häuslichkeit meiner nullten Dimension zurück bummeln; und so immer hin und her. – Aber man muß doch sehr aufpaßen. – So wie der mathematische Körper ein physischer wird, so wie noch sonst wie Was herein kömmt, ists mit der Gemüthlichkeit aus; der Spektakel geht los. Aber nur Muth! Ich eile an die Grenze (d.h. dahin, wo Was aufhört und noch Nichts wieder anfängt), bleibe da über Nacht, schleiche frühmorgens in den anliegenden Wald, schneide einen handlichen Knittel, wandre über die Haide an's Meer, lege mich in die Dünen – und wie ich so dem Spiel der Wellen, dem Gleiten der Schiffe, dem sanfterhabenen Zuge der Wolken zuschau, schweb ich mit geöffnetem Munde durch die vierte, fünfte und sechste Dimension dem bekannten siebenten Himmel zu, wo es denn auch ganz ebenso schön ist, wie in der Heimath des Punktes.

Diese Art temporärer Erlösung soll sparsamen Leuten besonders empfohlen sein; sie ist billig und ohne schädliche Folgen. – Wein und Liebe wirken vielleicht intensiver; aber Aber kommt hinten nach.

Und Bücher, Bilder, Bühnen? – (grüßen Sie Levi!) – Sollen sie auch nur so vorübergehend in's Nichts und All, in mehr oder weniger als drei Dimensionen verlocken? Oder säße Philosophie dahinter? daß sie demnach Präludium und Ermunterung wären zu – – – Meine Weitschweifigkeit wird allnachgerade ungallant. Sind doch die Damen geborne Philosophen: sie denken, was sie wollen, und wißen Alles am besten.

Sie fragen, wie mirs geht? Da dürft ich Ihnen ja recht was Merkwürdiges vorlügen. Ich könnte auch sagen, daß mir der Einband des Büchleins – (Grüßen Sie Frl. Marie!) – gar nicht, der Inhalt dagegen, wie alle »geschriebenen Maler«, gar sehr gefallen; daß ich die »leeren Blätter« noch leerer laßen wolle – Sie versprechen, mir Alles zu glauben. – Ich will bescheiden sein. – Glauben Sie mir nur ein ganz klein Bißel, daß ich stets bin

Ihr ganz ergebenster

Wilh. Busch.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968, S. 210-211.
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