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[225] 534. An Marie Hesse
Wiedensahl 5. Nov. 81.
Liebe Frau Heße!
So ist es leider mit unserer Lebenszeit. Erst trägt sie uns und spielt mit uns und deutet in die Hoffnungsferne; dann geht sie Arm in Arm mit uns und flüstert gar hübsche Dinge; aber so zwischen vierzig und fünfzig, da plötzlich hängt sie sich als Trud auf unsere Schultern, und wir müßen sie tragen. – Auch mir fängt's an ungemüthlich zu werden in dieser Welt; Madam rosa Phantasie empfiehlt sich reisefertig durch die Vorderthür und herein durch die Hinterthür tritt Madam Schwarz. – Ich leide wieder, wie im Frühjahr, an Appetit- und Schlaflosigkeit. Wer die letztere kennt, weiß, was für ein böses, verdrießliches, endloses Chaos einen Menschenkopf beunruhigen kann. Meine alte Philosophie langt nicht mehr aus; ich sehe mich nach einer neuen um. – Wäre dies nun wohl der Augenblick, all das Gute aus der Seele zu tilgen, was mir widerfahren? Die lieben herzigen Menschen zu vergeßen, die mir freundlich begegnet sind? Sollte ich da nicht mehr an Sie und die Ihrigen denken, liebe Frau Heße? – Ich bin nicht so glücklich, daß ich die Liebe Anderer entbehren könnte. – Es thut mir herzlich leid, daß Sie in so trüber Stimmung sind. Schreiben Sie mir nur recht oft; Sie können meiner Theilnahme gewiß sein.
Hermann ist in Göttingen; die zwei andern Neffen sind in Bückeburg. Es sind bis jetzt brave Jungens. Meine Schwester ist seit 14 Tagen in Lüethorst bei unserm alten Onkel Kleine, der uns als Kinder unterrichtet hat.
Ich kann und mag vorläufig nicht von hier fort. – Grüßen Sie Herrn Heße und die Kinder und seien sie selber auf's herzlichste gegrüßt von Ihrem alten getreuen Freunde
Wilh. Busch.