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[288] 699. An Hermann Nöldeke
Wiedensahl 24. Juli 87.
Lieber Hermann!
Die Johannisbeeren sind gut angekommen, sehr schön, sollen uns gut schmecken, und wir sagen besten Dank dafür. Eigentlich wollte Mutter heut schreiben; da ich's aber thue, so wartet sie mit ihrem Brief noch einige Tage.
Onkel Hermann ist hier; Klärchen Kleine auch. Mit Onkel zusammen denke ich Ende nächster Woche auch mal nach Wolfenbüttel, doch erst dann, wenn Bruder Wilhelm hier eintrifft, damit ein Mannsbild im Hause ist. – Warum? wirst du aus dem folgenden ersehn. –
Wie du weißt sind mir von Freitag auf Sonnabend nachts in der vorletzten Woche die besten Rosenstämme abgeschnitten. E[t]wa 8 Tage vorher, noch ehe Mutter wieder hier war, hatte ich dem kleinen Taugenichts Geweke, der uns Holzspleten in's Haus und an die Fensterläden warf und mir, nachdem ich ihn ausgescholten und gewarnt, Steine in's Fenster herein legte, bei nächster Gelegenheit, als ich ihn auf frischer That ertappte, einige eindringliche Ohrfeigen überliefert. – Also später wurden dann die Rosen ab geschnitten. Mein erster Gedanke war natürlich Geweke, und es kam mir nicht unnatürlich, ja verzeihlich vor, daß der kleine Schlingel sich gerächt hatte. – Aber es war in der Nacht geschehn, es waren genau die feinsten ausgesucht, und die in's Beet abgedrückten Fußtrappen konnten weder von einem Bauern, noch von einem Jungen herrühren, sondern verriethen den Stiefel eines kleinern Herrn. Sofort nahm mein Verdacht eine andere Richtung und hat sich bis jetzt nicht geändert. Vorigen Michaeli kam ein Schüler (Unterprimaner) aus Bückeburg hierher, und hält sich noch hier auf, dem ich ehedem in den Ferien zuweilen 10 Mk. zu schenken pflegte. Ich gab sie ihm nicht mehr, sobald es sich zeigte, daß sie nur dazu dienen konnten, ihn auf seinen Abwegen zu fördern. Er zeigte mir nunmehr seine Verachtung durch Nicht besuch. Natürlich sehr wirkungslos! Er wollte mir schärfer kommen. – Der geübte Polizist erkennt die Verbrecher[288] an der »Hand«, an der »Manier«, in der sie arbeiten. – Die Arbeit meines nächtlichen Rosenschneiders gehört in die Rubrik der feigen und hinterlistigen Hallunkerein. – Im selben Genre hatte aber jener Schüler schon lange mit Erfolg gearbeitet. – Zudem erfuhr ich unter der Hand, daß er sich bei Nacht im Dorf und in der Umgegend umher treibt. – Die Schlußfolgerung liegt nahe. – Viel dagegen thun kann ich auch nicht, denn der Hallunke hat einen Vater, dem ich nicht weh thun möchte, sonst hätt' ich den Gensdarm in Thätigkeit gesetzt. Außerdem hat er einen zuverläßigen Hinterhalt und eine Schürerin der Gehäßigkeit an – du weißt schon Wem. –
So kann ich denn nicht mehr, wie ehedem, ganz ungenirt verreisen, ohne eine männliche Wache zurück zu laßen. – Wenn Adolf oder Otto in den Ferien hier sind, denke ich bestimmt mal wieder nach Hattorf zu kommen.
Mit den Herzlichsten Grüßen von Mutter, Onkel Hermann, Else, Dortchen
Dein getr. Onkel
Wilhelm