808. An Franz von Lenbach

808. An Franz von Lenbach


Wiedensahl 4. Febr. 91.


Liebster Lenbach!

Zunächst sei bedankt für deine Depesche aus Kanzlersruh! Auch im Börsenverkehr, auch bei verzwickten Entbindungen, um den berühmten Doctor zu rufen und wo's sonst nothpeinlich ist, sind Depeschen sehr schätzbar. Freundschaftliche Ansprachen kühlen sich jedoch immer etwas ab im langen Draht und bleiben nicht so intim, wie der autographische Schnörkel.

Daher sei noch bedanktet für den Brief, den ersten wieder seit Anfang des siebenjährigen Krieges, oder so; jedenfalls seit ich im Herbst meinen Freund in der Ebergötzener Mühle besuchte. Da saß ich mit ihm im niedrigen Stübchen, und das Waßer draußen rauschte über die Räder, und über das Haus weg sauste der Wind, und ein Bißel Schnee war auch schon dazwischen. Ein Mal nur fuhren wir durch Dreck und Schmeer zu einem Kindstaufschmause, und der Anblick des gesunden Säuglings und des gesunden Appetits, den die Gäste entwickelten, schien mir immerhin ein erfreuliches Zeichen, daß die Lust, sich zu nähren und zu mehren, vielleicht zur Zeit noch ebenso rege, wie bei den Urvätern und wohl auch Müttern,[295] ist. – Darnach besuchte ich meinen lieben alten Onkel in Lüethorst, der nunmehr 86 Jahre alt und doch nicht schwach geworden. – Darnach kehrt ich heim und deckte die Rosen zu. Es saß aber schon Eis dran. Und nun frage ich: Wie werden sie ausschaun, wenn ich sie wieder aufdecke? Wie wichtig diese ängstliche Frage, empfindest du, denn ich kenne dich.

Und der Winter war auch ein fleißiger Hofkonditor, der die bräunliche Erdkruste hübsch lang zugedeckt hat mit weißer Schlagsahne. Aber Leute, die sich ärgern müßen, abgesehen von ernstlichen Bedrohnißen, giebt's immer. Groß war die Menge der sorglos zugefrornen Pumpen, zahllos liefen die Berichte ein über Regentonnen, denen die Reifen sprangen, gleich dem »eisernen Heinrich« im Volksmärchen, und das Herz obendrein. Zwei Tanten, die ich besuchte, klagten mir auch ihren Winterschmerz. Liegen im Bett schön warm die Nacht. Plötzlich geht's: Wumm! und nochmals Wumm! Böswillige Dynamitbomben draußen sind ihr erster Gedanke, ihr zweiter, gleich morgens die Polizei zu benachrichtigen. Aber Waßerheizungen wollen auch schön warm liegen, wenns friert die Nacht. Weil nicht, sind's geplatzt ihrer zwei. Infolgedeßen Plantscherei im Haus und Kälte acht Tage lang. Kosten beträchtlich. Gute Lehre unbezahlbar. – Mich selbst sogar, sonst winterfroh, hat's mal gezwickt ein paar Stunden lang, als ich Sylvester meinen Bruder, Du kennst ihn, begleiten thät auf der Eisenbahn. Im Coupee unter der Bank, von wo man die Wärme erwartet, gings grad am kältesten heraus. Wir tanzten Trippelschottisch, wie die Bauern auf der Kirchweih. –

Bei Dir zu Haus geht's lustig, bemerk ich. Eine Angabe darüber, wie viel Du selber rauchst und trinkst dabei, vermiß ich. Mir sagte mal ein katholischer Kaplan: im allgemeinen sei der Mensch mehr geneigt, die Sünden Anderer zu beichten, als seine eigenen.

Leb wohl, machs gut! und besinne Dich bisweilen, daß noch vorhanden ist

Dein stets getreuer

Wilh. Busch.[296]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band I: Briefe 1841 bis 1892, Hannover 1968.
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