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[348] 861. An Nanda Keßler
Wiedensahl 9. April 92.
Liebe Nanda!
Auch bei uns fängt es an, Frühling zu werden; schon quackt der Frosch, und bald wird er mit der Frau Nachtigall sein nächtliches Duett anstimmen. Und dann dieser Osterhas, der legte auch schon 4 Eier: »Jedem ein Ei, dem braven Mamachen aber 2.« Denn die holde Geistesverwirrung in Betreff unserer Korrespondenz, so wenig schmeichelhaft sie mir einerseits eigentlich sein sollte, hat mich doch anderseits auch wieder erheitert. Meinen Dank für den hübschen Brief! – Meinen Gruß an die Mama (ja ja, Tinte kostet Geld!) und an's gute Schwesterlein und die Kinder und die Onkels von
Deinem alten
W. Busch.
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»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
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