[55] 1027. An Nanda Keßler

1895.

Der Juni ist erschienen,

Es blühen die Jasminen,

Und wieder fliegt zu Dir

Und setzt sich Dir zu Füßen

Mit Wünschen und mit Grüßen

Ein Vöglein von Papier.


Es wünscht der Ferdinande

Im deutschen Vaterlande

Was irgend Freude macht,

Damit sie recht zufrieden

Mit Dem, was ihr beschieden,

Bei Tage und bei Nacht. –


Ohweh, was muß ich sehen,

Nach Süden thut sie drehen

Ihr schönes Augenpaar,

Wo früh die Blume sprießet,

Wo Gold in Strömen fließet,

Wo stets der Himmel klar,


Wo unter Palmenwedeln

Aus aller Welt die Edeln

Sorglos spatzieren gehn –

An jenes Wunderländchen

Knüpft sie der Sehnsucht Bändchen,

Denn dort ist's gar zu schön. –


Doch wolltest du auch fliehen,

Jenseit[s] der Berge ziehen

Bis an den fernsten Ort;

Ein guter Wunsch hat Flügel,

Ob Alpen oder Hügel,

Er flattert drüber fort.


Er würde Dich erwischen

Selbst tief in Lorbeerbüschen

Und sprechen frohgemuth:

Ja, siehst Du wohl, da bin ich!

Ich grüße Dich herzinnig

Und hoff' es geht Dir gut!


W.B.


1027. An Nanda Keßler: Faksimile: Letzte Strophe
1027. An Nanda Keßler: Faksimile: Letzte Strophe
Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 55-56.
Lizenz:

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