1072. An Nanda Keßler

[72] 1072. An Nanda Keßler


Wiedensahl 6. Juni 1896.


Meine liebe Nanda!

Zwischen den Zeilen stand wirklich nicht viel; nur daß der alte Junggesell zuweilen etwas launisch und verzwickt ist. Da du ihn kennst, da du weißt, daß er euch ein für allemal gern hat, so laß ihn freundlich duldsam so hinlaufen. Punktum!

Der Anger ist herrlich grün und bunt jetzund. Die jungen Staare sind aus in die weite Welt geflogen. Zum Blühen rüsten sich die Rosen. Viel Gewürm lebt daran; aber ich laß es gewähren. Meist sieht man's erst, wenn der Knospenhals schon angenagt ist; das Köpfchen hängt schief, und aus der Blüthe wird doch nichts mehr. Auch hat ja das Ungeziefer so wie so seine Feinde. Eine winzige Schlupfwespe, sah ich, legt ihre Eier in die lebendigen Blattläuse, obgleich diese dabei gar unwillig ablehnend mit dem Bürzel wackeln.

Letzther war's immer noch kühl und viel zu trocken allhier. Die Gurken, unter die ich eigenhändig den Dünger eingrub, hab ich zweimal nachgelegt. Nach dem warmen Regen stehn sie aber tapfer in Reih und Glied.

Nun wird auf der Ginheimer Höh wohl mancherlei wachsen und gedeihn, was unterhaltlich zu sehn ist. Die Mama und die Letty denk ich mir viel droben, Dich auch hie und da; auf dem Rad sogar. Ja, dies Rad! Vielleicht nimmst du dich doch beßer dabei aus, als ich mir mißtrauisch einbilde.

Mit der Photographie, du und Nelly, hast du mir Freud gemacht. Sag auch "Börti" dem Verfaßer meinen Dank dafür.

Tausend Grüße an Euch Alle, besonders an Dich, liebe Nanda von deinem getreuen Onkel

Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 72.
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