1146. An Grete Meyer

[105] 1146. An Grete Meyer


Wiedensahl 18. Aug. 1897.


Liebe Grete!

Hab Dank für den nüdlichen Brief und für die Besorgung der Photographien, die hübsch propper poliert sind.

In Hunteburg, schrieb Else, gings ja gut bisher. Von Braunlage kam gleichfalls erfreuliche Nachricht. Und Du, entsagungsfreudig wie du bist, hast die geliebte musikalische Schnapspulle einstweilen in's Schapp geschloßen und machst dich wieder mal nüchtern beliebt, was inzwischen nicht übel ist.

Annchen schaltet und waltet allhier recht lobenswerth. Sie will dir eigenhändig noch heute Bericht erstatten.

Der Herbst rückt an. Schon fallen viel Blätter herab. Weg ist das singende Geflügel. Nur der Zaunigel hustet mitunter versteckt im Gebüsch.[105]

Apropoh, Seelenwanderung! Du schreibst, was ich dir schrieb, sei dir klar. Demnach ist es dir klar, daß die Sach nicht recht klar ist. Unter diesem Vorbehalt ließe sich kurz noch folgendes sagen: Die Welt ist proppendevoll von nichts als lauter Seelen und Seelchen d.h. von Dingern, die dringend wünschen oben auf zu kommen, zu erscheinen, sich zu gestalten auf Kosten von andern, die sich das aber nicht ruhig gefallen laßen. Da braucht man Wurzeln, Blätter, Hand und Fuß und sonstige Werkzeuge, um rücksichtslos die werthe Person zu erhalten. Natürlich giebt's immerfort Hinderniße, genannt Schmerzen. Man ermüdet schließlich, man stirbt, taucht unter, macht, wenn man's nicht laßen kann, einen neuen Versuch, sich emporzudrängeln, vielleicht unter viel ungünstigeren Verhältnißen als zuvor, und so geht's weiter, hunderttausendmillionenmal, so lange man wünscht, bis daß man zuletzt stutzig wird. Nämlich ein Organ giebt's, das Brägen heißt, oder Gedankenkapsel; eine Art von Laterne, wobei man sieht, was paßirt, eine Art von Waage, worauf man erwägt, was zu thun ist. Hat nun Einer dies Geschirr von vorzüglicher Güte und hat er allmählig die nöthigen Knubse gekrigt, dann spricht und denkt er immer und immer und immer und zwar von Herzen: "Pfüt di Gott, Welt!! I geh in's Tirol!!" Ein Solcher, willt se jo seggen, wird nicht wiedergeboren; seine Seele wandert nicht mehr und braucht sich nie mehr zu ärgern hienieden. – So, außerhalb der Burg, liebs Gredel, sieht theilweis die Gegend aus!

Es grüßt dich herzlich, dich und Else und Schwester Marie und Martin und Ruth und Engel

dein dich liebender

Herrrrunkel

Wilhelm.


Und der stockstarre Gast vom Centralhof redete sehr laut mit seiner Frau auf der Gaße? Zu Haus wohl stürmisch sogar. Drum also hockt er so windstill da vor seinem Glas Bier.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 105-106.
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