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[131] 1199. An Johanna Keßler
Wiedensahl 3. Juli 1898.
Liebste Tante!
Wie schad, daß Sie nicht nach diesem Florenz mal hinüber gedampft sind; eine Fahrt, die doch gegen die vorjährigen Reisen zu Waßer und zu Lande so äußerst bequem ist. Von mir darf ich nicht reden. Ich bin ja still und einsam geworden. Theater, Konzerte, Eisenbahnen, Reichstagswahlen, der wunderliche Krieg auf fernen Inseln, kurz alles, was die sogenannte große Welt bewegt, brummt nur ganz leis verwirrt zu mir herüber. – Im Garten, um unsere Hütte herum, singen und brüten die geflügelten Musikanten. Leider giebt es auch betriebsame Katzen, die überall herum schnüffeln und, wenn's irgend geht, mit ihren scharfen Krallen die kleinen Vöglein[131] aus dem Neste häkeln. Eine alte weiße gelbgefleckte, im Winter mager und betrübt, ist von dem vielen Geflügel, wo sie sich mit mästet, jetzt glatt und neuverjüngt und fett und munter. – Außerdem sind's die Vegetabilien, die Rosen, das Gemüse, das Unkraut auch natürlich, zwischen denen ich beschaulich thätig, bald hindernd, bald befördernd, hin und her spatziere. Ich weiß nicht – grad das, was in der Erde wurzelt, zieht mich mehr an im Alter als wie ehedem; und diese Neigung, denk ich, kommt wohl nicht von ungefähr.
Wie sieht's denn aus auf der Ginheimer Höh? Und was macht die Geflügelzucht?
Und dann: ist die "englische" Ur-Großmama schon zur vollendeten Thatsache geworden?
Meine Schwester besuchte auf einige Wochen ihre Kinder und Enkel in Norden und Hunteburg. Letztere werden demnächst versetzt nach Mechtshausen in der Nähe des Harzes; in vieler Beziehung eine Verbeßerung für sie, worüber auch wir recht erfreut sind.
Leben Sie wohl, liebste Tante! Meinen Dank für Ihren liebenswürdigen Brief von neulich. Bitte, sagen Sie der Nanda, auch ihr ließe ich danken, daß sie mir geschrieben hat.
Tausend herzliche Grüße an Sie und all die Ihrigen von
Ihrem getreuen Onkel
Wilhelm.