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[157] 1257. An Grete Meyer
Mechtshausen 24. Januar 1900.
Liebe Grete!
Ich muß Dir doch geschwind gratulieren. – Also die Angst war weg, sobald es zum Angriff ging.
Desgleichen verschwindet, in der Nähe besehn, gar manches Phantom. Ein freundliches Nahesein ist immer gut. Das weiß Keiner beßer, als ich, der in den Kinderjahren die Bangigkeit gründlich studiert hat.
Un denn – daß Ermunterndes vererbt wurde, vielleicht mehr als anderes, zeigt sich deutlich genug. "Hektors Liebe stirbt im Lethe nicht" – hat er ja selber gesagt.
Ebenso bekannt, wie die Siebenschläfer, sind die schlafenden Gewißen. Nicht mal die "guten Grundsätze", und wärens asketische, halten stand, wenn die Versuchung hübsch kräftig kommt. Erröthen ist immerhin etwas. Was eigentlich noth thut, steht in einem andern Kapitel.
Die schönen Göttersagen laßen sich nicht so kurzweg erzählen. In der Ferienzeit kannst du sie bei uns hier in einem angenehm geschriebnen Buche lesen. – Übrigens sind grad die tiefsinnigsten nicht echt heidnisch und urgermanisch, da die alten nordischen Seefahrer schon früh allerlei Christliches aus England und Irland herüber holten, das dann die Skalden, die Hofpoeten, mit dem Heimischen zusammen verarbeitet haben.
Augenblicklich beschäftigt mich die niedere Mythologie, der gewöhnliche Volksglaube, deßen Entstehen, von innen und außen, für jedermann nahe liegt. Noch jetzt glauben viele Leute, daß ihre Seelen während des Schlafes in Gegenden kommen, die sie erst später leibhaftig zu sehen kriegen! Natürlich am meisten anregend unter den Träumen wirkte der Alpdruck, weil er zur Hälfte ein richtiger Wahrtraum ist. Was weißt du von dem?
Sonntag nachmittag gingen Else und Otto nach Rhüden und blieben zum Eßen dort. Otto ist von heut bis übermorgen bei den Hattorfern. Leider ist Regenwetter.
Die Kleinen und die Großen allhier sind munter, und Alle, liebe Grete,
laßen dich herzlich grüßen.
Stets dein alter getreuer Onkel
Wilhelm,
dem deine Briefe bis jetzt noch nie zu lang waren.