1362. An Johanna Keßler

[195] 1362. An Johanna Keßler


Mechtshausen 13. Juni 1902.


Liebste Tante!

Als mich meine angenehme Begleiterin am Frankfurter Zuge verlaßen hatte, stiegen drei Herren mit goldenen Brillen bei mir ein. Sie vertieften sich sofort in die neusten Kursberichte, verließen mich aber bereits wieder in Nauheim. Hier erschien stattdeßen ein Berliner Ehepaar; die schönere Hälfte mit starkem Bauch sowohl hinten wie vorn. Ich in meiner Ecke dampfte wie ein Kartoffelfeuer. Die Folge davon war, daß sich die Herrschaften samt ihren Handtaschen und Blumensträußen durch den engen Klosetraum in den nächsten Abtheil begaben. Das konnte mir recht sein. In Gießen kauft ich eine Flasche Hochheimer und ein warmes Würstchen. Nachdem ich dieselbigten zusammen mit dem Brödchen, das Sie mir verehrten, in meinem sogenannten Magen versenkt hatte, verfiel ich alsbald in einen Zustand der behaglichsten Versimpelung bis Seesen, wo der Wagen bereit stand.

Zuhaus fand ich es stiller als sonst; Nichte und Kinder waren bereits nach Münster gereist.

Im Garten hatte sich wegen der Kälte nicht viel Neues heraus gemacht.

Auch heute ist's kühl.

Adieu, liebste Tante! Vielen Dank für die freundliche Bewirthung!

Allerseits die herzlichsten Grüße von

Onkel Wilhelm.


Notabene!

Schäfer Ast wohnt Radbruch bei Winsen a.d. Luhe. Zunächst Einsendung von Nackenhaar. Darauf, so hör ich, wird er Näheres erfragen. U.s. weiter??? ???[195]

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 195-196.
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