|
[201] 1381. An Nanda Keßler
Mechtshausen 29. Oct. 1902.
Meine liebe Nanda!
"Wärst nit aufigstiegen, wärst nit abigfallen" heißt es im schönen Liede; daher bin ich doch etwas ängstlich, euch so auf hohem Roße zu sehn. Mehr Vertrauen hab ich zu den demnächst kommenden Ergötzlichkeiten auf ebener Erde. Ich wünsche euch alle Genugthuung und viel Vergnügen dabei. Du fragst nach unserer Thätigkeit inbetreff der Vegetabilien. Die Zwiebeln der Tulpen und Hyacinthen für den Zimmerfrühling stehen, mit Sand bedeckt, schon längst im Keller. Auch die Frankfurter Syringe ist neugepflanzt und wird allmählig angetrieben, und wenn sie blüht, kann sie mich angenehm erinnern an eine gute Freundin, von der ich sie einstmals bekommen habe. Nun werden Ranunkeln und Anemonen in die Beete gesetzt, dann die Knollen der Dalien ausgehoben, dann unter Tannenzweigen die Rosen gesichert. Noch eine andere Arbeit kommt hinterher; ein Stück im Garten ist rigolt; es sollen hundert Obstbäume, niedrige und halbhohe, darauf.
Der Spätherbstnebel hängt tief an den Bergen herunter; bald sind wir wieder hübsch kalt in Schnee verpackt. Bringt uns der Winter nichts Schlimmeres mit, so mag er willkommen sein.
Herzlichen Gruß, liebe Nanda! Und, bitte, grüß auch Nellie und Hugo und die Freunde im Nachbarhaus von
Deinem alten
Onkel Wilhelm.
N.B.
Von dem französischen Buch, das du gelesen, weiß ich nur so viel noch, daß es amüsant und äußerst gescheidt ist. Der Taback scheint stark zu sein. Was thut's? Man braucht ja den Dampf nicht tief in die Lunge zu ziehn.