Der Damenkaffee

[82] »Wie man nur so leben mag?

»Du machst dir gar keinen guten Tag!

Ein guter Abend kommt heran,

Wenn ich den ganzen Tag gethan!« –

(Göthe.)


»Ist denn dieses vielgeschmähte, unschuldige Vergnügen der geplagten deutschen Frauenwelt so überaus wichtig, daß man ihm auch noch gar ein besondres Kapitel widmet?« so wird vielleicht manche empfindliche Leserin entrüstet fragen, und dabei aller der frohen, gemüthlichen Stunden gedenken, die sie im Kreise von lieben Freundinnen bei dem duftenden Schälchen Mokka verbringt. – Sie hat nicht ganz Unrecht mit ihrer Entrüstung, denn sie merkt schon im Voraus, daß das Kapitel schwerlich zum besondren Lobe und der Verherrlichung der »urgemüthlichen, deutschen Kaffeevisite« dienen soll.

Wir antworten ihr aber schnell gefaßt, daß wir gar nicht daran denken das »Kaffeestündchen« angreifen zu wollen. Es hat seine volle, ja sogar seine historische Berechtigung, es ist von den größten Dichtern unserer Nation besungen und gepriesen worden, es vereinigt den Familienkreis so behaglich an der Tafelrunde und wo zwei Freundinnen sich ihre tiefsten Herzensergießungen einander[82] mitzutheilen haben, wo ein paar Hausfrauen einmal in stiller Stunde die Freuden und Leiden ihres Haus- und Familienstandes gegenseitig austauschen möchten, oder ein paar alte Damen, die des Abends nicht mehr ausgehen, ihr Spielchen zusammen machen, da gibt es gewiß keine angenehmere Zuthat, als den arabischen Zaubertrank, der die Zungen löst und die Phantasie beflügelt.

Wir haben es hier mit einem andern Feind des weiblichen Geschlechts zu thun, den man durchaus nicht mit den »Kaffeestündchen« verwechseln muß, wir meinen den »wohlconditionirten, regelrechten Damenkaffee«. Ihn näher zu beschreiben und die Vorwürfe zu wiederholen, die man schon oft gegen ihn geschleudert, wodurch er sich indessen gar nicht in seiner Existenz beirren läßt, ist keineswegs unsere Absicht – wer gerne klatscht, findet dazu immer Gelegenheit, auch ohne »Damenkaffee« – wir möchten nur einmal recht nachdrücklich hervorheben, wie viele, schöne gute Zeit, wie die besten Tagesstunden damit vergeudet werden.

Die mittelalterliche Sitte des Ausgehens, des geselligen Verkehrs, zwischen dem Mittag- und Abendläuten hat sich nirgends so beständig erhalten, als in Deutschland und vorzugsweise unter den Frauen der besseren Stände, denn die arbeitende Frau hat keine Zeit sich zu diesen Stunden, außer am Sonntag, zu vergnügen. Wie so Vieles in unserem Leben ist auch diese Sitte mannichfach zur Unsitte geworden. – Es scheint uns wenigstens eine Art von Unsitte zu sein, wenn jugendliche Frauen und Mädchen, noch in der Vollkraft des Lebens, sich zur besten Tags- und Arbeitszeit in eine entsprechende Toilette werfen, den Strickstrumpf oder eine andre leichte, noch nichtssagendere Arbeit in die Tasche stecken, um sich in einen »Damenkaffee« zu begeben[83] und dort drei bis vier Stunden lang in der unfruchtbarsten und oft unerquicklichsten Weise ihre Gedanken und Neuigkeiten auszutauschen, während Berge von Kuchen und Süßigkeiten vor ihnen aufgehäuft stehen.

Was hat nun diese Art von Geselligkeit für einen Zweck und wer amüsirt sich dabei? Eigentlich Niemand, aber man ist einmal an diesen Schlendrian gewöhnt, und so geht es mit Grazie weiter in das Unendliche; die jungen Mädchen fangen damit an; die jungen Frauen setzen es fort und der »Damenkaffee« wird zu einer nicht mehr abzuschüttelnden Gewohnheit bis in's hohe Alter hinein, nur damit immer langweiliger, schaaler und abgestandner.

Aber hoffen wir, daß auch seine Tage gezählt sind; je mehr die Frauen sich ernster, gediegener Arbeit zuwenden, je weniger Zeit werden sie für solche nutzlose Zeitverschwendung haben. Heute schon ist es solchen Frauen, die sich ernstlich beschäftigen, nicht möglich einige Male in der Woche, um vier Uhr des Nachmittags auszugehen und drei bis vier Stunden lang bei Kaffee, Kuchen und Conversation zuzubringen. Kommt man dann in der Hälfte des Abends nach Hause, so ist dieser ganz ebenso verloren, wie der Nachmittag; man ist müde, abgespannt, unlustig noch etwas anzufangen, als höchstens ein leicht zu lesendes Buch in die Hand zu nehmen und geht gähnend und unzufrieden zu Bett, mit dem Vorsatz, sobald nicht wieder, was auch die Andern sagen mögen, »mit den Wölfen zu heulen«.

Wie können aber Mütter, deren Kinder gerade in der Stunde aus der Schule kommen, wo die Mama in die »Kaffeevisite« geht, bestehen? Grade jetzt wäre sie ihnen am Nothwendigsten, um die Aufgaben zu überwachen, mit ihnen zu spielen, einen Spaziergang mit[84] ihnen zu machen – sie sieht es auch sehr wohl ein, sie fühlt, was ihre Abwesenheit Alles nach sich ziehen kann, »der verwünschte Kaffee!« aber man hat schon so oft abgesagt, man sehnt sich auch einmal wieder etwas Anderes zu sehen und zu hören, sie muß fort! »Man muß nicht müssen«, sagt Nathan, wir haben es schon in der Literaturstunde gelernt, aber was nutzt alle Weisheit der Welt vor dem Machtgebot »des Damenkaffee«? Wenn sie nach Hause kommt, liegen die Kinder im Bett, oder werden hinein gelegt, der Gatte hat sich in seinen Klub, oder, man verzeihe uns den süddeutschen Ausdruck »in's Wirthshaus« verfügt, sie sitzt allein und hat nun volle Muße über die Gemüthlichkeit des »Damenkaffee« nachzudenken.

Jedoch nicht allein für die Frau und Mutter, auch für die Unverheirathete, ist diese Art der Geselligkeit eine Zeitverschwendung zur unrechten Stunde, zur Stunde, die noch irgend einer wirklichen, einer sie selbst fördernden, oder für Andre nützlichen Thätigkeit gewidmet sein sollte. – Man ist gegenwärtig fast überall darauf bedacht, Institutionen zu schaffen, durch welche den Frauen auf verschiedne Weise Belehrung, oder geistiger Genuß geboten wird, aber wir fürchten, die »Concurrenz« der Kaffeevisite wird diese Gelegenheiten öfter nicht zur vollen Geltung kommen lassen. – Indessen sind wir gewiß die Letzten, die gesellige Befriedigung, welche darin liegt, angreifen zu wollen, wir wünschen nur, man möchte sie in eine bessere Zeit, von dem Nachmittag auf den Abend verlegen, und die Männer dazu heran zu ziehen suchen. Wenn die Frauen damit den Anfang machen, wenn sie sich ernstlich daran halten die Nachmittags- und ersten Abendstunden, einen kurzen Spaziergang oder Ausgang abgerechnet, zu Hause zu sein, so wäre damit den Männern[85] ein großer Vorwand genommen, ihre Abende auch fern von zu Hause zuzubringen.

Es ist eine durchaus unerfreuliche Thatsache, daß an vielen Orten der gesellige Verkehr zwischen Männern und Frauen immer mehr abnimmt, was für beide Theile gewiß kein Vortheil ist. Man sucht es durch das erhöhte politische Leben in Deutschland zu erklären, aber dies ist nicht stichhaltig, denn in Ländern, wo weit mehr politisches Leben herrscht, und viel länger herrschte als bei uns, ist dies nicht der Fall. In Frankreich, England, Belgien, Holland, theilweise auch in der Schweiz, bringen die Männer ihre Abende in der Familie, oder in Gesellschaft der Frau im Freundeskreise zu. Diesem Ziele müssen auch wir zusteuern.

Von der siebenten Abendstunde an kann und sollte jede Mutter und Hausfrau, ohne besondre Abhaltung, im Stande sein, ihr Haus ruhig auf einige Stunden zu verlassen, wenn sie nicht selbst Freunde bei sich sieht. Von dieser Stunde an ist jedem Menschen, Mann oder Frau, wenn er den Tag über fleißig gearbeitet, ein geselliges Ausruhen nicht allein erlaubt, sondern auch wirklicher und nachhaltiger Genuß. – Man rühmt so gerne im Gegensatz zu andern Ländern den häuslichen Sinn der deutschen Frauen, aber mit einigem Unrecht. Keine Frau geht so viel und so zu jeder Tageszeit aus, wie die deutsche. – Es ist bei uns nichts Seltenes schon des Morgens um 9 Uhr Besuch zu bekommen und dies geht den ganzen Tag über so fort. In den oben genannten Ländern hat man dafür seine bestimmten festeingehaltnen Stunden, ja Tage. Die Französin empfängt an einem bestimmten Tag in der Woche und ist in schöner Toilette in den üblichen Stunden für jeden Besuch bereit. An den sechs übrigen Tagen verschwindet sie und wenn[86] sie keine Salon- oder Modedame ist, was sie doch selbstverständlich nicht Alle sind, arbeitet sie recht tüchtig und ungestört, vom Morgen bis zum Abend, wo dann wieder die Geselligkeit mehr oder weniger in ihr Recht tritt. – Während der Faschingszeit erreicht diese ihren Höhepunct, im Uebrigen aber und abgesehen von einem vier bis sechswöchentlichen Landaufenthalt im Sommer, verläuft das Leben der französischen Frau ungleich einförmiger und weniger abwechselnd als das der Deutschen und vor allen Dingen hat sie keine Ahnung von dem Zauber eines »Damenkaffee«. Das englische Frauenleben hat sehr viel Aehnliches damit, nur widmet man der Bewegung in freier Luft mehr Zeit, im Uebrigen jedoch kümmert sich die Engländerin sehr eingehend um Haus und Kinder, und wenn sie auch grade in der Küche und bei den sonstigen häuslichen Geschäften nicht soviel mithilft, als die deutsche Frau, leistet sie dagegen sehr viel mit der Nadel, macht, wenn sie nicht grade zu den Reichen gehört, ihre eignen Kleider, sowie die der Kinder selbst und hält ihre Zeit wohl zu Rathe. Ebensowenig dürfen wir uns verhehlen, daß die englischen Frauen, wenn sie sich ernsten Beschäftigungen und Studien hingeben, darin durchschnittlich eine höhere Stufe erreichen, als die deutsche Frau, da sich ihr Leben weit weniger zersplittert durch eine ungeeignete Eintheilung der Arbeits- und der Mußestunden.

Nirgends sonst als in Deutschland, hat die Frau Jahr aus, Jahr ein, soviel Zerstreuung und Vergnügung; jede Deutsche, die im Ausland, in mittleren Verhältnissen gelebt hat, wird uns beistimmen. Landparthien und Damenkaffee's, sowohl in, als außer dem Hause, gibt es nur bei uns; Theater und Concerte nirgends sonst in solch' reicher Fülle und durch die niedren Preise Jedermann zugänglich.[87]

Im Anbetracht Alles dessen wäre es gewiß kein allzu großes Opfer, wenn auch die deutsche Frau ihre Mußestunden auf den Abend verlegte und den Tag der Arbeit widmete, gleich dem Mann, damit dann nach vollbrachtem Tagewerk Beide sich in gleichem geselligen Bedürfniß begegnen könnten. Würde diese Geselligkeit dann auch so einfach eingerichtet, wie bei den romanischen Völkern, wo die Bewirthung eine höchst untergeordnete Rolle spielt, so müßte dem geistigen Leben Deutschland's aus solch ungezwungner Vereinigung ein unendlicher Gewinn erwachsen, jedenfalls aber wäre es kein geringes Verdienst der deutschen Frauen, wenn sie der »Kaffeevisite« entsagend, wenigstens den Versuch machten, eine andre Art der Geselligkeit hervorzurufen, dabei Göthe's weisen Spruch bedenkend:


»Tages Arbeit, Abends Gäste,

Sei mein künftig Zauberwort!« –[88]


Quelle:
Luise Büchner: Die Frauen und ihr Beruf. Leipzig 41872, S. LXXXII82-LXXXIX89.
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