Weise Männer trauen der Dichtkunst das Vermögen zu, nicht nur den Ohren und Herzen der Edlen zu schmeicheln, sondern auch manche wichtige Kraft der Menschennatur zum Anbau und Genuß des Schönen und Guten zu erhöhen. Sollte diese Wirkung einige Töne dieser Lieder begleiten, so würde das den Sänger des Blümchens Wunderhold, der von der göttlichen Kunst groß, von sich selbst aber sehr mäßig denkt, freilich noch nicht berechtigen, in Prosa nun eben so zu stolzieren, als es in Versen bisweilen wohl kleiden mag. Allein er dürfte doch einen bescheidenen Mut gegen diejenigen fassen, vor welchen auch der beste Dichter, vermutlich weil er so titel- und brotlos ist, ein sehr überflüssiges Nebengeschöpf zu sein scheinet. Der Niedergeschlagene, zwar weit entfernt auf Sonnenrang Anspruch zu machen, brauchte sich doch alsdann in der großen Welt- und Wesenkette nicht für unnützer und verdienstloser, als wenigstens den Zephyr zu halten. Der Flatterer, der Tändler, der Gaukler, oder wie er sonst noch gescholten werden mag, treibt zwar weder Kriegs- und Handelsschiffe, noch große Mühlen zur unmittelbaren Leibesnahrung und Notdurft: allein er hilft doch Blumen aus den Knospen schmeicheln und süße Früchte zur Reife bringen, Blumen und Früchte, welche vielen wohlgebornen und wohl erzogenen Gemütern große Freude machen und ungemein wohl bekommen. Er wehet den Lieblingen der Natur nach des Tages Last und Hitze die Wohlgerüche des Frühlings zu; er trocknet dem Wanderer die Pfade, dem Müden die nasse Stirn ab; er kühlt dem Schnitter die glühenden Wangen, erquickt entatmete Busen, und stärkt erschlaffte Nerven zu neuen Anstrengungen. Sollten die Ansprüche des Dichters auf ähnliche Verdienste, wofern er sonst nur dem Genius der Kunst genug thäte, gegründet sein: so wären sie ja auch wohl nicht so unbescheiden, daß sie verdienten niedergeschlagen[3] zu werden. Alles, was zur Vollkommenheit und zum Wohlsein des Menschen, der doch bekanntlich noch etwas mehr, als bloß Körper ist, auf irgend eine Weise beiträgt, das verdient von verständigen und gerechten Menschen als etwas Nützliches angesehen und geschätzet zu werden. Kann die schöne, geist- und herzvolle Schwester im Hause ein solches von sich rühmen, so mag es ihr wohl nicht zum gerechten Vorwurfe gereichen, daß sie sich nicht auch auf Kochen, Backen und Brauen verstehet. Sie ist freilich keine Partie für den Gast- und Speisewirt: allein es gibt auch immer noch andere wackere Männer, deren Hauptsache es gerade nicht ist, um bloße Köchinnen oder Schaffnerinnen mit Schlüsselbündeln zu werben. Sie selbst aber wird wiederum auf diese nie deswegen mit spöttischem Übermut blicken, wird ihnen nicht das mindeste von ihren verdienten Ehren entziehen, ja selbst jeden Vortritt, den sie verlangen, sehr willig einräumen. Denn je mehr Verstand, Herz und Geschmack: desto mehr Gerechtigkeit, Toleranz und Bescheidenheit.
Mein geringes Verdienst darf ich nur auf einige Töne gründen. Denn nur von einigen wage ich es zu hoffen, daß sie mein poetisches Dasein nicht ganz ohne Wert für mein Vaterland lassen werden. Für die ungleich größere Menge der unvollkommenen, die wenig oder nichts, ja vielleicht – o hätte mich doch mein guter Genius davor bewahret! – vielleicht wohl gar schlecht auf Herz und Geschmack wirken, von welchen allen es, wie bei Shakespear von Macbeths Unholdinnen heißen möchte:
Poetry hath bubbles, as the water has;
And these are of them –
bedarf ich gewiß sehr großer Nachsicht. Ein gehöriger Grad der Strenge bei dieser neuen Ausgabe meiner teils 1778 bereits gesammelten, teils nachher einzeln erschienenen, und endlich gegenwärtig ganz neu hinzugefügten Gedichte, hätte vielleicht mehr, als die Hälfte derselben, ganz verwerfen, und von dem Reste wohl abermals mehr, als die Hälfte wegschneiden, oder doch ganz anders zur Vollkommenheit empor arbeiten müssen. Enthält diese Sammlung, sowohl in Materie als Form, ächtes poetisches Gold, so fassen es, ausgebrannt und von den Schlacken gereinigt, vermutlich nur wenige Bogen.
Warum ich denn nun aber diesen Prozeß nicht vorgenommen habe? – Aufrichtig zu reden, ich trauete mir selbst nicht Unbefangenheit genug zu. Nicht, daß ich aus Autorliebe gefürchtet hätte, vieles zu fest, sondern vielmehr zu lose zu halten,[4] was meiner gegenwärtigen Stimmung – vielleicht auch Verstimmung – mißfällt, gleichwohl aber mehrern Lesern noch angenehm sein kann. Die Reduktion sei daher lieber der Kritik und dem Geschmacke des gebildeten Publikums überlassen. Aus Ehrfurcht und Gefälligkeit gegen dasselbe bin ich sehr bereit, alles, was sein Urteil verwirft, ohne Widerrede mit zu verwerfen. Ohne Bedauern habe ich dies schon mit mehrern Kleinigkeiten gethan, welche einiges Mißfallen erregt zu haben schienen. Es ist daher gewiß keine Grimasse, sondern hoher und ungeheuchelter Ernst, wenn ich um die strengste, wiewohl freilich auch besonnenste, Beurteilung, und für kein einziges dieser Gedichte, ja nicht für einen Vers, nicht für ein Wort, um unverdiente Schonung bitte. Für meine Person hingegen wünsche ich allerdings, daß der ehrwürdige Richter nicht mich selbst mit Verdruß und Unwillen ansehen wolle, wenn ich das Gefühl des Schönen und Guten wider meinen Willen irgend wo beleidigt haben sollte. Der Wunsch, meinem Vaterlande in diesem Zweige der Litteratur, sei er nun viel oder wenig wert, keine Schande zu machen; ja wo möglich es dahin zu bringen, daß die Edlen sich meiner ein wenig freuen dürften; dieser Wunsch wird erst mit meinem Leben erkalten. Von ihm beseelt, werde ich, wenn diese Sammlung nun noch eine rechtmäßige Auflage erleben sollte, der erste und eifrigste sein, in das Grab der Vernichtung und Vergessenheit hinabzutreten, alles was deutschen Geist und Geschmack vor Gegenwart und Zukunft entehren könnte.
Herzlich bitte ich indessen den guten Genius unserer Litteratur wegen mancher bösen Nachahmung um Verzeihung, wozu ich durch mein Beispiel, sowohl vorhin, als vielleicht itzt abermals, den Unmündigen vorgeleuchtet haben mag. Ich will mich nicht damit entschuldigen, daß dieses auch oft durch gute und untadelhafte Beispiele geschehen könne, wenn es dem Nachahmer an Beurteilungskraft und Geschmack mangelt. Wohl aber will ich diejenigen, die etwa allzusehr von meiner Weise eingenommen sein möchten, aufrichtig vor mir selbst gewarnet haben; damit ich künftig nur für meine eigenen, nicht aber auch noch für fremde Vergehungen zu büßen haben möge. Wenn diejenigen, welche so zuversichtlich meinem Ansehen folgen zu können glauben, wüßten, wie ängstlich und verzagt ich oft selbst bin: so würden sie einem so schwachen Führer sich nicht anvertrauen.
Es ist überhaupt ein sehr mißliches Unternehmen, fremde Eigenheiten nachzuahmen. Demjenigen, dessen Eigenheiten es sind, pflegen sie gemeiniglich so innig natürlich und geläufig[5] zu sein, daß er sie selbst nicht eher an sich gewahr wird, als bis ihn ein Dritter aufmerksam darauf macht. Eben daher aber, und weil sie so ganz zu seiner übrigen Individualität passen, kleiden sie auch nur ihren Eigentümer entweder gut, oder doch wenigstens erträglich, den Nachahmer hingegen oft unausstehlich. Nachahmer fremder Manieren kommen mir immer nicht anders vor, als Kosacken oder Bettler. Sie stecken sich in geraubte oder erbettelte Kleider, wovon ihnen selten ein Stück völlig gerecht sein wird.
Sind denn nun aber alle guten und bösen Worte, jedem Original seine Weise für sich zu lassen, vergebens; ist alles Bitten und Flehen umsonst, ihm den vielleicht sonst zu seinem und des Publikums Besten noch lange fortblühenden Handel nicht vor der Zeit durch tagtägliche Nachäffereien zu Grunde zu richten; indem man ja auch der besten Töne auf dem besten Instrument endlich überdrüssig werden muß, wenn ihrer Wiederholungen gar kein Ende ist1; soll und muß denn schlechterdings auch ich, der geringste von allen, die ihr eigenes Instrument auf eigene Weise spielten, nachgeahmt werden; wiewohl unter allen möglichen Mitteln, meine Hochachtung und Liebe zu gewinnen, dieses gewiß das unglücklichste ist: so rate ich doch wohlmeinend, hierzu nicht gerade meine Eigenheiten zu wählen, bevor sie nicht eine zuverlässige Kritik ausdrücklich gut geheißen hat. Denn ich befürchte sehr, daß die Kritik viele derselben nur mir aus Güte und Nachsicht stillschweigend hingeben läßt, weil ich ihr vielleicht nicht von andern Tugenden gänzlich entblößt scheine. Nach einigen bin ich mir wenigstens eines sehr eifrigen Bestrebens bewußt, wenn auch in der Ausführung die Kraft nicht immer dem Willen die Wage halten sollte. Wie wenn aber dennoch die ehrwürdige Göttin mein Bestreben nach Klarheit, Bestimmtheit, Abrundung, Ordnung und Zusammenklang der Gedanken und Bilder; nach Wahrheit, Natur und Einfalt der Empfindungen; nach dem eigentümlichsten und treffendsten, nicht eben aus der toten Schrift- sondern mitten aus der lebendigsten Mundsprache, aufgegriffenen Ausdrucke derselben; nach der pünktlichsten grammatischen Richtigkeit, nach einem leichten, ungezwungenen, wohlklingenden Reim- und Versbau, hin und wieder zu erkennen glaubte, und mir bloß darum manchen verwerflichen[6] Bürgerianismus verziehe: würde und dürfte sie nun auch meinem Nachahmer, der an dies alles nicht gedacht hätte, gleiche Huld widerfahren lassen? – Wenn ich wirklich, was man mir bisweilen nachgerühmt hat, ein Volksdichter bin, so habe ich dies schwerlich meinen Hopp Hopp, Hurre Hurre, Huhu u.s.w. schwerlich diesem oder jenem Kraftausdrucke, den ich vielleicht nur durch einen Mißgriff aufgehascht, schwerlich dem Umstande zu verdanken, daß ich ein Paar Volksmärchen in Verse und Reime gebracht habe. Nein, dem unablässigen Bestreben nach den vorhin genannten Tugenden muß ichs zu verdanken haben; dem Bestreben, daß dem Leser sogleich alles unverschleiert, blank und bar, ohne Verwirrung, in das Auge der Phantasie springe, was ich ihm anzuschauen, daß alles sogleich die rechte Saite seiner Empfindsamkeit treffe, was ich ihm habe zu empfinden geben wollen.
In meiner Nachtfeier, in dem hohen Liede und einigen andern regt sich freilich etwas alte Mythologie, die aber auch fast populär ist, oder sich doch mit wenigen Worten selbst einem Kinde erklären läßt. Wenn indessen, höchstens nur diese Mythologie abgerechnet, in jenen Gedichten nicht eben der Geist der Popularität, das ist, der Anschaulichkeit und des Lebens für unser ganzes gebildetes Volk, – Volk! Nicht Pöbel! – als in der Lenore und ihres gleichen herrscht und erkannt wird: so fühle ich mich durch den Ehrennamen eines Volksdichters nur sehr wenig geschmeichelt. In diesem Sinne habe ich es gemeint, was ich schon in der Vorrede zur ersten Ausgabe, (die ich übrigens zu vergessen bitte,) von Volkspoesie behauptet, nur aber ein wenig abenteuerlich ausgedrückt habe. Ich hätte sagen sollen, was ich auch noch jetzt, und wie ich meine, nicht ohne Besonnenheit, behaupte: Popularität eines poetischen Werkes ist das Siegel seiner Vollkommenheit. Wer diesen Satz sowohl in der Theorie als Ausübung verleugnet, der mißleitet das ganze Geschäft der Poesie, und arbeitet ihrem wahren Endzweck entgegen. Er zieht diese so allgemein menschliche Kunst aus dem ihr bestimmten Wirkungskreise, von dem Markte des Lebens hinweg, und verbannet sie in enge Zellen, ähnlich denen, worin der Meßkünstler mißt und rechnet, oder der Metaphysiker, wenigen Schülern höchst schwer, oder gar nicht verständlich, etwas vorgrübelt. Diese Erklärung mag nun noch immer, wie vorhin, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Thorheit sein, so kann ich doch nicht aufhören, die Poesie für eine Kunst zu halten, die zwar von Gelehrten, aber nicht für Gelehrte, als solche, sondern für das Volk ausgeübt[7] werden muß. In den Begriff des Volkes aber müssen nur diejenigen Merkmale aufgenommen werden, worin ungefähr alle, oder doch die ansehnlichsten Klassen überein kommen. Ich glaube mit nichten, daß dieser Begriff schimärisch, oder für den Dichter unfruchtbar sei, wiewohl ich ganz und gar die Folgerung nicht soweit getrieben haben will, daß nun jedes Gedicht Jedermann in gleichem Maße verständlich und behaglich sein soll. Anstatt einer umständlichen philosophischen Entwickelung sei es mir erlaubt, meine Meinung nur in einem ganz gemeinen Gleichnisse anschaulich zu machen. Der Schuhmacher, welcher mit einer großen Anzahl zum voraus verfertigter Schuhe zu Markte ziehet, weiß sehr wohl, daß seine Schuhe nicht auf alle Füße passen werden. Es gibt allerdings Abweichungen ins Große und ins Kleine, und selbst Menschen gehen bisweilen auf Pferdefüßen. Deswegen ist doch aber sein allgemeiner Maßstab, wonach er sich richtet, kein Unding; und ob mir, dem gewöhnlichen Manne, gleich nicht alle seine hundert oder tausend Paar Schuhe wie angegossen passen; so könnte ich doch wohl, wenn es drauf ankäme, in allen hundert und tausend Paaren ganz leidlich einhergehn. Wenig Nutzen würde hingegen sowohl ihm, als dem Publikum seine Bude gewähren, wenn er nur Zwerg- oder Riesenschuhe zu Markte gebracht hätte. Einige Paar von beiderlei Abweichungen mögen immer mit unterlaufen. Wahrlich, es ist ein wahres Wort, was schon längst ein scharfsinniger Britte gesagt hat: Human Nature is the same in all reasonable creatures; and whatever falls in with it, will meet with admirers amongst Readers of all Qualities and Conditions2. Dies ist ungefähr meine Meinung von Volkspoesie, und ich glaube zu wissen, was ich sage.
Doch ich verliere mich fast von meinem Wege. Ich wollte nur warnen, daß man meine angebliche Popularität nicht in etwas setzen und nachahmen möchte, worin sie gewiß nicht, wenigstens nicht allein bestehet, noch bestehen darf, wenn sie mir zur Ehre, und meinen Werken zum Lebensbalsam über das Restchen dieses Jahrhunderts hinaus gereichen soll. In dem Sinne, wie ich ein Volksdichter, oder lieber ein populärer Dichter zu sein wünsche, ist Homer, wegen der spiegelhellen Durchsichtigkeit und Temperatur seines Gesangstromes, der größte Volksdichter aller Völker und Zeiten, sind es, mehr oder weniger, alle großen Dichter, auch die unsrigen, und gerade in ihren[8] allgemein geliebtesten und unsterblichsten Versen, unendlich mehr als ich gewesen. Was sie nicht populär gedichtet haben, das ist zuverlässig bei ihren lebendigen Leibern bereits vergessen, oder gar niemals in die Vorstellungskraft und das Gedächtnis ihrer Leser aufgenommen worden. Mit gutem Vorbedacht gebe ich daher alles, was ich nicht populär, nicht innerhalb des allgemein anschaulichen und empfindbaren poetischen Horizontes gedichtet habe, wenn auch nicht gerade als Fehler, dennoch als etwas preis, woran ich selbst am wenigsten Wohlgefallen habe.
Es thut mir leid, daß ich hier so viel von mir selbst reden muß, welches, wie ich wohl weiß, nicht fein läßt. Ich bin mir indessen bewußt, daß ich von mir selbst so unbefangen und gleichgültig, als von einem fremden Manne rede. Auch geschieht es minder mir, als der Kunst und ihren Jüngern zu Liebe. Denn unter andern auch darum entledige ich mein Herz über Nachahmung, oder vielmehr Nachäffung, welche anstatt des Kernes die Schale ergreift, weil ich eine Überschwemmung von schlechten Sonnetten befürchte, wenn die wenigen, die ich versucht habe, Beifall gewinnen sollten. Diese Gedichtform, deren sich die neuern Ausländer, besonders Italiäner, noch bis auf den heutigen Tag sehr häufig bedienen, war auch bei unsern ältern Dichtern nicht wenig im Gange. Der Zwang aber, die Plumpheit und der Übelklang, womit die meisten, wo nicht alle, deutschen Sonnette dahinstolperten, brachte vermutlich nachher, bei mehrerer Kultur des Geschmackes, diese Form, bis auf wenige Ausnahmen in neuern Zeiten3, aus dem Gebrauch und fast ganz in Vergessenheit. Wenn bessere Dichter oder Kunstrichter ihrer ja noch erwähnten, so geschah es mit einer Art Geringschätzung, womit man etwa von der Kunst sprechen möchte, Hirsenkörner durch ein Nadelöhr zu werfen. Die undankbare Schwierigkeit des Sonnettes ward beinahe, und zwar in Sonnetten selbst, zum Sprichworte. Kurz, man hielt die Kunst des Sonnettes für nicht viel besser, als die Kunst der Anagrammen, Logogryphen, Akrostichen, Chronogrammen und Rätsel. Allein mir däucht denn doch, man sprach davon nur wie der Fuchs von den Trauben, indem der Vorwurf des Zwanges und der Unbehülflichkeit mehr dem Dichter, als der Form und unserer Sprache gebühret. Ein gutes deutsches Sonnett kann demjenigen, der nur einigermaßen Ohr hat, seiner Sprache mächtig ist, und ihren Knoten, deren sie freilich leider! genug hat, auszuweichen verstehet, nicht viel[9] schwerer sein, als jedes andre kleine gute Gedicht von diesem Umfange; und wenn es gut ist, so schlägt es mit ungemein lieblichen Klängen an Ohr und Herz. Das Hin- und Herschweben seiner Rhythmen und Reime wirkt auf meine Empfindung beinahe eben so, als ein von einem schönen, anmutigen, bescheidenen jungen Paare, schön und mit bescheidener Anmut getanztes kleines Menuet, und in dieser Stimmung halte ich es für sehr wahr, was Boileau sagt:
Un sonnet sans défaut vaut seul un long poëme.
Es ist aber, glaube ich, nicht allein alsdann gut, wann seine mechanischen Regeln, die nach Boileau4 Apoll aus Bizarrerie für dasselbe erfunden und festgesetzt haben soll, auf das genaueste beobachtet werden, wiewohl man, pour pousser au bout tous les rimeurs, und um die Unberufenen abzuwehren, wohl thut, dieselben auf das genaueste beizubehalten. Sondern vornehmlich alsdann ist das Sonnett gut, wann sein Inhalt ein kleines, volles, wohl abgerundetes Ganzes ist, das kein Glied merklich zu viel, oder zu wenig hat, dem der Ausdruck überall so glatt und faltenlos, als möglich, anliegt, ohne jedoch im mindesten die leichte Grazie seiner hin und her schwebenden Fortbewegung zu hemmen. Es muß aus der Seele, es muß von Zunge und Lippen gleiten, glatt und blank, wie der Aal, welcher der Hand entschlüpfend auf dem betauten Grase sich hinschlängelt. Wenn man versuchte, das gute und vollkommene Sonnett in Prose aufzulösen, so müßte es einem schwer werden, eine Sylbe, ein Wort, einen Satz aufzugeben, oder anders zu stellen, als alles das im Verse stehet. Ja sogar die überall äußerst richtig, voll und wohl tönenden Reimwörter müssen nicht nur irgendwo im Ganzen, sondern auch gerade an ihren Stellen, um des Inhalts willen, unentbehrlich scheinen. – Und ist denn das etwa nicht schwer genug? – Allerdings! Allein dem Meister der Kunst doch nicht so gar viel schwerer und zwangvoller, als jedes andre kleine Lied. Darf denn dieses etwas andres sein, als gleichsam ein Hauch, leicht aus der Brust empor gehoben und von den Lippen weggeblasen; nicht aber herausgewürgt, gehustet, geräuspert, gekrächzet, geröchelt? – Wie weit ich meinen eigenen Foderungen Genüge geleistet, das ziemet mir nicht zu entscheiden. Soviel aber darf ich behaupten, daß mein junger vortrefflicher Freund, August Wilhelm Schlegel, dessen großem poetischen Talent, Geschmack und Kritik, mit mannigfaltigen[10] Kenntnissen verbunden, schon sehr frühe die gehörige Richtung gaben, nach jenen Foderungen ohne Anstoß Sonnette verfertigt hat, die das eigensinnigste Ohr des Kenners befriedigen müssen. Ich kann mich nicht enthalten, mit einem derselben diese Vorrede zu würzen, und mich zugleich dadurch zu rechtfertigen, daß ich das Wort der Weihe, in meinem ganzen Leben das erste, an diesen Lieblingsjünger, dessen Meister ich gern heißen möchte, wenn solche Jünger nicht ohne Meister fertig würden, nicht wider die Gebühr verschwendet habe:
1 | Ich erinnere mich, daß mir in meinen Schuljahren die Flöte, die doch ein so lieblich tönendes Instrument ist, auf lange Zeit dadurch verleidet wurde, daß eine Menge meiner Mitschüler zur Linken und Rechten, über und unter, hinter und vor mir, die Flöte blasen lernten, und Tag für Tag mir die Ohren darauf voll dudelten. |
2 | The Spectator. No. 70. |
3 | S.T. Merkur von 1776. zweites und drittes Vierteljahr. |
4 | Poëtique Ch. II. v. 83. seq. |
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