Drittes Kapitel.

[88] Was dem Don Quixote mit etlichen Ziegenhirten begegnete.


Er wurde von den Ziegenhirten sehr bereitwillig aufgenommen, und nachdem Sancho, so gut es sich tun ließ, für den Rozinante und seinen Esel gesorgt hatte, folgte er dem Geruche von einigen Stücken Ziegenfleisch, die über dem Feuer in einem Kessel kochten. Er war auch gleich des Willens, den Versuch zu machen, ob es sich nicht schicken wolle, sie ohne weiteres aus dem Kessel in seinen Magen zu führen, aber dieser Vorsatz wurde dadurch vereitelt, daß die Hirten das Fleisch vom Feuer nahmen, auf der Erde einige Schaffelle ausbreiteten, sehr bald ihren ländlichen Tisch fertig hatten und hierauf die beiden mit dem besten Willen zu dem, was vorrätig war, einluden. Um die Felle herum lagerten sich ihrer sechs, die sich dort in der Hütung befanden, nachdem sie Don Quixote vorher mit ungeschickten Komplimenten genötigt hatten, sich auf einem Troge niederzulassen, den sie umkehrten. Don Quixote setzte sich, Sancho aber blieb stehen, um den Becher herumzureichen, der aus Horn gemacht war. Als ihn sein Herr stehen sah, sagte er: »Sancho, damit du die Vorzüge erkennest, die die irrende Ritterschaft mit sich führt, und wie geehrt diejenigen sind, die in irgendeinem ihr zugehörenden Amte stehen, damit du merkest, wie solche von der Welt geachtet und geehrt werden, will ich, daß du an meiner Seite und in der Gesellschaft dieser braven Leute sitzest, daß du ein und eben das mit mir seist, der ich doch dein Herr und eigentlicher Gebieter bin, daß du aus meiner Schüssel essest und trinkest, woraus ich trinke. Denn[89] von der irrenden Ritterschaft kann man das nämliche sagen, was von der Liebe gesagt wird, daß sie alle Dinge gleichmache.«

»Großen Dank!« sprach Sancho, »aber ich muß Euch sagen, gnädiger Herr, daß, wenn ich etwas Gutes zu essen habe, es mir im Stehen und so für mich weit besser schmeckt, als wenn ich einem Kaiser zur Seite gesetzt würde. Und soll ich vollends die Wahrheit bekennen, so schmecken mir Brot und Zwiebeln in meinem Winkel besser, wo ich ohne Umstände und Komplimente essen darf, als Puterbraten, wenn ich nur langsam kauen soll, wenig trinken, mir alle Augenblicke den Mund wischen muß, weder niesen noch husten darf, wenn mir die Lust ankömmt, oder andere Dinge tun, die sich mit der Einsamkeit und Freiheit vertragen. Also, gnädiger Herr, könnt Ihr die Ehre, die Ihr mir zudenkt, da ich ein Diener und Zubehör der irrenden Ritterschaft bin, ich meine, Euer Stallmeister, lieber in etwas andres verwandeln, das mir bequemer und nutzbarer ist: denn dies nehme ich hiermit für empfangen und entsage ihm von jetzt an bis in Ewigkeit.«

»Du sollst dich dennoch niedersetzen, denn der Himmel erhöht den, der sich selbst erniedrigt«; und zugleich faßte er ihn beim Arm und zog ihn mit Gewalt an seine Seite nieder. Die Ziegenhirten begriffen von diesem Rotwelsch der Stallmeister und irrenden Ritter nichts, sie aßen, schwiegen still und beschauten ihre Gäste, die sehr anmutig und behende Stücke, wie die Faust so groß, hinunterkaueten.

Als dieser Gang von Fleisch verzehrt war, breiteten sie auf die Felle eine große Menge Eicheln, wobei sie einen halben Käse aufsetzten, der härter war, als wenn er aus Kalk gearbeitet wäre. Das Trinkhorn war auch nicht müßig, denn es ging häufig herum, bald voll, bald ausgeleert, wie der Eimer an einem Schöpfrade, so daß einer von den beiden preisgegebenen Schläuchen bald ausgeleert war.

Als Don Quixote seinen Magen hinreichend befriedigt hatte, nahm er eine Handvoll Eicheln, betrachtete sie aufmerksam und eröffnete hierauf seinen Mund zu folgenden Worten: »O du beglücktes Zeitalter! beglücktes Jahrhundert! dem unsre Vorfahren den Namen des Goldenen beilegten, nicht weil man damals das Gold, welches in unserm Eisernen Zeitalter so geschätzt wird, in jenen preiswürdigen Tagen ohne Beschwer gewann, sondern weil unter denen, die damals lebten, die beiden Wörter mein und dein unbekannt waren. In diesem segensreichen Alter waren alle Dinge gemein, keiner durfte für seinen gewöhnlichen Unterhalt etwas Weiteres tun als die Hand ausstrecken, um sie von den starken Eichen zu pflücken, die einladend und freigebig die süße und gesunde Frucht jedermann hinreichten. Die klaren Gewässer und die rollenden Ströme boten in ihrer herrlichen Fülle die wohlschmeckende durchsichtige Welle zum Trunke dar. In den Felsenritzen und Baumhöhlen bauten die fleißigen und klugen Bienen ihren Staat und luden ohne Eigennutz jedwede Hand zur Einsammlung ihrer lieblichen Arbeit ein. Die festen Korkbäume gaben freiwillig und ohne Berührung des Beils die reichhaltige und leichte Rinde her, womit man die Hütten, die auf unbehauenen Pfählen ruhten, deckte, um sich gegen die Unfreundlichkeit des Himmels zu schützen.

Alles war damals Friede, Liebe, Eintracht; noch hatte es das schneidende Eisen des gekrümmten Pfluges nicht gewagt, die frommen Eingeweide unsrer ersten Mutter zu öffnen und zu verletzen: denn ungezwungen verbreitete von allen Seiten der fruchtbare große Schoß alles, was zur Sättigung, Erhaltung und Ergötzung ihrer Kinder diente. Damals war es auch, daß die einfältigen und schönen Hirtenmädchen von Tal zu Tal, von Hügel zu Hügel schweiften, die Haare aufgeflochten und nicht weiter bekleidet, als das anständig zu verhüllen, was die Tugend damals und immer zu verhüllen geboten hat; aber ihr Schmuck war nicht wie der jetzige, den der tyrische Purpur und die tausendfältig zermarterte Seide kostbar macht. Grüne Blätter, mit Efeu verwebt, war ihre Tracht, in der sie wohl so herrlich und reizend erschienen als jetzt unsre Damen in ihren seltsamen und fremden Erfindungen, die der sinnende Müßiggang[90] erzeugt. Einfalt und Treue waren damals der Schmuck der werbenden Liebe, sie sprach, wie sie dachte, und suchte keinen künstlichen Schwung der Worte, um sich köstlich zu machen. Betrug, Täuschung und Bosheit waren nicht mit Wahrheit und Aufrichtigkeit vermischt. Auf eigenen Gesetzen ruhte die Gerechtigkeit, weder Gunst noch Eigennutz wagten es, sie zu irren, die sie jetzt schmälern, irren und verfolgen. Willkürliche Aussprüche verunzierten keinen Richter, denn keiner richtete damals, und keiner wurde gerichtet. Die Jungfrauen und Tugend gingen, wie schon gesagt, wohin sie wollten, allein und einsam, ohne Furcht, daß fremde Kühnheit und üppige Wünsche sie schädigten, denn ihre Einbuße geschah nur aus eigner Lust und freiem Willen. Aber in unsern verderblichen Zeiten ist keine Tugend sicher, wenn sie auch ein neues kretensisches Labyrinth verborgen und verschlossen hielte: denn auch dort dringt durch Ritzen und mit der Luft die ungebändigte, listerfüllte Begier hinein und vereitelt und vernichtet jegliche Vorsicht. Zur Sicherheit wurde also im Fortlauf der Zeiten und mit der anwachsenden Bosheit der Orden der irrenden Ritter begründet, um Jungfrauen zu verteidigen, Witwen zu schützen, Waisen und Hülfsbedürftigen beizustehen. Desselben Ordens bin auch ich, ihr Hirten, meine Brüder, denen ich für die Aufnahme und den freundlichen Willkommen danke, welche sie mir und meinem Stallmeister zukommen ließen; so ist es doch, weil ich erkenne, daß ihr ohne dieses Erkenntnis mich aufgenommen und bewirtet habt, der Vernunft gemäß, daß ich auch mit meinem besten Willen für euren guten dankbar bleibe.«

Die ganze lange Rede – die er wohl hätte unterlassen können – hielt unser Ritter, weil ihn die aufgetragenen Eicheln an das Goldene Zeitalter erinnerten, dies machte ihm Lust, den Ziegenhirten diese überflüssige Beschreibung zu machen, die ihm, ohne eine Silbe zu antworten, mit Erstaunen und Verwunderung zuhörten. Auch Sancho schwieg still, aß Eicheln und besuchte wiederholentlich den zweiten Schlauch, den sie, um den Wein frisch zu halten, an einen Korkbaum gehängt hatten.

Don Quixotes Rede währte länger als der Beschluß der Abendmahlzeit. Als er geendigt hatte, sagte einer von den Ziegenhirten: »Damit Ihr doch auch mit Recht sagen könnt, mein Herr irrender Ritter, daß wir Euch gern und mit gutem Willen aufgenommen haben, so wollen wir Euch noch damit Lust und Vergnügen machen, daß einer von unsern Kameraden singen soll, der bald kommen muß; der ist ein Schäfer, klug und von Herzen verliebt, er kann nicht allein lesen und schreiben, sondern er ist auch ein Musikant auf der Fiedel, wie man ihn sich nicht herrlicher wünschen kann.«

Indem der Ziegenhirt noch sprach, hörte man den Ton einer Fiedel, und gleich darauf kam auch der, der sie spielte, ein Bursche von ungefähr zweiundzwanzig Jahren, mit einem einnehmenden Gesichte. Seine Kameraden fragten ihn, ob er schon zu Abend gegessen habe, und er antwortete mit Ja. Derselbe, der vorher ihn angepriesen hatte, sagte nun: »Du könntest uns ja also wohl, Antonio, den Gefallen tun, ein bißchen zu singen, daß unser Herr Gast dort sieht, daß es auch in Wäldern und hinter den Bergen Leute gibt, die Musik verstehen. Wir haben von deiner trefflichen Kunst erzählt und bitten dich also nun, sie zu zeigen, damit wir als wahrhaftig bestehen; mach uns, um 's Himmels willen, die Freude und spiele und singe die Romanze, die dir dein Oheim, der Benefiziat, gemacht hat und die dem ganzen Dorfe so sehr gefällt.« – »Sehr gern«, sagte der Bursche, und ohne sich länger bitten zu lassen, setzte er sich auf den Stamm einer abgehauenen Eiche, stimmte seine Fiedel und sang sogleich mit vieler Annehmlichkeit folgendes Lied.


[91] Antonio


Ich, Olalla, weiß, du liebst mich,

Wenn du auch kein Wort magst sagen,

Auch nicht mal mit Augenwinken:

Stumme Laut in Liebessachen.


Denn ich weiß, du bist verständig,

Mich zu lieben macht das klarer:

Denn niemals noch war unglücklich

Liebe, welche man erkannte.


Ich gestehe, daß du vielmals

Anschein mir, Olalla, hattest,

Daß von Erz nur deine Seele

Und die weiße Brust von Marmel.


Aber selbst in deinem Schelten

Und dem sprödesten Versagen

Zeigt mir Hoffnung doch zuweilen

Noch den Saum ihres Gewandes.


Meine Treue darf sich loben,

Die auch nimmer mochte wanken,

Wie sie nicht berufen, auch nicht

Auserwählet mochte wachsen.


Ist nun Artigkeit die Liebe,

Kann ich deiner noch erachten,

Daß das Ende meines Hoffens

Das wird sein, wornach ich trachte.


Kann im Busen auch durch Dienste

Sanfte Zärtlichkeit erwachen,

Hab ich manche wohl verrichtet,

Die mein Spiel mir besser machen.


Denn du hast mich mehr als einmal,

Wenn du darauf nur geachtet,

Mondtags noch gesehen umgehn

Im sonntäglichen Gewande.
[92]

Wie nun Lieb und schmuckes Wesen

Auf demselben Wege wandeln,

Sucht ich stets dir vor die Augen

Hinzutreten schmuck und wacker.


Nicht mit Tanzen dir zu Ehren,

Mit Musik nicht will ich prahlen,

Die du am Tage vernommen

Wie beim ersten Schrei des Hahnes.


Prahle nicht, daß deine Schönheit

Ich gelobt zu tausend Malen,

Wie ich auch zur Wahrheit red'te,

Nahmen's übel doch so manche.


Und Theresa Berrocal,

Als ich dich so lobte, sagte:

»Mancher denkt, er liebt 'nen Engel,

Der vernarrt ist in 'nen Affen:


Das kommt von den Glaskorallen,

Von den angesetzten Haaren,

Allen jenen falschen Reizen,

Das macht Amorn selbst zum Narren.«


Lügen straft ich sie, ward böse,

Und ihr Vetter stand zum Kampfe;

Auf nahm ich's, du selber weißt es,

Was er tat, was ich im Schlagen.


Nicht lieb ich dich so ins Blaue,

Nicht dir dien ich und erwart ich

Etwas, das sich nicht geziemte,

Nein, viel besser ist mein Trachten.


Ketten hat die heil'ge Kirche,

Diese sind nur Seidenbande,

Steck dein Köpfchen in das Joch nur,

Gleich dann laß ich mich einspannen.


Tust du's nicht, bei allen Heil'gen,

Die die stärksten Wunder taten,

Lauf ich aus den Bergen, mich zum

Kapuziner weihn zu lassen.
[93]

Hiermit endigte der Hirt seinen Gesang, und Don Quixote bat ihn, noch mehr zu singen, aber Sancho Pansa war nicht der Meinung, denn ihm lag mehr daran, zu schlafen, als Gesänge zu hören. Er sagte also zu seinem Herrn: »Euer Gnaden könnten sich nun auch wohl umsehen, wo Ihr die Nacht zubringen wolltet, da auch die Arbeit, die diese guten Leute des Tages haben, ihnen nicht erlaubt, die Nacht mit Singen hinzubringen.«

»Ich verstehe dich, Sancho«, antwortete Don Quixote; »es leuchtet mir ein, daß deine Besuche beim Schlauche mehr eine Erquickung durch Schlaf als durch Musik verlangen.«

»Es hat uns, Gott sei gedankt, allen gut geschmeckt«, antwortete Sancho.

»Ich leugne es nicht«, erwiderte Don Quixote; »suche du dir nur eine Schlafstelle, doch Leuten von meinem Stande geziemt das Wachen besser. Bei alle dem, Sancho, wäre es aber wirklich gut, wenn du mir das Ohr verbinden wolltest, denn es schmerzt mich mehr als billig.«

Sancho tat, was er befahl, da aber einer von den Ziegenhirten die Wunde sah, behauptete er, es habe damit keine Not, er wolle sie bald heilen. Er nahm sogleich einige Blätter von Rosmarin, der dortherum häufig wuchs, kauete sie, vermischte sie mit etwas Salz und legte sie auf das Ohr, indem er versicherte, daß es nun keiner andern Salbe brauche, wie es sich auch bewährte.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 1, S. 88-94.
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