Elftes Kapitel.

[192] Sachen, die, wie Benengeli sagt, der erfahren wird, der sie liest, wenn er sie aufmerksam liest.


Wann der Tapfere flieht, so hat er tückische Übermacht entdeckt, und es ziemt vorsichtigen Helden, sich für bessere Gelegenheit zu sparen. Diese Wahrheit bestätigte sich in Don Quixote, welcher der Wut des Pöbels und den niedrigen Absichten dieses unwürdigen Haufens entwich, sich auf die Beine machte und, ohne für Sancho zu sorgen noch an die Gefahr zu denken, in welcher er ihn zurückließ, sich so weit entfernte, als es ihm nötig schien, um in Sicherheit zu sein. Sancho folgte ihm, quer über seinem Esel liegend, wie schon erzählt ist. Er kam endlich herbei, indem er sein Bewußtsein schon wiedererhalten, und sowie er herangekommen war, ließ er sich vom Grauen herunter zu den Füßen des Rozinante niederfallen, ganz erschöpft, zerschlagen und zerprügelt.

Don Quixote stieg ab, um seine Wunden zu suchen; da er ihn aber vom Kopfe bis zu den Füßen heil fand, sagte er mit ziemlichem Zorne: »Zur unglücklichen Stunde mußtet Ihr Euer Brüllen hervorsuchen, Sancho; wißt Ihr denn nicht, daß man im Hause des Gehenkten nicht vom Stricke reden darf? Bei Eurer Musik des Brüllens, womit sollten sie anders den Takt schlagen als mit einem tüchtigen Knittel? Dankt Gott, Sancho, daß sie Euch nur mit einem Prügel eingesegnet und nicht das Kreuz mit einem Säbel gemacht haben.«

»Ich kann nicht antworten«, antwortete Sancho, »denn mir ist, als wenn ich mit dem Rücken spräche. Wir wollen aufsteigen und uns von hier entfernen, und künftig will ich mein Brüllen in Stillschweigen[193] vergraben, aber nimmermehr die Bemerkungen, daß die irrenden Ritter davonlaufen und ihre braven Stallmeister, wie Malz oder Getreide zerdroschen, in der Gewalt ihrer Feinde lassen.«

»Der läuft nicht davon, der sich zurückzieht«, antwortete Don Quixote; »denn du mußt wissen, Sancho, daß die Tapferkeit, die nicht auf dem Fundamente der Weisheit ruht, Tollkühnheit genannt wird, und die Taten des Tollkühnen hängen mehr von gutem Glücke als von seinem Mute ab. Und darum gestehe ich auch, daß ich mich zurückgezogen habe, aber nicht geflohen bin, und darin habe ich vielen Tapferen nachgeahmt, die sich für bessere Zeiten aufsparten und von denen die Historien angefüllt sind, welches, da es weder zu deinem Nutzen noch zu meinem Vergnügen gereicht, ich jetzt nicht weiter auseinandersetze.«

Sancho war indessen wieder durch Don Quixotes Hülfe beritten geworden, der selbst den Rozinante wieder bestieg, und so begaben sie sich langsam nach einem Pappelwäldchen, welches sich eine Viertelmeile vor ihnen zeigte. Von Zeit zu Zeit stieß Sancho einen tiefen Seufzer und ein klägliches Ächzen aus, und da Don Quixote ihn um die Ursache seines traurigen Benehmens fragte, antwortete er, daß ihm der Rücken von den Hüften bis zum Nacken so schmerze, daß er fast den Verstand darüber verliere. »Die Ursache dieses Schmerzes rührt ohne Zweifel daher«, sagte Don Quixote, »daß der Prügel, womit sie dich schlugen, lang und breit war, so daß er dir über den ganzen Rücken reichte und alle die Teile berührte, die dich schmerzen, und hätte er noch weiter gereicht, so würde dir noch mehr wehe tun.«

»Bei Gott«, sagte Sancho, »Ihr habt mir da von einem großen Zweifel geholfen und mir die Sache mit anmutiger Klarheit auseinandergesetzt! Meiner Seele, war denn etwa die Ursache meiner Schmerzen so geheim, daß es nötig war, mir zu sagen, daß es mir allenthalben wehe tue, wo mich der Prügel getroffen hat? Wenn mir die Hacken wehe täten, da verlohnte es sich noch der Mühe, zu wahrsagen, woher es doch kommen möchte; daß es mir aber da wehe tut, wo sie mich geprügelt haben, da ist keine Kunst, wahrzusagen. Aber das sehe ich wohl, mein Herr Prinzipal, aus fremder Haut lassen sich gut Riemen schneiden, und jeden Tag kommt mir die Einsicht mehr in die Hände, wie wenig ich von dem Umgange erwarten darf, den ich mit Euch halte, denn wenn Ihr mich diesmal habt ausklopfen lassen, so werden wir ein anderes Mal, ja wohl hundertmal wieder an die Prelle von damals geraten oder an andere Dummheiten, die mir noch wohl die Augen im Kopfe, so wie diesmal den Buckel, kosten können. Ich täte wahrhaftig besser – aber ich bin ein Vieh und werde in meinem ganzen Leben nichts tun, was taugt –, ich täte wahrhaftig besser, muß ich wieder sagen, wenn ich wieder nach Hause ginge, zu Frau und Kindern zurück, um sie zu erhalten und zu erziehen mit dem Wenigen, was mir Gott gegeben hat, und daß ich Euch nicht so nachzöge auf unwegsamen Wegen und auf Stegen und Fußpfaden, die noch kein Fuß betreten hat, wobei ich schlecht zu trinken und noch schlechter zu essen kriege. Ebenso mit dem Schlafen: ›Ei, Freund Stallmeister, zählt Euch nur sieben Fuß Erde ab, und wenn Ihr mehr braucht, so nehmt noch einmal soviel; tut, als wenn Ihr zu Hause wäret, streckt Euch ganz nach Eurem Wohlgefallen aus.‹ Könnte ich doch nur den verbrannt und zu Pulver gerieben vor mir sehen, der zuerst auf die irrende Ritterschaft losging, oder wenigstens den, der sich zuerst zum Stallmeister dieser dummen Kerle machte, wie doch gewiß alle ehemaligen irrenden Ritter gewesen sind. Von den jetzigen sage ich nichts; denn da Euer Gnaden einer davon ist, so habe ich alle Achtung vor ihnen, und weil ich weiß, daß Euer Gnaden in dem, was Ihr sprecht und denkt, noch etwas mehr weiß als der Teufel selbst.«

»Nun wollte ich mit Euch eine große Wette anstellen, Sancho«, sagte Don Quixote, »daß jetzt, da Ihr sprecht, ohne daß Euch einer verhinderlich ist, Euch nichts an Eurem ganzen Körper wehe tut. Redet nur, mein Kind, alles, was Euch in den Kopf und in den Mund kömmt; denn wenn Ihr nur dadurch Eurer Schmerzen entledigt werdet, so will ich die Langeweile, die mir Eure Dummheiten machen, gern[194] als eine Unterhaltung aufnehmen. Wünscht Ihr aber so sehr, nach Hause und zu Frau und Kindern zurückzukehren, so verhüte Gott, daß ich Euch daran hinderlich sein sollte. Ihr habt mein Geld; rechnet aus, wie lange wir seit diesem dritten Auszuge von unserem Dorfe entfernt sind und was Ihr jeden Monat verdienen könnt und sollt, und macht Euch selber bezahlt.«

»Als ich«, antwortete Sancho, »dem Thomas Carrasco diente, dem Vater des Baccalaureus Simson Carrasco, den Ihr wohl kennt, verdiente ich jeden Monat zwei Dukaten, außer meiner Kost. Was ich aber bei Euch verdienen kann, weiß ich nicht; aber das weiß ich wohl, daß der Stallmeister eines irrenden Ritters weit mehr Arbeit hat als der, welcher bei einem Bauer dient; denn wenn wir bei den Bauern dienen und am Tage noch so viele Arbeit haben, so haben wir doch des Abends, wenn es uns auch noch so übel geht, ein warmes Essen und schlafen in einem Bette, in welchem ich nicht geschlafen habe, seit ich Euer Gnaden diene, außer in der kleinen Zeit, die wir im Hause des Don Diego de Miranda zubrachten. Dann hatt ich das Vergnügen, den Schaum abzuschöpfen, den ich auf den Töpfen des Camacho fand; und was ich im Hause des Basilio gegessen, getrunken und geschlafen habe, alle übrige Zeit habe ich auf der harten Erde und unter freiem Himmel schlafen müssen, allen Unfreundlichkeiten des Himmels unterworfen, indem ich mich von Stückchen Käse und Krümchen Brot erhalten habe und das Wasser aus Strömen und Quellen getrunken, die wir in den Wüsteneien fanden, durch welche wir gezogen sind.«

»Ich gestehe«, sagte Don Quixote, »daß alles, Sancho, was du gesagt hast, die Wahrheit ist; aber wieviel meinst du denn, Sancho, daß ich dir mehr geben müsse, als dir Thomas Carrasco gegeben hat?«

»Nach meiner Meinung«, sagte Sancho, »wenn Ihr mir auf jeden Monat zwei Realen zulegtet, würde ich mich für gut bezahlt halten. Das ist nur, was den Lohn für meine Arbeit betrifft; aber damit ich dafür etwas kriege, daß Ihr mir Euer Wort und Versprechen auf die Statthalterschaft einer Insel gegeben habt, so wäre es wohl billig, daß Ihr noch sechs Realen zulegtet, welches denn alles zusammen dreißig machte.«

»Sehr gut«, versetzte Don Quixote; »nach dem Gehalte, welches Ihr selbst bestimmt habt, rechnet es nun, Sancho, zusammen, was ich Euch schuldig bin; fünfundzwanzig Tage sind es, seit wir unser Dorf verlassen haben, und macht Euch dann, wie gesagt, selber bezahlt.«

»Ei, bei meiner armen Seele!« sagte Sancho, »wie seid Ihr bei dieser Rechnung im Irrtume; denn was das Versprechen der Insel betrifft, so müßt Ihr von dem Tage rechnen, an welchem Ihr es mir zuerst gegeben habt, bis zu der gegenwärtigen Stunde, in welcher wir uns jetzt befinden.«

»Aber ist es denn schon lange, Sancho, daß ich dir dies versprochen?« fragte Don Quixote.

»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte Sancho, »so müssen es wohl zwanzig Jahre sein, etliche Tage mehr oder weniger.«

Don Quixote gab sich einen heftigen Schlag vor die Stirn, worauf er laut zu lachen anfing und sagte: »Seit ich im Schwarzen Gebirge war, ja seit ich überhaupt ausgezogen bin, sind kaum zwei Monate verflossen, und du sagst, Sancho, daß es schon seit zwanzig Jahren ist, daß ich dir die Insel versprochen habe? Ich merke nunmehr, daß du gern willst, dein Lohn und das Geld, das du von mir hast, soll miteinander aufgehen. Und wenn dem so ist und du darnach trachtest, so schenke ich es dir hiermit, und es bekomme dir wohl; denn um nur einen so schlechten Stallmeister los zu sein, werde ich mich freuen, mich arm und ohne einen Heller zu befinden. Aber sage mir, du Verderber aller stallmeisterlichen Regeln in der irrenden Ritterschaft, wo hast du gesehen oder gelesen, daß irgendein Stallmeister eines irrenden Ritters sich mit seinem Herrn in Berechnungen eingelassen, soundso viel sollt Ihr mir jeden Monat mehr geben, wenn ich Euch diene? Beschiffe, beschiffe, Lump, Schelm und Ungeheuer, denn du scheinst mir dies alles zu sein, beschiffe, sage ich noch einmal, den Ozean ihrer Historien, und wenn du findest, daß irgendein Stallmeister das gesprochen, ja nur gedacht, was du jetzt gesprochen hast, so sollst du mir denselben[195] an die Stirn nageln und mir als Zugabe noch vier tüchtige Fratzen in das Gesicht drücken. Wende die Zügel um oder den Strick deines Grauen und geh nach Hause, denn du sollst von jetzt an auch nicht einen einzigen Schritt weiter mit mir ziehen. O schlecht vergoltenes Brot! O übel angewandte Versprechungen! O du Kerl, der du mehr vom Viehe als von einem Menschen hast! Jetzt, da ich dachte, dein Glück zu machen, und zwar so, daß man dich, deiner Frau zum Trotz, Exzellenz nennen müßte, nimmst du Abschied? Jetzt gehst du, da ich mit dem festen und unumstößlichen Entschlusse umging, dich zum Herrn der besten Insel von der Welt zu machen? Freilich, wie du oftmals selbst gesagt hast: Trauben sind für keinen Esel, ein Esel bist du, und ein Esel wirst du sein, und ein Esel wirst du bleiben, solange der Lauf deines Lebens dauert; denn ich bin überzeugt, daß du noch früher dein Ende erreichen wirst, als du zu der Einsicht kommst, daß du eine Bestie seiest.«

Sancho schaute den Don Quixote unverwandt an, indes dieser ihm diese Schimpfreden sagte, und schlug so sehr in sich, daß ihm die Tränen in die Augen kamen und er mit kläglicher und schwacher Stimme sagte: »Gnädiger Herr, ich gestehe, daß, um völlig ein Esel zu sein, mir nichts als der Schwanz fehlt; wenn Ihr mir den ansetzen wollt, so will ich ihn für gut angebracht halten und Euch als Esel alle Tage hindurch dienen, die mir noch von meinem Leben übrigbleiben. Verzeiht mir, gnädiger Herr, und entschuldigt meine Jugend; bedenkt doch, daß ich wenig weiß, und wenn ich viel rede, so geschieht es mehr aus Dummheit als aus Bosheit. Aber wer fehlt und sich bessert dann, hat vor Gott wohlgetan.«

»Ich würde mich gewundert haben, Sancho, wenn du nicht ein Sprichwörtchen in dein Gespräch eingemischt hättest. Nun wohl dann, ich verzeihe dir, doch mit der Bedingung, daß du dich besserst und daß du dich künftig nicht so eigennützig zeigst, sondern daß du suchst, dein Herz zu erweitern, und dich mit der Hoffnung auf die Erfüllung meiner Versprechungen ermutigst und erfrischest; denn wenn sie sich auch verzögern, so sind sie deswegen doch nicht unmöglich.«

Sancho antwortete, daß er es tun wolle, wenn er auch Kräfte aus der Schwäche sammeln sollte. Unter diesen Gesprächen gelangten sie in das Wäldchen, und Don Quixote ließ sich an dem Fuße einer Ulme wie Sancho an dem einer Buche nieder; denn dergleichen und andere ihnen ähnliche Bäume pflegen gewöhnlich Füße, aber keine Hände zu haben. Sancho brachte die Nacht verdrießlich zu; denn in der freien Luft schmerzten die Prügel um so mehr. Don Quixote brachte sie unter seinen gewöhnlichen Gedanken hin; aber dennoch verschloß der Schlaf beider Augen, und als der Morgen anbrach, setzten sie ihren Weg fort, indem sie die Ufer des berühmten Ebro aufsuchten, wo ihm das begegnete, was das folgende Kapitel erzählen wird.

Quelle:
Cervantes Saavedra, Miguel de: Leben und Taten des scharfsinnigen Edlen Don Quixote von la Mancha. Berlin 1966, Band 2, S. 192-196.
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