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[713] Die Rätin ist damit beschäftigt, ihre Sommerwohnung »menschenwürdig« zu gestalten, wie sie es nennt.

Ein Wust von Decken und Spitzen, von Bildchen, Photographien und Nippsachen liegt um sie herum, und ein Berg von Schlummerrollen und Sofakissen türmt sich auf dem Tische auf.

Eine Wolke von Wohlgerüchen strömt aus einem kleinen zerdrückten Körbchen, welches leider nur mehr die Scherben einiger Parfümflaschen und Hautkremdosen enthält.

Die Laune der alten Dame ist ganz unerträglich, und sowohl Tante Adele als auch Rosalie haben sich gleich nach dem Frühstück aus dem Staub gemacht und sie ihrem Schicksal überlassen.

Besonders Rosalie, die es herzlich satt hat, innerhalb einer Stunde etwa hundertmal zu hören: »Aber Rosalie! Du bist[713] doch verlobt! Das schickt sich doch nicht für eine Braut! Was soll denn dein Verlobter sagen, wenn er das und das und das erfährt ...«

Unwillkürlich kommt Rosalie die Entgegnung auf die Lippen: »Na, so soll er's doch erfahren! Jetzt bin ich auf dem Land, und da leb ich so – und wenn ich wieder in der Stadt bin, leb ich wieder anders. Und mein Verlobter kann mir heut noch ...«

Sie hält erschrocken inne und rennt mit hochrotem Kopf davon. Weh tun will sie der alten Dame, die so große Hoffnungen auf diese Heirat setzt, doch nicht.

Da räumt sie lieber das Feld.

Drunten beim Schiermoser ist bereits alles auf den Feldern und Wiesen bei der Arbeit.

Nur die alte Großmutter sitzt wie immer auf der Hausbank und strickt an ihrem ewigen Strumpf.

Und der Großvater steht unter der Stalltür und knüpft eine neue Geißelschnur an den Haselnußstecken, indem er halblaut vor sich hinschwatzt und murmelt.

Da kommt Rosalie im bäuerischen Leibchenrock und hemdärmelig aus dem Haus, bindet sich eine blaue, härwene Schürze um und fragt: »Großmuatta, wo is der Schiermoser?«

»Warum fragst?« erwidert die Alte zwischen Unwillen und Mißtrauen.

»Weil i eahm heifa möcht«, erwidert Rosalie.

»Soo, soo. Was möchst eahm denn nachher helfa?«

»No mei, was i eahm halt helfen kann. Z'sammrechan, häufeln, owerfa ...«

»Ja freili! Sinst nix mehr!« ruft da die Alte aus. »Da kunnts weiter net zuageh! Moanst, daß dee ohne di nix z'weg bringa? Dee brauchan di net! Aber scho gar net aa! Ha! Sie, d' Stadterin!«

Rosalie wird brennrot vor Zorn und Ärger über die[714] »Stadterin«; und sie kann nicht anders, sie muß der Alten zur Antwort geben: »Ha, daß jetzt die alten Weiber gar so zwider san!«

Dies ist aber nicht wohlgetan. Denn schon die Erwiderung der Großmutter: »O du Stadtschnappen, du zahnete!« zeigt ihr, daß sie sich hier einen Feind geschaffen hat trotz Pantoffeln und Halstüchlein.

Aber sie macht sich nicht allzu viel daraus.

Summend geht sie zum Großvater hin und schreit ihm ins Ohr: »Werd heunt eingführt, weilst d' Goaßl neu machst?«

Und der Alte erklärt ihr, ohne sie ganz verstanden zu haben: »A neue Schnur hab i ei'knüpft, weil der Franzl nachher glei eispannt. Z'erscht fahrns in Kleepoint und nachn Essen a fünf a sechs Fuada Heu.«

In diesem Augenblick kommt auch schon der kleine Ochsenbub gerannt und brüllt: »Eispanna sollst! Den kurzn Truchawagn und d' Ochsen! In Bruckmoser Klee hintre zum Franzl!«

Und damit rennt er hinein ins Haus und in die Kuchel, wo die Schiermoserin schwitzend vor dem Herd steht und Roggennudeln backt.

»Brotzeit!« schreit der Tropf, schneidet sich einen Ranken Brot ab, trinkt aus einer Schüssel voll abgeblasener Milch einen gehörigen Schluck und läuft darnach hinaus in die Speiskammer um das Bier für die Knechte.

Rosalie hat derweil draußen dem Großvater geholfen, den Wagen aus der Schupfe zu schieben und die Ochsen einzuspannen.

Und sie nimmt die neue Geißel, stellt sich auf den Wagen und ruft ganz in der Art und im Ton des Franz Schiermoser: »Wühlöh, Alter! Geh, Handiger, geh! Hüah, hottöh!«

Der Großvater schaut ihr lachend nach.[715]

Die Großmutter aber murmelt etwas von »frechem Stadtgesindel« und strickt dazu, daß die Nadeln klappern.

Inzwischen kommt der Ochsenbub beladen mit Bier und Brot aus dem Haus und denkt, er könne seine Last schön auf den Wagen tun und sich selber gut dazu. Derweil sieht er aber das Fuhrwerk schon drunten am Feldkreuz um die Ecke biegen und gegen den Bruckmoser Klee zufahren.

Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als schwerbepackt hinterdrein zu tappen und sich gleichfalls sein Teil zu denken über die Städtischen.

Rosalie ist's, als hätte sie niemals in ihrem Leben etwas anderes getan als Ochsen geführt. Mit einem Gemisch von Abscheu und Angst denkt sie an die Zeit, da sie als Frau Assessor von Rödern drinnen in der Stadt ihre Tage wird verbringen müssen; da sie in vornehmen Badeorten wird herumstolzieren müssen; da sie nie mehr wird dies sorglose und unbekümmerte Leben führen, nie mehr so wie heute wird fröhlich lachen können.

Doch – noch sind ja die Tage gesunder Lust und fröhlichen Schaffens! Noch kann sie ja lachen!

Noch ist sie ja ein freies Geschöpf unseres Herrgotts, das sich noch freuen darf über seinen Sonnenschein und an seiner Welt!

Eine große Lustigkeit überkommt sie, und sie begrüßt Franz, der mit einer Dirn den frischgemähten Klee zum Auflegen häuft, sehr munter und herzlich.

»Gell, da schaust, Franzl!« ruft sie, indem sie vom Wagen springt. »Auf den Ochsenbubn hast gar nimmer denkt ghabt!«

»Aber er is mir liaber wia der ander!« erwidert dieser lachend. »Und wenn i a Stadtherr waar, nachher müaßt i no an schlechtn Witz macha: Da möcht i aa a Ochs sei, bal i an solchen Knecht kriagat!«

Rosalie droht ihm mit der Geißel.[716]

Dabei aber fährt ihr doch eine flammende Röte übers Gesicht; besonders, da Franz sie auf Ja und Nein bei den

Hüften faßt, in die Höhe hebt und mit seltsamem Lachen wieder auf den Boden stellt.

»Du bist scho a sakrisches Luadamadl!« sagt er heiser.

»Du brachtest an Eiszapfa aa zum Siadn!«

In diesem Augenblick aber trifft ihn beißend ein Hieb mit der Geißel, Rosalie gebietet ihm wütend Schweigen und sagt rauh: »An Klee sollst auflegn!«

Da wendet er sich schnell und verlegen seiner Arbeit zu.

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 713-717.
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