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[802] Ein Jahr ist um seit der Hochzeit des jungen Schiermoser und seiner Rosalie.[802]

Und da es wieder um die Zeit ist, in der man für die Weihnacht das Kletzenbrot backt und die Krippe in der Hauskapelle aufstellt, da spannt der Schiermoser eines Morgens in großer Eil das Füchsl vor das Gäuwagerl und fährt wie der Teufel hinaus zum Tor und hinab nach Glonn zur Kindlfrau.

Denn Rosl, die Madam, will sich dazu richten, ihrem Franz ein kleines lebendiges Christkindlein in die altehrwürdige Bauernwiege zu legen.

Das ganze Haus ist in Aufregung; am meisten aber zieht's den jungen Bauern an den Nervensträngen.

Denn draußen im Stall liegt die Blaß im Kalben, und der Rappe tobt an einer schweren Kolik.

Und nun kommt Barbara, des Bauern Schwester, und schreit: »Schnell! Gschwind! Einspanna! D' Steckareiterin holn! Insa Madam richt' si!«

Der Schreck! Die Freude! Die Angst!

Hei, da schwirren die Befehle!

»Hans, kümmer dich ums Rappel! – Lies und Sepp, ös bleibts mir bei der Blaß! Der Bua und d' Nandl solln enk helfa, bal 's Kaibe kimmt! – Vata, geh, balst du glei zu der Kindlin fahrn tätst? Eppan kunnst glei a Flascherl Wein für d' Rosl mitnehma und an Met! – Bawettei, geh, kümmer dich um sie! – Und d' Mariedl kann in der Kuchel Wasser hitzen und 's Essen richten!«

Und während alles rennt und läuft, werkt und sorgt, zieht droben in der Kammer die junge Bäuerin die Vorhänge zu, schiebt die Wiege zu ihres Bettes Füßen und steckt ein winziges Hemdlein in die Ärmelchen eines gestrickten Jäckleins.

Barbara kniet vor dem alten Sesselofen und schürt ein schweres Holzscheit ums andere hinein und tröstet dazwischen mit lieben Worten die leise jammernde und betende Schwägerin. Eine, zwei Stunden gehen um.[803]

Drunten im Hof und Stall rennen und laufen Knechte und Mägde, werkt der Tierarzt und brüllt das Vieh – in der Kuchel kocht das Wasser und dampft der Kindelbraten – und droben hält Franz seine liebe Bäuerin im Arm und schaut leichtlich hundertmal aus dem Fenster, ob der Vater noch nicht bald mit der Kindlin käm.

Drüben im Austraghäusl aber steht die Schiermoserin hinter dem Vorhang und starrt auf die Straße hinaus, wo sie ihren Schiermoser vorhin mit dem Fuhrwerk dahinstürmen sah. Was mag nur los sein drüben im Hof?

Ein seltsamer Druck legt sich ihr auf die Brust.

Sie will ihn abschütteln.

»Werd scho epps sei!« sucht sie sich selbst zu beruhigen. »Was geht's denn mi an! – I ghör nimmer zu dene.«

Aber da hört sie den Rappen schlagen, toben und wiehernd stöhnen. Sie sieht den Tierarzt kommen und gehen.

»Ah was! – Dees geht mi nixn o. – Werd scho was sein. Was kümmerts mi?«

In diesem Augenblick fährt der Schiermoser in den Hof; und neben ihm sitzt die alte Steckenreiterin, die schon ihren Franz und die Barbara und die Mariedl geholt hatte damals, als sie noch selber glückliche Schiermoserbäuerin war.

Also gibt unser Herrgott dieser Ehe doch seinen Segen?

Es kommt wieder ein kleines Reislein aus dem Schiermoserstamm? Die Alte greift sich an die Kehle.

Wie hart sie sich doch heute schnauft!

Sie öffnet das Fenster.

Aber da dringt das Schreien der Knechte und Mägde, das Brüllen der Kuh zu ihr in die Kammer.

Sie schlägt das Fenster wieder zu.

Doch sie hat keine Ruhe.

Wieder muß sie mehr Luft haben.

Sie wankt mit bebenden Knien hinaus vors Haus.[804]

Da dringt der jammernde Schrei ihrer Schwiegertochter zu ihr.

Sie hält sich die Ohren zu.

Ihr Sohn, der Franz, stürmt die Stiege herab und hinunter in den Stall.

Aber gleich darauf rennt er schon wieder ins Haus, und man hört ihn befehlen: »'s Badwasser herrichten! Und warme Windln! – Habts an Trank für d' Blaß?«

Also wirklich kehrt der Segen Gottes ein in Haus und Stall ihres Hofs!

Und sie steht da unter ihrer Haustür, gleich einer Fremden, Ausgestoßenen! Ein hartes Weinen kommt sie an.

Aber sie würgt es hinab und bekämpft die weiche Regung ihres Gemüts.


Der Rappe liegt ermattet, aber gerettet auf seiner Strohschütte.

Und vorn bei den Kühen steht die Blaß und schaut besorgt nach ihrem Kälblein, das eigensinnig immer wieder aufzustehen versucht, obgleich es seine Vorderbeine noch nicht tragen.

Da schleicht sich eine Gestalt scheu in den Stall.

Die Schiermoserin.

Und sie geht langsam von Kuh zu Kuh, von Ochs zu Ochs, streichelt die Rösser und tätschelt die Kälber und geht endlich leise und zaghaft hinüber ins Wohnhaus.

Droben in der Kammer kämpfen Furcht und Hoffnung, Schmerz und Trost ihren harten Strauß.

Der Schiermoser und sein Sohn rennen planlos durchs Haus; da schleicht die alte Bäuerin zur Stiege hinauf.

Die beiden Männer durchfährt der nämliche Schreck.

Und sie stoßen beide zugleich die Frage hervor: »Was möcht'st?«

Franz aber ist mit zwei, drei Schritten bei ihr.[805]

»Muatta! – Balst epps möcht'st – kimm morgn! – Sie kann di net braucha jetz! Sie soll koan Verdruß habn!«

In diesem Augenblick mischt sich droben ein feines kreischendes Stimmlein in das Weinen der jungen Schiermoserin. Und die Barbara ruft voller Freud durchs Haus: »An Buam ham mir!«

Da vergißt Franz auf die Mutter – und der Schiermoser auf sein Weib – und sie rennen hinauf und hinein in die Kammer, wo sie in ihrer derben, unbeholfenen Art sich Mühe geben, zart zu dem Kindlein zu sein und zu seiner Mutter – wo sie die Stimme zu einem heiseren Flüstern senken und mit dem Ärmel immer wieder über die Augen wischen, damit man nicht sehen möcht, was sie bewegt.

Drunten in der Kuchel aber hat die Schiermoserin ihrer Tochter den Kochlöffel aus der Hand genommen und sagt: »Geh auffe und schaug dir 's Büaberl o. I koch scho weiter.«

Und am Christtag, da die Taufe des jüngsten Schiermoserreisleins stattfindet, da sitzt sie in ihrem größten Festtagsstaat in der neuen Kutsche, trägt selber das Büblein auf dem Prunkkissen zum Taufkessel und zeigt der staunenden Gemeinde ihr freudestrahlendes Gesicht.

Und da das alte Jahr zur Neige geht und das neue sich zum Kommen schickt, da nimmt sie ihre Schwiegertochter bei der Hand und sagt: »Wenns dir recht is, Rosl, nachher mach i Kindsdirn. Und bals dir sonst dick eingeht mit der Arbeit, nachher sagst es.« Indem sie noch redet, kommt der alte Schiermoser dazu und ruft: »Jetz da schaug her! Jetz is richtig no aus dera Dreifaltigkeit a Dreieinigkeit wordn! Was a solches Christkindl doch alles zwegn bringt. Aber in Gottesnam! D' Hauptsach is, daß i wieder an Schlafkamerad hab und der Hof an Stammhalter, für dees ander werd nachher der Bua scho sorgn und sei Madam.«

Und die junge Schiermoserin sagt fröhlich: »Amen, Vater.«

Quelle:
Lena Christ: Werke. München 1972, S. 802-806.
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