[87] Timant, Philipp, Geronte, Orgon, Climene, Damon, Lisette.
TIMANT hält Climenen auf. Wohin eilen Sie, gnädiges Fräulein? Erlauben Sie, daß ich Sie einige Augenblicke aufhalte. Ihre Gegenwart ist diesesmal zu nöthig: es wird Sie nicht reuen, sich aufgehalten zu haben. – Auch Sie sind hier, liebster Freund, großmüthiger Damon! Kommen Sie in meine Arme.
Sie umarmen einander.
Sie weinen, Damon? Ist es aus Schmerz oder aus Zärtlichkeit? Sie werden mich jetzo kennen lernen. Sie haben mich gelehrt, mich selbst zu kennen. Gnädiger Herr Vater! Herr Geronte! darf ich mir ausbitten, daß Sie mir einige Minuten lang ruhig zuhören?
GERONTE. Zu was soll nun wieder diese lange Vorrede? Wir warten droben eine Stunde auf ihn. –
ORGON. Laß ihn reden: ich bitte dich. Er scheint uns etwas wichtiges zu sagen zu haben.
LISETTE zu Philippen. Sage mir leise, was dein Herr vorhat, und was das alles bedeuten soll?
PHILIPP. Stille doch! Stille! Du weist ja, daß ich verschwiegen bin, und meines Herrn Geheimnisse nicht ausplaudere.[87]
TIMANT. Meine Vorurtheile und meine mistrauischen Thorheiten haben mich lange genug lächerlich und Ihnen allen beschwerlich gemacht, da ich weder lächerlich noch ungerecht zu seyn glaubte. Dieses ist die Eigenschaft der meisten Thorheiten, daß man aufhöret, thöricht und lächerlich zu seyn, so bald man erkennet, daß man es ist. Ich erkenne nun meine Thorheit. Dieses bin ich schuldig, und vor allem Ihnen, großmüthiger Damon! Ihre Handlungen haben mich überzeugt, daß noch eine wahre Tugend in der Welt ist, und daß die Fehler, die ich bey andern fand, und die mein Mistrauen verursachet, ihren meisten Grund in meiner verdorbenen Einbildung hatten. Ich erkenne, wie niederträchtig ich war. Ich schäme mich meiner Handlungen, meiner Reden, meiner Gedanken. Ich sehe, was ein Mistrauischer in der menschlichen Gesellschaft für eine unglückliche und hassenswürdige Rolle spielet; und wenn ich nicht hoffete, meine Thorheiten durch tugendhafte Handlungen und durch edlere Gedanken zu ersetzen, so würde ich in Verzweiflung gerathen. Diese Art zu denken bin ich Ihnen schuldig.
GERONTE. Diese Beichte war nicht unrecht, nur daß sie zu lang war. Was soll aus allem diesen heraus kommen?
ORGON. Unterbrich ihn nicht, er hat mich gerührt, ich weine vor Freuden.
DAMON. Wie sehr erfreue ich mich, solche Gesinnungen bey Ihnen zu finden! Ich bin genug für alles belohnt, was ich für Sie gethan habe. Ihre Lobeserhebungen aber sind Sie nicht mir, sondern Ihrem großmüthigen Vater, schuldig.
LISETTE zu Philippen. Wie lange hat dein Herr an dieser Predigt auswendig gelernet?
TIMANT. Ich bitte Sie aber noch einmal, unterbrechen Sie mich nicht. Ich habe Ihnen dieses zum Voraus sagen müssen, um Ihnen zu zeigen, daß ich anfange, mich selbst kennen zu lernen. Die nämliche Tugend, die mein Mistrauen gegen andere zu nichte macht, macht mich gegen mich selbst mistrauisch, und das mit allem Rechte. So lange eingewurzelte Thorheiten, besonders, wenn sie ihren Grund zum Theil aus dem Temperamente haben, lassen sich nicht so leicht auf einmal tilgen. Es ist eine große Verwegenheit, wenn man, ehe man angefangen hat, sich in einer Tugend fest zu setzen, sicher genug ist, um keinen Rückfall zu befürchten. Ich weiß, daß ich noch öfters thöricht, noch öfters mistrauisch seyn werde, und bitte Sie alle schon zum Voraus deswegen um Verzeihung. Erst nach langer Zeit und Mühe hoffe[88] ich, ganz vernünftig zu werden, und ich will mich indessen hauptsächlich hüten, daß ich durch die Anfälle des Mistrauens, die mich überfallen möchten, niemand unglücklich mache, und niemanden beschwerlich falle. Wie unglücklich würde eine Gemahlinn nicht bey mir seyn, ehe ich diese Gemüthsart völlig überwinde! Je mehr ich sie liebte, desto heftiger würde ich sie quälen. Meine Liebe, meine Zärtlichkeit selbsten, würde mich mistrauisch machen, und meine völlige Besserung hindern. Wenn ich einem Hauswesen vorstehen sollte: so würde ich meine Bediente quälen, und allen denen, mit denen ich umgehen müßte, beschwerlich fallen. Die Sorge, die es erforderte, würde mich vielleicht zu einem Rückfalle bringen. Beydes würde mich unglücklich machen, und der Tugend widerstehen. Sagen Sie nun, kann ich Climenens Hand annehmen? Kann ich die Verwaltung meines väterlichen Gutes über mich nehmen?
GERONTE. Ho, ho, was soll das heißen?
ORGON. Ich beschwöre dich darum, sage ihm nichts! O mein Sohn, laß dich umarmen! Wie glücklich bin ich nicht!
DAMON. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
CLIMENE zu Lisetten. Ich fange an, zu hoffen.
LISETTE zu Philippen. Dein Herr fängt endlich wirklich an, vernünftig zu werden.
PHILIPP. Es ist auch Zeit; er ist bald dreyßig Jahre alt.
TIMANT. Welche Besserung würde es seyn, wenn ich statt mistrauisch zu bleiben, unedelmüthig und undankbar würde? Wenn ich meinem Freunde seine Geliebte, meinem Vater seine Güter entzöge? Wenn ich Sie unglücklich machte, vortreffliche Climene? Wenn ich mich in den Stand setzte, Sie auf das neue zu beleidigen, Sie, die alle an meiner Besserung, an meinem Glücke, Schuld sind? Muthen Sie mir es nicht zu, gnädiger Herr Vater! Herr Geronte, wenn Sie jemals eynige Gewogenheit für mich gehabt haben: so seyn Sie mit dem, was ich jetzo unternehme, zufrieden.
Er nimmt Climenen bey der Hand.
Ihr gnädiger Herr Vater hatte mir Ihre Hand zugedacht, vortreffliche Climene! Erlauben Sie, daß ich sie einige Augenblicke nehme, um Sie in bessere Hände zu überliefern!
Zu Damon.
[89]
Treten Sie näher, liebster Freund! Empfangen Sie Climenen von meinen Händen! Sie sind ihrer werth; Sie machen mich glücklich, da Sie mich tugendhaft machen. Wie froh bin ich nicht, daß ich Sie wiederum glücklich machen kann!
GERONTE. Nun, es ist ordentlich, als wenn diese beyden den Ball mit meiner Tochter spielten: keiner will sie haben; einer schiebt sie dem andern zu. Will man mich zum Narren haben?
TIMANT. Ich beschwöre Sie darum! Erlauben Sie mir, Climenen meinem Freunde abzutreten. Sie wollten sie ihm ja vorhin geben. Zu Ihnen, mein gnädiger Herr Vater, will ich, wenn Sie es erlauben, wollen, auf Ihr Landgut ziehen. Dort will ich mich immer besser kennen zu lernen, und mich durch die Weltweisheit und die Tugend zu bessern suchen. Die Ausübung meiner kindlichen Pflicht und die Besserung meines Herzens, soll meine vornehmste Beschäftigung seyn. Sie erlauben mir es?
ORGON. O mein Sohn! O glücklicher Tag! Solche Freude zu erleben, hatte ich die Hoffnung nicht mehr. Ich bin mit allem zufrieden. Wie werth bist du meiner Liebe! Wie wohl ersetzest du mir durch die Freude dieses Augenblickes alle Sorgen, die du mir gemacht hast! – Und Sie, mein liebster Damon, auch Sie werden nun glücklich seyn. Wie froh bin ich nicht! Sey nur auch zufrieden, mein lieber Geronte! Mein Sohn thut nichts, als seine Schuldigkeit; und Damons Tugend ist Climenens werth.
GERONTE. Je nun, ich bin auch zufrieden, wenn alles zufrieden ist. Was sagen Sie, Damon?
DAMON. Ich bewundere meinen vortrefflichen Freund; mit Thränen von Dankbarkeit und Freude umarme ich ihn. Ich danke Ihnen auf dem Knie für Ihre Einwilligung; und Sie, Climene?
CLIMENE. Sie fragen mich, Damon, und Sie kennen mein Herz!
Sie giebt ihm ihre Hand.
GERONTE. Nun, Timant hat wirklich recht klug gethan. Ich bin ihm noch einmal so gut, nun da er klug geworden ist. Nun wollen wir geschwind zum Notarius hinlaufen.
Er nimmt den Orgon bey der Hand.
Komm, ich will dich führen. Damon, führen Sie Ihre Braut! Komm, meine Tochter, es reuet sonst den Bräutigam wieder, und er giebt dich dem andern. Kommen Sie, Timant!
[90] Er läuft ab und schleppet den Orgon mit sich. Damon und Climene folgen.
LISETTE. Philipp, wollen wir auch mit hinauf gehen?
PHILIPP. Ich verstehe dich schon, du lose Kleine! Je nun ja! Da mein Herr närrisch war, war ich klug. Nun, da er klug geworden ist, möchte ich närrisch genug werden, dich zu heurathen. Geh voran, ich will ihn um Erlaubniß bitten.
LISETTE. Und ich will meinem Fräulein Glück wünschen.
Sie geht ab.
TIMANT, der unterdessen in Gedanken stand, zum Philipp. Bey allem dem glaube ich noch, sie hatten meinen Entschluß zum Voraus gesehen, und sie haben mich mit allen ihren Lobeserhebungen zum Besten.
Ende des fünften und letzten Aufzuges
[91]
Ausgewählte Ausgaben von
Der Mißtrauische
|
Buchempfehlung
Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?
134 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro