[17] Das am wenigsten langweilige des Buches.
»Sire, Euer Majestät ist vielleicht nicht unbekannt, dass ich, obzwar ihr Unterthan mich dennoch nicht zu demselben Glauben bekenne, wie Höchstdieselben, und dass ich Brama als Gott verehre!«
»Wenn ich es auch weiß, was soll dies Deinem Märchen frommen?« sagte der Sultan, »schließlich das ist Deine Sache, umso[17] schlechter für dich, wenn Du an Brama glaubst, es wäre tausendmal besser, wenn Du ein Mahomedaner wärest, ich sage es Dir als Freund und glaube ja nicht, dass ich Deine Bekehrung beabsichtigen wollte! Denn, im Grunde genommen, kümmert mich Dein Glaube gar nichts. Erzähle weiter.«»Wir, Anhänger Bramas, glauben an die Seelenwanderung (metempsychose),« sagte Amanzei (das ist der Name des Erzählers), »das heißt, um Euer Majestät nicht zur unrechten Zeit zu verwirren, dass wir daran glauben, dass unsere Seele, wenn sie den Körper verlässt, in einen andern übergeht, und mit der Zeit nach dem Ermessen Bramas, wenn unsere Seele rein genug geworden ist, in das Reich Jener versetzt wird, welche er für würdig findet, ewig glücklich zu sein.«
»Obzwar der Glaube an die Seelenwanderung unter uns allgemein verbreitet ist, sind wir dennoch nicht alle derselben Ansicht, ihn für ganz unfehlbar zu halten, da es sehrwenige Menschen gibt, denen es gewährt wird, sich der verschiedenen Wanderungen ihrer Seele zu erinnern. Es geschieht[18] gewöhnlich, dass beim Verlassen des Körpers, in welchem eine Seele gefangen war, sie dann in einen anderen eingeht, ohne auch nur die leiseste Erinnerung, weder von den Erfahrungen, die sie gemacht, noch von Dingen, an denen sie theilgenommen, behalten hat.«
»Demnach ist die Erkenntnis unserer Fehler für uns verloren und wir beginnen unsere Laufbahn mit einer neuen Seele, welche ebenso empfänglich für jeden Irrthum und jedes Laster ist, als dann, wo Brama sie das erstemal dem unermesslichen Feuerwirbl entnimmt, wovon sie in Erwartung ihrer Bestimmung im Weltall einen Theil bildete.«
»Viele unserer Glaubensgenossen beklagen sich über diese harte Bestimmung Brama's, aber ich zweifle, dass sie Recht haben. Denn, wenn unsere Seelen bestimmt wären, während einer langen Folge von Jahrhunderten von Körper zu Körper zu wandern, so wären sie fast immer sehr unglücklich, wenn sie sich daran erinnern würden, was sie früher gewesen sind. So würde jene Seele, welche den Körper eines mächtigen[19] Königs belebte und sich dann in jenem eines elenden Reptils, oder in dem Körper eines jener düstern Sterblichen, welche die Größe ihres Elends viel beklagenswerter macht als das niedrigste Thier, befände, kaum ohne Verzweiflung ihre neue Bestimmung ertragen.«
»Ich lasse es eher gelten, dass ein Mensch, welcher sich im Schooße des Reichthums wohlfühlt, oder zu einem höheren Range erhoben ist, wenn er sich dessen erinnern würde, früher bloß ein Insect gewesen zu sein, gewiss viel weniger den glücklichen und glänzenden Stand, wohin ihn die Güte Bramas versetzte, missbrauchen würde. Allein wenn man den Hochmuth, die Härte, die Frechheit jener Leute erwägt, welche in der Niedrigkeit geboren und zum Reichthum erhoben sind, so kann man wohl kaum an die Geschwindigkeit glauben, mit welcher sie die Erinnerung an ihren ersten Stand verloren haben; und dass bei der Wanderung ihrer Seele aus einem Körper in den andern ihre Demüthigung noch rascher von ihren Augen entweichen würde, und sie mit nichts ihr ferneres Betragen[20] zu beeinflußen vermöchte. Außerdem würde jede Seele natürlicherweise von einer großen Anzahl Erinnerungen aus ihrem vorhergehenden Leben überladen sein, und oft mehr in Anspruch genommen von dem sein, was sie früher gewesen, als von jenem, was sie gegenwärtig wäre, würde sie leicht die Pflichten vernachlässigen, welche der Körper, den sie erfüllt, ihr vorschreibt, und so die Ordnung des Weltalls, statt zu ihr beizutragen, nur zerstören.«
»Mein lieber Freund,« sagte hierauf der Sultan, »möge Mahomed mir vergeben, wenn das, was Du hier sprichst, nicht die purste Sittenpredigt ist.«
»Sire,« antwortete Amanzei, »das sind bloß einleitende Reflexionen, welche, wie ich glaube, nicht ganz unnütz sind.«
»Sehr überflüssig, sage ich,« erwiderte Schach Baham. »Ich, so wie Ihr mich da schauet, ich liebe solche Moral durchaus nicht, und Du wirst mich sehr verbinden nicht von ihr zu sprechen.«
»Ich werde Ihre Befehle genau befolgen,« antwortete Amanzei, »allein es bleibt mir nur noch übrig Euer Majestät zu sagen,[21] dass es Brama manchmal zu bestimmen gefällt, dass wir uns an das erinnern, was wir früher gewesen sind, hauptsächlich dann, wenn er uns eine Strafe für unsere Laster auferlegt hat. Der beste Beweis hiefür ist, dass ich mich selbst genau daran erinnere, ein Sopha gewesen zu sein.«
»Ein Sopha!« rief der Sultan, »gehe doch, dass kann ja gar nicht sein. Hältst Du mich für einen Strauß, mir solche alberne Märchen aufbinden zu wollen? Ich habe wahrhaftig große Lust, Dich ein wenig rösten zu lassen, um Dich zu lehren, vor mir einst solche Dummheiten und Faseleien zu behaupten.«
»Euere gnädige Majestät haben heute üble Launen,« sagte die Sultanin, »es liegt doch sonst in Ihrem erhabenen Charakter, an nichts zu zweifeln, und dennoch wollen Sie es heute nicht glauben, dass eine Seele in einem Sopha sein könne. Das ist wirklich in keinem Einklang mit ihren gewöhnlichen Ansichten.«
»Glauben Sie?« erwiderte durch diese Einwendung getroffen, der Sultan. »Es scheint mir aber doch, dass ich nicht Unrecht[22] habe. Es ist dennoch nicht, dass ich es nicht könnte ... Aber wahrhaftig, ich habe doch Recht. Ich könnte auf's Gewissen nicht daran glauben, was Amanzei sagt: Es ist doch nicht umsonst, dass ich ein Muselmann bin.«
»Vortrefflich,« antwortete die Sultanin, »wolan! Hören Sie Amanzei zu, und glauben Sie ihm nicht.«
»Jawohl,« antwortete der Sultan, »es ist nicht deshalb, weil die Sache so unwahrscheinlich ist, dass ich nicht daran glauben muss, als vielmehr deshalb, dass, wenn sie wahr ist, dass ich sie doch nicht glauben muss. Ich verstehe gut, das macht einen Unterschied. Du warst also ein Sopha, mein Sohn? Das ist ja ein unerhörtes Abenteuer! Sage mir einmal, warst Du gestickt?«
»Ja, Herr,« antwortete Amanzei, »das erste Sopha, in welches meine Seele ein, kehrte, war rosenroth und mit echtem Silber gestickt.«
»Umso besser,« sagte der Sultan, »Du magst ein recht schönes Möbel gewesen sein. Aber warum ließ Dich Brama lieber ein Sopha, als etwas anderes werden?«[23]
»Was war das Ende dieses Scherzes? Sopha! Das geht wahrhaftig über meinen Begriff hinaus.«
»Es geschach, um meine Seele für ihre Zügellosigkeiten zu bestrafen, denn, in welchem Körper sie auch immer gelegt wurde, niemals hatte Brama Ursache zufrieden mit ihr zu sein, und ohne Zweifel wollte er mich damit noch mehr demüthigen, indem er mich zum Sopha machte, als, wenn er mich in den Körper eines elenden Reptils gebannt hätte. Ich erinnere mich auch, dass nach dem Verlassen des Körpers eines Weibes meine Seele in den Körper eines jungen Mannes einkehrte. Dieser Mann war ein Zieraffe, coquette, ein Quälgeist, berederisch, ein großer Kenner von allen Lumpereien, einzig und allein mit seinen Kleidern und mit tausend andern Nichtigkeiten beschäftigt, so dass meine Seele es kaum gewahr wurde, dass sie ihren bisherigen Aufenthalt gewechselt hatte.«
»Ich möchte sehr gerne hören,« unterbrach der Sultan, »womit Du Dich hauptsächlich beschäftigt hast, als Du ein Weib warst: das mögen wohl interessante Erlebnisse[24] gewesen sein, die gewiss eine ausführliche Schilderung verdienten. Ich habe immer daran geglaubt, dass Frauen oft wunderliche Gedanken haben. Ich weiß nicht, ob man mich recht versteht, denn ich will damit bloß sagen, dass man oft recht viele Mühe hat, sie zu errathen.«
»Mag sein,« antwortete Amanzei, »vielleicht wären wir mehr im Klaren darüber, wenn wir ihnen weniger Scharfsinn zutrauen würden. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass ich, als ich ein Weib war, stets über alle jene spottete, die mir ernst ersonnene Ideen zuschrieben, während nur allein der gegenwärtige Augenblick sie bei mir entstehen ließ; ich verhöhnte alle, welche tiefe Gründe und ernste Ursachen bei mir suchten, während ich zum Gesetze bloß meine Laune hatte, und lachte über jene, welche mich zu ergründen glaubten, mich aber dennoch niemals durchschauten.«
»Ich war aufrichtig, wenn man mich für falsch hielt; war ich gefühlvoll, dachte man, ich wäre gleichgiltig, und man hielt mich für kokett in dem Augenblicke, wo ich treu und zärtlich war. Fast immer schrieb man mir[25] einen Charakter zu, der nicht der mein war, oder gerade aufgehört hatte, es zu sein. Sonderbarerweise waren jene Leute, denen am meisten daran gelegen war, mich genau zu erkennen, und vor welchen ich mich am wenigsten verstellte, denen gegenüber ich mich ungezwungen von meiner natürlichen Heftigkeit hinreißen ließ, ihnen die verborgensten Geheimnisse meines Lebens, oder die wahrsten Gefühle meines Herzens entdeckte, keineswegs Diejenigen, welche mir glaubten, oder mich am besten begriffen; sie wollten über mich stets bloß nach dem Plane urtheilen, welchen sie sich über mich selbst entworfen hatten, irrten sich in ihrem Urtheil ohne Unterlass, und glaubten mich sehr gut erkannt zu haben, nachdem sie mich nach ihrer beschränkten Einsicht beurtheilt hatten.«
»Oh! ich wusste es wohl,« sagte der Sultan, »man lernt die Frauen niemals genau kennen, und es ist, wie Du sagst, doch es ist schon für mich lange her, dass ich dem entsagt habe, aber lassen wir diesen Stoff unberührt, er verbittert zu sehr unseren Geist und ist wohl die unangenehme Ursache, dass Du mir da eine so lange Vorrede gemacht[26] hast, welche eigentlich ich selber hatte halten sollen, und womit Du mir aber keineswegs Antwort darauf gegeben hast, wonach ich Dich gefragt habe.«
»Ich glaube, dass ich zunächst das wissen wollte, was Du gethan hast, als Du ein Weib gewesen bist.«
»Es ist mir leider sehr wenig davon in Erinnerung geblieben, was ich damals gethan habe,« antwortete Amanzei. »Am lebhaftesten erinnere ich mich daran, dass ich in meiner Jugend sehr galant gewesen bin, dass ich aber trotzdem weder zu hassen noch zu lieben verstand; ohne jeden Charakter geboren, war ich der Reihe nach alles, was man eben wollte, dass ich sein sollte, oder was mein augenblicklicher Vortheil und meine Vergnügungen mich zu sein zwangen; und schließlich gelangte ich dahin, mein sehr ungeregeltes Leben damit zu beschließen, dass ich sehr heuchlerisch wurde und so starb ich denn so, dass ich trotz meines prüden Anscheines mich in meinem ganzen Lebenslaufe bloß mit nichtigen Dingen, welche mich belustigten, beschäftigt hatte.«
»Es geschah ohne Zweifel wegen meiner[27] allzu großen Vorliebe für bequeme Sophas, dass Brama den Entschluss fasste, meine Seele in ein derartiges Möbel zu bannen. Er wollte, dass sie in diesem traurigen Gefängnis alle ihre früheren Fähigkeiten behielt, jedenfalls weniger um das Entsetzliche meines grausamen Schicksals zu mildern, als vielmehr deshalb, um es mich noch empfindlicher fühlen zu lassen. Zu seiner harten Strafe fügte Brama noch den Befehl hinzu, dass meine Seele erst dann eine neue Laufbahn beginnen dürfe, wenn zwei unschuldige Personen sich auf mir gegenseitig ihre Erstlingleistungen bieten würden.«
»Ist das nicht,« rief der Sultan, »der größte Galimathias, zu sagen, dass ...«
»Würden Sie nicht die Güte haben, uns dies näher zu erklären?« frug die Sultanin.
»Warum denn nicht?« erwiderte er, »ich bin ein großer Freund von deutlichen Sachen.«
»Indes, wenn Sie meine Ansicht nicht theilen, willige ich sofort ein, dass Amanzei so unklar spreche, als es Ihnen beliebt, denn,[28] Dank dem Profeten, für mich kann er es niemals sein.«
»Es blieb mir leider eine genug große Übersicht von allem, was ich gethan, und von allem, was ich gesehen habe,« fuhr Amanzei fort, »um schmerzlich zu fühlen, dass die strenge Bedingung, unter welcher Brama mir ein neues Leben gewähren wollte, mich gewiss lange Zeit in jenem Möbel zurückhalten würde, welches er zu meinem Gefängnis bestimmt hatte; allein die gütige Erlaubnis, welche er mir gewährte, mich nach meinem Belieben von einem Sopha zum andern begeben zu dürfen, milderte ein wenig meinen Kummer. Ich begriff sofort, dass diese Freiheit eine anziehende Mannigfaltigkeit in mein eintöniges Leben bringen und es mir weniger langweilig gestalten würde; außerdem war meine Seele gerade so empfindsam für die Lächerlichkeiten anderer als damals, wie sie den Körper eines Weibes belebt hatte, und das seltene Vergnügen, die stete Gelegenheit zu haben in die geheimsten Orte eindringen zu können, und die dritte Person bei solchen Dingen zu sein, welche jeder für die verborgensten hält, entschädigte[29] meine Seele etwas für ihre harte Strafe.«
»Nachdem Brama meine Gefangenschaft bestimmt hatte, übertrug er meine Seele selbst in ein neues Sopha, das der Arbeiter gerade einer vornehmen Dame lieferte, welche den Ruf außerordentlicher Weisheit und Tugend genoss: aber wenn es wahr ist, dass es nur wenige vollkommene Helden für diejenigen Leute gibt, die sie genau kennen, so kann ich mit eben solcher Sicherheit behaupten, dass es für ihre Sophas nur sehr wenige tugendhafte Frauen gibt.«
Buchempfehlung
Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.
70 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro