Achter Gesang

[38] Fortfahrend sag' ich, daß schon eine Weile

Eh wir zum Fuß des hohen Turms gelangten,

Zu seiner Höh' sich unser Auge wandte;

Denn aufgesteckt war dort ein Fackelpaar,

Und eine dritt' erwiderte das Zeichen,

So fern, daß sie das Auge kaum gewahr ward.

Ich sprach, gewandt zum Meer jedweder Weisheit,

Was will dies Feuer sagen, was entgegnet

Das andre, und wer sind, die sie entzündet? –

Er sagte: Schon kann auf den schmutzgen Wellen,

Was zu erwarten steht, dein Blick gewahren,

Wenn dich der Nebel nicht am Sehn verhindert. –

Nie schnellte einen Pfeil des Bogens Sehne,

Der so geschwind die Luft durchschnitten hätte,

Als über's Wasser her im Augenblick

Ein Schifflein ich auf uns zukommen sah,

Geleitet nur von einem einz'gen Fährmann.

Der schrie: Bist du nun da, verworfne Seelen? –

O Phlegyas, entgegnete mein Meister,

Vergeblich ist für diesmal dein Geschrei;

Zur Überfahrt nur sollst du uns besitzen. –

Wie wer vernimmt von schmählichem Betruge,

Der ihm gespielt ward und darob ergrimmet,

So ward, verbissnen Zornes, Phlegyas

Mein Führer stieg hernieder in den Nachen,

Und, da ich dann auf sein Geheiß ihm folgte,

Schien als ich eintrat, erst der Kahn beladen.[38]

Als beide wir uns nun im Schiff befanden,

Durchschnitt auf seiner Fahrt der alte Kiel

Mehr Wasser, als er tut, trägt er nur Schatten.

Und während wir den toten Moor befuhren,

Taucht' einer vor uns auf, den Schlamm bedeckte:

Wer bist du, rufend, der du vor der Zeit kommst? –

Ich sagte: Kam ich, ist's nicht um zu bleiben,

Doch wer bist du, daß du so ganz besudelt? –

Drauf er: Das siehst du: einer der da weinet. –

Ich aber sprach: In Weinen und in Trauer

Verbleibe denn, du fluchbeladner Schatten!

Wohl kenn' ich dich, wenn du auch ganz beschmutzt bist. –

Da griff er nach dem Kahn mit beiden Händen;

Doch eilig stieß der Meister ihn zurück

Und sagte: Pack' dich mit den andern Hunden! –

Mir aber schlang er um den Hals die Arme.

Mein Antlitz küssend sprach er: Eiferseele,

Gesegnet sei der Schoß der dich getragen!

Ein Mensch voll Hochmut war im Leben jener;

Nicht eine Tugend schmückt sein Angedenken,

Drum ist sein Schatten hier von Wut entbrannt.

Wie viele dünken Könige sich jetzt,

Und werden Säuen gleich im Kot hier stecken,

Dort aber Schande nur und Schmach verlassen. –

Ich sagte: Meister wohl wär ich begierig

Zu seh'n, wie man ihn taucht in diese Brühe

Bevor wir hinter uns den See gelassen. –

Und er zu mir: Noch eh' die andre Küste

Sich dir gezeigt, wirst du befriedigt werden.

Die Lust, die du begehrst, sollst du genießen. –

Nicht lange drauf ward von den Schlammbedeckten

Vor meinen Augen jener so geschüttelt,

Daß, dankend, Gott darum noch heut' ich preise.

Sie alle schrie'n: Es gilt Philipp Argenti! –

Und der ergrimmte Florentiner Schatten

Zerfleischte sich mit seinen eigenen Zähnen.[39]

Wir ließen ihn. Nicht mehr von ihm erzähl ich;

Denn meine Ohren traf ein Schmerzenslaut,

Weshalb ich angestrengt nach vorne blicke.

Der gute Führer sagte: Sohn, es nahet

Bereits die Stadt sich, welche Dis genannt wird,

Voll schwerer Bürger und voll großer Scharen. –

Ich sagte: Meister, ihre Minarette

Erblick' ich wahrlich schon im Tale drunten,

Rotschimmernd als ob Feuer sie durchglühte. –

Darauf entgegnet er: Die ew'gen Flammen,

Darin sie brennen, färben sie so rot,

Wie du gewahrst in dieser niedern Hölle. –

Wir fuhren in die tiefen Gräben ein,

Die die verzweiflungsvolle Stadt umgeben;

Die Mauern schienen mir von festem Eisen.

Indes nach langem Umweg erst gelangten

An einen Ort wir, wo mit lauter Stimme

Der Fährmann rief: Steigt aus, hier ist der Eingang! –

Ich sah wohl tausend, welche einst vom Himmel

Geregnet, bei dem Tor, die zornig sagten:

Wer ist der eine denn, der ohne Tod

Das Reich des toten Volkes so durchwandert? –

Vorsorglich gab mein Führer zu erkennen,

Daß er geheim mit ihnen reden wollte.

Da dämpften sie den wilden Zorn ein wenig

Und sagten: Komm allein. Umkehre dann

Der so verwegen eindrang in dies Reich.

Allein geh' er den tör'gen Weg zurücke,

Wenn er ihn finden kann. Du aber bleibe,

Der durch so dunkles Land ihn hergeleitet. –

Nun denk' dir, Leser, ob ich ward entmutigt

Beim Tone der vermaledeiten Worte;

Gewiß, ich dachte nimmer heimzukehren.

O teurer Führer, der du siebenmal

Und öfter Sicherheit zurück mir gabest,

Und mich aus dringender Gefahr befreitest,[40]

Verlaß mich nicht in solchen Nöten, sagt' ich;

Ist uns das Weitergehn verwehrt, so laß uns

Gemeinsam rückwärts unsren Pfad durchmessen. –

Mein Meister, der bis dorthin mich geführt

Erwiderte: Sei furchtlos, unsre Reise

Kann niemand hemmen, solche Bürgschaft hat sie.

Nun aber bleibe hier, und speis' und stärke

Den müden Geist mit Hoffnung und Vertrauen,

Daß in der untern Welt ich dich nicht lasse. –

Also verläßt mich, also geht von dannen

Der süße Vater, und zurück in Sorgen

Bleib' ich, weil ja und nein im Haupt mir streiten.

Was er zu ihnen sprach kann ich nicht sagen;

Doch lange hatt' er nicht geweilt mit ihnen,

Als um die Wett' in's Tor ein jeder eilte.

Die Pforte schlossen unsre Widersacher

Vor meinem Herrn, dem sie den Einlaß wehrten

Und der die Schritte zögernd zu mir wandte.

Die Augen senkt' er nieder, von den Brauen

Schien jeder Mut geschwunden, und mit Seufzen

Sagt er: Wer wehrte mir des Schmerzes Wohnstatt? –

Drauf wandt' er sich zu mir: Erzürn' ich gleich,

So fürchte deshalb nicht, denn siegen werd' ich,

Was man zur Abwehr drinnen auch versuche.

Nicht neu ist solche Frechheit mir an ihnen;

An weniger geheimem Tor, das seitdem

Verschlußlos blieb, bewährten sie sie schon.

Auf ihm gewahrtest du die tote Inschrift.

Diesseits von ihm steigt schon den Abhang nieder,

Durchschneidend ohne Führer all die Kreise,

Der, dessen Macht uns wird die Pforte öffnen. –

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 38-41.
Lizenz:
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