Neunter Gesang

[180] Tithon's, des alten, Bettgenossin blinkte

In weißem Schimmer von des Ostens Söller,

Entschlüpft den Armen ihres süßen Freundes.

Es leuchtet' ihre Stirne von Juwelen,

Die angeordnet waren nach dem Bilde

Des kalten Tier's, das mit dem Schwanz verwundet.

Der Schritte, welche sie emportut, hatte

Die Nacht, da wo wir waren, zwei getan,

Und seine Flügel senkte schon der dritte,

Als ich, der Adams Erbteil bei mir trug,

Vom Schlaf bewältigt, auf das Gras mich neigte,

Wo wir dann alle Fünfe niedersaßen.

Und um die Stunde, wo beim Nahn des Morgens

Die Klageruf' ertönen läßt die Schwalbe,

Vielleicht gedenkend einst erfahrner Leiden,

Und wo die Seele, mehr als sonst dem Fleische

Entrückt, und von Gedanken nicht gefesselt,

Fast göttlich ist in ihren Traumgesichten,

Glaubt' einen Adler, goldenen Gefieders,

Ich schwebend über mir mit offnen Flügeln

Zu sehn, als wollt' er eben niederschießen.

Auch war mir's als ob ich mich dort befände,

Wo Ganymed die Seinigen verließ,

Als er entrückt ward zu dem Rat der Götter.

Ich dachte bei mir selbst: des Adlers Weise

Ist wohl, nur hier zu stoßen; anderwärts

Verschmäht er, sich die Beute herzuholen.

Da schien es mir, als ob nach ein'gem Kreisen[180]

Er niederführe, schrecklich wie der Blitz,

Und mich nach oben risse bis zum Feuer.

Dann kam mir's vor, als ob wir beide brannten!

Und den geträumten Brand fühlt' ich so schmerzhaft,

Daß plötzlich aus dem Schlaf er mich erweckte.

Nicht anders schreckte einst Achilles auf

Und wandte ringsum die erwachten Augen,

Weil er nicht wußte, wo er sich befinde,

Nachdem in ihrem Arm die Mutter schlafend

Aus Chiron's Hut nach Skyros ihn geflüchtet,

Von wo die Griechen später ihn entführten,

Als ich emporfuhr, wie von meinem Antlitz

Der Schlaf entwich, und so betroffen war ich,

Wie wohl ein Mann ist, der vor Schreck erstarret.

Zur Seite mar nur der mir, der mein Trost war;

Mehr als zwei Stunden hoch stand schon die Sonne,

Und mein Gesicht war nach dem Meer gewendet.

Sei ohne Sorgen, sprach zu mir mein Meister,

Vertraue fest, wir sind auf gutem Wege.

Erweitre denn, vermindre nicht die Tatkraft.

Zum Ort der Läut'rung bist du nun gekommen;

Sieh' dort die Felswand, die ihn rings umschließet,

Sieh', wo die Wand durchbrochen ist, den Eingang.

Noch in der Dämm'rung, die dem Tag vorhergeht,

Als deine Seele schlief auf jenen Blumen,

Womit das Tal dort unten reich geschmückt ist,

Erschien ein Weib und sprach: Ich bin Lucia;

Gestattet, daß ich diesen Schläfer nehme,

So will ich ihn auf seinem Wege fördern. –

Sordell blieb mit den andren dort zurück;

Sie aber nahm dich und sobald es Tag war

Erhob sie sich, und ich folgt' ihren Spuren.

Hier setzte sie dich nieder und es zeigte

Ihr schönes Auge mir den offnen Eingang;

Dann schwand dein Schlaf und sie zu gleicher Zeit. –

Gleich einem, der nach Zweifeln sicher wird[181]

Und seine Furcht in Zuversicht verwandelt,

Nachdem die Wahrheit sich ihm offenbarte,

So wandelt' ich mich, und als guten Mutes

Virgil mich sah, wandt' er dem Bergesanstieg

Sich zu; ich aber folgte seinen Schritten.

Du siehst o Leser, wie zu größ'rem Stoffe

Ich mich erhebe; wundre dich denn nicht,

Wenn mit vermehrter Kunst ich ihn behandle.

Wir nahten uns, und kamen bald dahin,

Wo, was mir erst nur eine Spalte däuchte,

Wie die, von denen Mauern wohl geborsten,

Als Pforte sich ergab, zu der von unten

Drei Stufen von verschied'ner Farbe führten;

Dazu ein Pförtner, der für jetzt noch schwieg.

Wie ich bei weitrem Hinschaun wahrnahm, saß

Er auf der höchsten, und sein Antlitz strahlte

So, daß mein Aug' es nicht ertragen konnte.

Und in der Hand trug er ein bloßes Schwert,

Das spiegelte auf uns die Sonnenstrahlen

So hell, daß oft umsonst ich nach ihm blickte.

Sagt an, von dort aus, was ist eu'r Begehren,

Begann er drauf: Wen habt ihr zum Geleite?

Habt acht, daß eu'r Aufsteigen euch nicht schade. –

Ein Weib vom Himmel, dieser Dinge kundig,

Erwidert' ihm mein Meister, sprach erst eben

Zu uns: Geht dorthin, denn dort ist der Eingang. –

So möge sie denn eure Schritte fördern,

Begann mit güt'gem Blick auf's Neu' der Pförtner,

Wohlan, so tretet vor zu unsren Stufen. –

Die erste Stufe, welche wir erreichten,

War weißer Marmor, solcher Glätt' und Reinheit,

Daß treu gespiegelt ich mich drin erblickte.

Die zweite, die noch dunkler war als Purpur,

Bestand aus rauhem schlackigen Gesteine

Und war geborsten nach der Läng' und Quere.

Die dritte, die sich jenen beiden auflegt,[182]

Schien Porphyr mir von solcher Glut der Farbe

Wie Blut, das eben aus der Ader rieselt.

Auf diese stützte seine beiden Füße

Der Engel Gottes, auf der Schwelle sitzend,

Die mir von lautrem Demantstein däuchte.

Indes ich auf das Wort des Führers willig

Hinaufstieg die drei Stufen, sagt' er: Bitte

Demütig, daß der Pforte Schloß er öffne. –

Ehrfurchtsvoll warf ich mich zu seinen Füßen,

Schlug dreimal mir die Brust und bat ihn dann,

Daß er die Tür mitleidig mir erschließe.

Da schrieb er mit der Spitze seines Schwertes

Mir auf die Stirne sieben P und sagte:

Bist du dort innen, tilge diese Wunden. –

Gleichfarbig wären trockne Erd' und Asche

Der Farbe seines Kleides, und zwei Schlüssel

Zog er aus dessen Falten nun hervor.

Der eine war von Gold, der andre silbern

Und mit dem weißen erst, dann mit dem gelben

Tat er der Pforte so wie ich es wünschte.

Versagt auch einer nur von diesen beiden,

Daß er im Schlüsselloch nicht recht sich wendet,

Sagt' er zu uns, so bleibt dies Tor geschlossen.

Der ein' ist werter; doch der andre fordert

Mehr Kunst und Einsicht, eh' das Schloß er aufschließt,

Denn dieser ist es, der den Knoten löset.

Von Petrus hab' ich sie; er hieß im Öffnen

Noch eher als im Weigern mich zu irren,

Wenn nur zu Füßen man sich vor mir werfe. –

Dann stieß der heil'gen Pforte Tür er auf

Und sagte: Tretet ein; jedoch bemerket,

Daß ausgewiesen wird, wer hier zurückschaut. –

Als nun in ihren Angeln sich die Zapfen

Des Tors der heil'gen Königsburg bewegten,

Die von Metalle stark und tönend waren,

Da rauschte nicht Tarpeja, als der gute[183]

Metell geraubt ihr ward und sie geplündert,

So laut, und zeigte mindren Widerstand.

Aufmerksam wandt' ich mich beim ersten Laute,

Und im Gesang, den süßer Ton begleitet,

Glaubt' ich: Herr Gott dich loben wir, zu hören.

Genau den Eindruck bot mir, was ich hörte,

Als der ihn zu empfangen pflegt, der aufmerkt,

Wenn wo gesungen wird zum Orgelspiele,

Und er die Worte bald versteht, bald nicht.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 180-184.
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