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[176] Zweite Entdeckungsreise zu Lande.
Während dieser Regenzeit flocht ich mir nicht nur einen andern Tragkorb, sondern auch noch eine Menge anderer Körbe zu allerlei Gebrauch, denn da ich in dieser Arbeit Meister war, so gebrauchte ich Körbe zu allem, wozu sie dienlich seyn konnten. Ich ließ sie mir nachher nie wieder ausgehen, und ersetzte den Abgang gleich durch neue.[176]
Eine andere Arbeit fiel mir auch während dem Korbflechten ein, wozu die große Hitze schon längst den Wunsch in mir erregt hatte. Das war ein Sonnenschirm, den ich dann auch sehr nöthig hatte, und zwar eben sowohl gegen den Regen als die Sonnenstrahlen, weil ich viel ausser meiner Wohnung seyn mußte. Ich hatte deren in Brasilien gesehen, wo sie sehr gebräuchlich sind. Es kostete mich aber nicht wenig Mühe und beinahe drei Wochen Arbeit, und ich verdarb wohl zwei oder drei, ehe es mir damit gelang. Die größte Schwierigkeit war, ihn so zu machen, daß ich ihn zusammenlegen konnte, sonst hätte ich ihn nicht anders als ausgespannt tragen können, was mir oft eben so unbequem gewesen wäre, als ihn zu Hause beiseits zu setzen. Ich bedeckte ihn mit Ziegenfellen, die Haare auswärts, so daß er den Regen wie ein Wetterdach, die Sonnenstrahlen aber so gut abhielt, daß ich selbst in der größten Hitze viel bequemer als vormals bei kühlem Wetter ausgehen, und, wenn ich ihn nicht brauchte, zusammenlegen und unterm Arm tragen konnte.
Mit diesen Arbeiten war die schöne Jahrszeit wieder eingetreten, und zwar ehe ich noch ganz mit dem Sonnenschirme fertig war; ich verschob also auf mein Landhaus zu gehen, ehe ich mich dessen bedienen konnte, obgleich dies gewöhnlich mein erster Gang nach der Regenzeit war. Jetzt aber beschloß ich, nicht nur dahin, sondern auch so weit jenseits zu gehen, bis ich an das Ufer der See käme, um meine Insel je länger je besser kennen zu lernen.[177]
Ich nahm also meine Flinte, nebst einem größern Vorrath von Pulfer und Blei, einige meiner Brode, ein großer Bündel mit Rosinen in meinem Tragkorbe, ferner ein Beil und meinen Sonnenschirm, und trat so ausgerüstet, in Begleitung meines Hundes, die Reise an. Den Rest dieses Tages und die darauf folgende Nacht brachte ich auf meinem Landsitze zu, der jährlich schöner ward, und mir immer größeres Vergnügen machte.
Den andern Morgen setzte ich dann meine Wanderschaft fort, bekam nach einer Stunde die See zu Gesichte, und entdeckte in einer Entfernung von 40-50 Meilen ganz deutlich Land, denn es war ein schöner, heiterer Morgen. Es war hoch, und dehnte sich von West gegen Westsüdwest aus; ich konnte aber nicht erkennen, ob es festes Land oder eine Insel war; auch wußte ich mir nicht zu erklären, welcher Theil von Amerika es seyn möchte. Nachdem ich darüber einige Zeit nachgedacht, so schien es mir nicht unwahrscheinlich, daß, wenn jenes ferne Land die Küste der spanischen Länder in Amerika wäre, wie ich aus meinen gemachten Beobachtungen vermuthete, so müßten von Zeit zu Zeit einige spanische Schiffe hin- und herfahren; geschähe dies aber nicht, so müßte dieses Land zwischen dem spanischen Gebiete und Brasilien liegen, welches von Wilden bewohnt wird, die unter allen die grausamsten Kannibalen oder Menschenfresser sind.1 Ich hatte folglich große Ursache,[178] mich glücklich zu schätzen und Gott zu danken, der Alles zum Besten lenkt, daß ich nicht auf jene Küsten verschlagen wurde.
Unter diesen Beobachtungen gieng ich ganz gemach weiter, und gelangte nach ein paar Stunden an den Strand. Hier ward ich auf's Neue in der Meinung bestärkt, daß ich meinen Wohnsitz auf der schlechtesten Seite der Insel gewählt hatte. Hier, so wie bei meinem Landsitze, herrschte ein beinahe ununterbrochener Frühling; der Boden war mit Blumen und Gras, die Bergneigen mit den schönsten Bäumen und Gesträuchen geziert, die mit Früchten beladen oder mit Blüthen geschmückt waren; Wohlgerüche dufteten umher. Eine zahllose Menge von Vögeln verschiedener Art belebte die Gebüsche, die mir aber ausser den Papageien und Penguinen alle unbekannt waren. Ich fand in den niedrigen Gründen Hasen und Füchse, die jedoch von denen in Europa etwas verschieden waren, auch konnte ich mich nicht entschließen von jenen zu essen; die Ziegen waren hier viel zahlreicher, und der Strand war mit unzähligen Schildkröten bedeckt, da ich hingegen in der Nähe meiner Wohnung, in mehr als anderthalb Jahren[179] nur zwei gefunden hatte. Obgleich ich mir's nun gestehen mußte, daß diese Gegend viel anmuthiger, reizender und fruchtbarer war als die, wo ich wohnte, so empfand ich doch nicht die geringste Lust, hier zu wohnen; im Gegentheil, ich sah mich hier als Fremdling auf einer Reise an, der sich nach seiner verlassenen Heimath sehnt. Denn meine Felsenwohnung ward mir so recht heimisch, und sogar mein Landsitz war mir blos als vorübergehender Aufenthalt und Ergötzung angenehm.
Ich reisete noch ungefähr 12 Meilen rechts der Küste entlang, und nachdem ich hier einen Grenzpfahl am Ufer aufgerichtet hatte, kehrte ich um, indem ich mich entschloß, nach Hause zu kehren, und die nächste Entdeckungsreise, von meiner Wohnung aus, auf der andern Seite anzutreten, und links dem Strande nach zu gehen, bis ich wieder zu meinem Zeichen kommen würde.
Ich machte auf dieser Reise keine großen Märsche vorwärts, gieng aber so oft seitwärts, bald hier bald da von meinem Wege ab, um Entdeckungen zu machen, daß ich des Abends jederzeit sehr müde war, wenn ich mein Nachtquartier unter einem Baume nahm, wo ich mich mit Stäben, die ich in die Erde steckte, dergestalt umzäunte, daß kein wildes Thier mir zu nahe kommen konnte, ohne mich aufzuwecken.
Bis jetzt hatte mich diese Reise ausserordentlich ergötzt. Um der Rückreise mehrere Manchfaltigkeit zu geben, nahm ich einen andern Weg als den ich gekommen war, in der Hoffnung, leicht die rechte Richtung zu treffen, um geraden Wegs nach meiner Wohnung[180] zu kommen, ohne den Landsitz zu berühren; allein kaum war ich zwei, drei Meilen gegangen, so befand ich mich in einem großen Thale, das überall mit Bergen und Wäldern so eingeschlossen war, daß ich ganz meine Straße verlor. Zu allem Unglück ward die Luft immer neblichter und dichter, je mehr sich das Thal verengte und zwischen den Anhöhen hinwand, je tiefer ich mich darin verwickelte, so daß ich also die Sonne nicht sehen und mich nach ihr richten konnte. Ich irrte daher vier Tage ängstlich herum, und sah mich endlich genöthigt, die Seeseite, und daselbst meinen Grenzpfahl wieder aufzusuchen, um mich zurecht zu finden, und also den Weg zweimal zu machen. Von da aus gieng ich in kleinen Reisen nach Hause, denn die Hitze war ausserordentlich, und meine Flinte mit Munition, mein Tragkorb, mein Beil, mein Sonnenschirm belästigten mich sehr.
Auf dieser Reise machte ich eine zweifache Beute. Die vielen Papageien, die ich sah, machten mich sehr begierig, einen zu fangen, um ihn zahm zu machen und sprechen zu lehren, wovon ich mir eine ausserordentliche Freude versprach, da ich so lange Zeit kein Wort gehört hatte. Es gelang mir nach einigen fehlgeschlagenen Bemühungen, einen jungen zu erhaschen, den ich mit einem Schlage auf einen Flügel gelähmt, und dadurch verhindert hatte, weiter zu fliegen. Als er sich ein wenig erholt hatte, nahm ich ihn mit mir: es vergieng aber eine beträchtliche Zeit, ehe ich ihn zum Reden bringen konnte.
Der andere Fang war ein Zikelchen, das mein[181] Hund überfiel, ich war aber früh genug bei der Hand, um es ihm unverletzt zu entreißen; ich machte mit einer Schnur, deren ich jederzeit bei mir trug, ein Halsband, und führte es, nicht ohne viele Mühe, bis zu meinem Landhause, wo ich es zurückließ, als ich des andern Morgens nach Hause kehrte, weil ich fürchtete, es möchte mich zu sehr aufhalten, denn mich verlangte gar sehr in meiner Wohnung zu seyn, von welcher ich beinahe einen Monat entfernt war.
Wieder in meiner Heimath zu seyn, ihrer Bequemlichkeiten zu genießen, und besonders in meiner Hangmatte zu schlafen, das war eine wahre Wollust für mich, für die ich keine Worte finde. Zwar war die erste Hälfte meiner Reise höchst angenehm gewesen, die zweite hingegen ein ermüdendes Herumirren, ohne bekannten Aufenthalt, ohne Bequemlichkeit, ohne ruhigen Schlaf, und zuletzt ohne Brod und Fleisch, voll Besorgniß, in der Wildniß keine eßbaren Früchte und keinen Ausweg zu finden. Hingegen meine sichere Felsenwohnung, mit allem Nothwendigen so reichlich versehen, so schön geordnet, war mir so angenehm, daß ich mir fest vornahm, mich niemals mehr allzuweit und so lange davon zu entfernen. Auch ruhete ich eine ganze Woche von den Beschwerlichkeiten meiner Reise aus, that mir recht gütlich, um mich von meiner Ermüdung zu erholen, und beschäftigte mich diese Zeit über mit nichts anderm, als meinem Papchen, dem ich den Namen Poll gab, einen Käfig zu flechten, doch ohne dabei die Besorgung meines Hauswesens zu vernachlässigen. Ich erinnerte mich auch meines gefangenen Zikelchens,[182] und gieng hin, es zu holen; ich fand es sehr matt, wahrscheinlich vor Durst, denn an guter Weide, sowohl an Gras als an Zweigen, schien es ihm hier nicht zu fehlen; ich gieng also gleich hin, um Wasser zu holen, legte ihm auch noch zarte Zweige von andern Gesträuchen vor, was ihm beides sehr wohl bekam; dann band ich ihm die Schnur um, allein der Hunger oder die Einsperrung hatten es so zahm gemacht, daß ich dies gar nicht nöthig gehabt hätte, denn es lief mir von selbst wie ein Hund nach. Da ich nun fortfuhr, es fleißig zu füttern, so ward es so schmeichelnd und artig, daß es mich niemals mehr verlassen wollte, und mein beständiger Hausgenosse blieb. Nun hatte ich zwar ein Paar Ziegen, die sich bald sehr wohl zusammen vertrugen, allein beide waren Weibchen, und daher keine Zucht davon zu erwarten, die mir Unterhalt verschaffen konnte, wenn mein Vorrath an Pulfer und Blei alle seyn würde.
So setzte ich meine gewohnte Lebensweise fort, war bald auf meinem Landsitze, bald in meiner Wohnung am Felsen. Sehr dringende Arbeiten hatte ich eben nicht. Ich machte mir zu hinterst in meinem Mittelgange eine Grube, um daselbst einen beständigen Vorrath von Thonerde aufzubewahren. Wenn ich von einem Spaziergange in dortige Gegend nach Hause kam, brachte ich gewöhnlich eine mäßige Last davon mit. Auch wenn ich vom Landhause zurückkehrte, kam ich nie leer, sondern brachte jederzeit bald Melonen, bald Baumfrüchte, bald Trauben, bald Zweige zum Korbflechten, bald Stäbe zum Umpflanzen[183] meiner Wohnung zu rück, so daß ich ohne große Anstrengung immer einen hinlänglichen, ja überflüssigen Vorrath von allen Bedürfnissen hatte, welche die Insel lieferte. Mein Korn und Reis, nebst den vorerwähnten Früchten, machten mir die Jagd weniger nothwendig, so wie auch die jungen Tauben, die Taubeneier, die Schildkröten und ihre Eier ebenfalls dazu beitrugen, mir mein Pulfer ersparen zu helfen, womit ich sehr haushälterisch war. Die wichtigste Arbeit war, ein Feld zu bestellen, um eine neue Saat auszustreuen. Ich beschloß eben soviel zu säen als das letzte Mal, aber nicht im Raume meines Landhauses, weil die Umzäunung jetzt zu viel Schatten machte. Dies nöthigte mich zwar, den Acker einzufriedigen, allein ich that es mit den Stäben von dem Baume, der so schnell und gerne wuchs, indem ich sie einen Zoll dick und vier Fuß lang schnitt und fünf Zoll weit auseinander, zwischen selbige aber nur ganz dünne Zweige setzte. Dann grub ich drei Stücke neben einander um, nämlich zwei für Waizen und Gerste, und eines für Reis. Diese Stücke, welche ich nachher immer beibehielt, doch untereinander abwechselte, lagen auf meinem Wege nach dem Landhause, ungefähr 300 Schritte von meiner Felswand, doch mehr links als das erste Mal, wo ich Mißwachs hatte.
Während dem ich mich mit allem diesem beschäftigte, nahete sich die Regenzeit der Herbst nachtgleiche, und ich begieng am 30. September, auf eben die feierliche Weise, wie das erste Mal, den Jahrstag[184] meiner Ankunft auf dieser Insel, auf der ich mich bereits zwei Jahre befand, und nicht mehr Aussicht hatte befreit zu werden, als damals. Ich dankte Gott von Herzen für alle seine Wohlthaten, für die vielen Annehmlichkeiten und Erleichterungen, die er mir in diesem Jahre geschenkt, und besonders dafür, daß er mir den Mangel an menschlicher Gesellschaft, durch die Mittheilung seiner Gnade erträglicher machte, mich unterstützte, tröstete und aufmunterte, mich hier fest auf seine Vorsehung zu verlassen, und dort auf seine ewige Gegenwart zu hoffen; ich fieng an es innigst zu fühlen, daß mein Leben jetzt weit glücklicher war, als da ich ohne Religion, ohne Gefühl und ohne Bewußtseyn höherer Dinge, wie im Taumel, den größten Theil meiner Tage verlebte. Vormals, wenn ich auf die Jagd oder sonst ausgieng, überfiel mich, mitten in der größten Ruhe, plötzlich wie ein Sturm eine wahre Seelenangst über meinen Zustand, wenn ich alle die Felsen, Berge, Wälder und Einöden anblickte, wo ewiges Schweigen herrschte, wo ich von den unermeßlichen Schranken des Ozeans ohne Rettung eingeschlossen und von der ganzen übrigen Welt getrennt war; ich rang die Hände, und sah die Erde mit starren Blicken an, bis ich wie ein Kind weinte, wodurch der Schmerz, der sich selbst er schöpft zu haben schien, vorübergieng. Jetzt aber las ich täglich das Wort Gottes, und machte von allen seinen Tröstungen die Anwendung auf meinen Zustand; meine Schmerzen, meine Freuden, meine Neigungen waren ganz verändert, ich bekam an ganz andern Dingen[185] Geschmack, und meine Vergnügungen waren vollkommen neu.
1 Unter den vielen Uebersetzungen, Bearbeitungen, Nachahmungen und Beurtheilungen des Robinson Crusoe, ist oft gesucht worden, die Menschenfresserei der Wilden zu bezweifeln oder gar abzuläugnen, und sie bloß für einen Wahn der damaligen Zeit zu erklären. Aber noch erst kürzlich erfahren wir aus Krusensterns Reise, daß die Bewohner der Insel Nukahiwa in der Südsee wirkliche Anthropophagen sind.
Ausgewählte Ausgaben von
Robinson Crusoe
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