Zweiundzwanzigster Abschnitt.

[36] Robinsons Abreise.


Ehe noch der Kapitän seine Erzählung geendet hatte, kam Freitag mit den Leuten der Pinasse, und hatte genug zu thun, alles über den Wall zu bringen, denn ausser dem Frühstück brachten sie noch ein prächtiges[36] Geschenk, das sich recht für einen Gouverneur schickte. Es bestand in einigen Flaschen Kordialwasser, in sechs Bouteillen Maderawein, zwei Pfund vortrefflichen Taback nebst einigen Tabackspfeifen, sechs Stücke Schweinfleisch, zwei große Stücke Rindfleisch, ein Sack voll Erbsen und eine Menge Zwieback; ferner zwei Flaschen Limoniensaft, eine Schachtel mit Zucker und eine mit Muskatenblüthe, nebst vielen andern nützlichen und angenehmen Dingen. Was mich am meisten freute, waren sechs ganz neue Hemden mit eben so viel Halsbinden, sechs Paar Strümpfe, zwei Paar Handschuhe, eben so viel Schuhe, einen Hut und ein vollständiges Kleid, das er kaum einmal angezogen hatte. Mit einem Worte, er beschenkte mich mit allem, um mich vom Kopf bis zum Fuße zu kleiden. Der Kapitän wünschte, daß ich mich sogleich ankleiden möchte, damit ich vor seinen Leuten als Gouverneur erscheinen und die nöthigen Befehle selbst ertheilen könnte, weil dies auf sie einen größern Eindruck und für den Erfolg eine bessere Wirkung haben würde. Jetzt konnte ich wirklich für einen Gouverneur gelten, aber man kann leicht denken, daß ich mich anfangs nicht recht in die Kleider schicken konnte, da sie theils nicht eigends für mich gemacht waren, theils aber und vorzüglich weil ich schon seit so vielen Jahren keine ähnlichen getragen hatte.

Während dem Frühstück berathschlagten wir uns über verschiedene wichtige Gegenstände. Erstlich, was mit Atkins und den beiden andern Geiseln anzufangen wäre; alle drei waren unverbesserliche Bösewichte, die man in[37] Fesseln mitnehmen, und in England oder in der ersten englischen Kolonie den Gerichten übergeben mußte; aber der menschliche Kapitän war sehr abgeneigt, mit solcher Strenge gegen sie zu verfahren. Das Beste schien, sie auf der Insel zu lassen, und ich versprach ihm, es dahin zu bringen, daß sie es für eine Gnade ansehen und darum bitten müßten.

Nachdem ich also angekleidet war, gieng ich mit dem Kapitän und einer Bedeckung zu der Grotte, ließ die drei Kerls vorführen und sagte ihnen, daß ich theils durch den Rapport ihres Kapitäns, theils durch das Verhör ihrer Mitschuldigen von ihrer Verschwörung völlig unterrichtet sey, daß ihre Absicht gewesen wäre, mit dem Schiffe Seeräuberei zu treiben, daß sie aber in eben die Grube gefallen wären, die sie Andern gegraben hätten, da das Schiff durch meine Anordnungen wieder seinem rechtmäßigen Befehlshaber zugestellt worden sey, daher ich auch befohlen hätte, den gefangenen neuen Kapitän an die große Raa aufzuhängen. Sie möchten jetzt, wenn es möglich wäre, etwas zu ihrer Rechtfertigung anführen, um mich abzuhalten, sie, als auf der That ertappte Seeräuber, neben ihn hängen zu lassen. Atkins antwortete im Namen Aller: Sie wüßten nichts anders anzubringen, als daß sie sich auf die Parole des Kapitäns ergeben und er versprochen hätte, bei Sr. Exzellenz ein gutes Wort für sie zu sprechen, und daß ihre Kameraden, für welche sie Geisel waren, sich bei der Eroberung des Schiffs treu und wacker bezeigt hätten; sie bäten also um Gnade.[38]

Da ich, war meine Antwort, Befehl habe, mit dem ersten Schiffe nach England zurückzukehren, und daher sogleich mit diesem abreisen werde, so weiß ich nicht wohl, welche andere Gnade ich Euch erweisen könnte, als Euch auf dieser Insel zurückzulassen, denn Euch mitnehmen können und wollen wir nicht, und in England erwartet Euch unvermeidlich der Strang. Sie wählten also das Erstere, und um sie in diesem Entschlusse zu bestärken, ließ ich den erschossenen Kapitän an der großen Raa aufhängen, und bedrohte sie mit dem nämlichen Schicksal, wenn sie sich nicht bis zur Abreise des Schiffs ruhig verhielten.

Als ich sie nun entschlossen sah, auf der Insel zu bleiben, unterrichtete ich sie umständlich in allem, was selbige betraf, vom Klima, von ihrer Fruchtbarkeit, vom Säen, Pflanzen und Erndten, vom Brodbacken, Korbflechten, von meiner Töpferarbeit, von meinem Sommerhause und den dortigen Früchten, von der Grotte, von den Wilden, von meinen Ziegen, und wie ich sie zu melken, Butter und Käse zu machen, oder sie zu schlachten pflegte. Dann sagte ich ihnen, daß siebzehn Spanier und Portugiesen nächster Tage landen würden, für welche ich ihnen Briefe und Verhaltungsbefehle zustellen wolle, welche sie sogleich bei ihrer Ankunft dem Don Gusman zu übergeben hätten. Endlich versprach ich, ihnen nicht nur meine Vorräthe zu überlassen, sondern auch den Kapitän zu bewegen, ihnen ihre Kisten nebst noch einigen andern nützlichen Dingen zurückzulassen, wofür sie nicht genug danken konnten.[39]

In diesem Augenblick kam der Kapitän, der sich auf das Schiff begeben hatte, wo zu der nahen Reise viel anzuordnen war. Als er hörte, wovon die Rede war, schien er nicht einwilligen zu können, aber ich antwortete, daß es meine Gefangenen und nicht die seinigen wären, und gab ihnen ein Zeichen, sich zu entfernen, und Freitag mußte ihnen mein Landhaus zu ihrer Wohnung anweisen, denn in der Festung oder in der Grotte wollte ich sie nicht haben, so lange ich noch auf der Insel war, und bis meine Güter sich an Bord befänden.

Nachdem sie fort waren, berathschlagten wir uns wegen der Abreise. Wir fühlten beide einen heftigen Drang fortzukommen. Er, weil er so glücklich und unvermuthet wieder zu seinem Schiff gelangt war, und nichts so sehr wünschte, als damit wieder in England in Sicherheit und von seiner Mannschaft entledigt zu seyn, indem er eine große Abneigung gegen sie fühlte. Ich hatte wohl noch stärkere Gründe, da ich schon über ein Viertel-Jahrhundert mich aus dieser Einsamkeit sehnte. Zwar hätte ich wohl gewünscht, vor meiner Abreise die Spanier noch zu sprechen, und sie allenfalls mitzunehmen, aber Letzteres hatte seine Schwierigkeit, unter andern die Abneigung zwischen den Britten und Spaniern, und ich tröstete mich damit, daß sie Leute genug und mit allen Werkzeugen hinlänglich versehen wären, um ein Fahrzeug zu bauen, das sie nach ihren nicht sehr entfernten Kolonien bringen könnte, wenn es ihnen hier nicht gefiele, von wo aus sie dann leicht nach Europa kommen könnten. Freilich[40] hätte Freitag gerne seinen Vater noch gesehen, aber er war mir so sehr ergeben, daß er mir folgen und mich gar nicht aufzuhalten suchen wollte.

Allein ungeachtet unsers Drängens und Treibens konnten wir vor drei Tagen nicht absegeln, denn ich mußte das, was ich mitnehmen wollte, an Bord bringen lassen, so wie auch der Kapitän die Lebensmittel, die ich ihm überließ, einnehmen wollte, auch ergänzte er nicht nur, sondern erneuerte ganz seinen Wasservorrath. Dies alles wurde dann, in den zwei letzten Tagen, mit der größten Thätigkeit bewerkstelligt, so daß wir wirklich am dritten Tage segelfertig waren. Diese Zeit hatte ich dazu verwendet, alles was ich mitnehmen wollte, aus der Festung und aus der Grotte zum Strande und an Bord bringen zu lassen; ferner einen ausführlichen Brief, nebst Verhaltungsregeln an die Spanier aufzusetzen. So oft es seine Geschäfte erlaubten, besonders des Abends, brachte der Kapitän seine Zeit größtentheils bei mir zu, wo wir bei einer Schale Punsch, zu der er Rum und Zucker und ich die Limonien lieferte, von unserer bevorstehenden Reise sprachen. Ich hatte ihm auch mein Sommerhaus und meine Grotte gezeigt, welches ihm so wohl als dem Passagier, der ihn stets begleitete und ein sehr artiger Mann war, nicht wenig Verwunderung und Vergnügen machte.

Und jetzt, da ich meine Insel verlassen sollte, konnte ich mich nicht ohne tiefen Schmerz davon losreissen; meine Ankunft, mein Aufenthalt, meine Beschäftigung, meine Land- und Seereisen, meine Ziegen, meine [41] Papageien, mein Sommerhaus, meine Pflanzungen, alles drängte sich in mein Andenken, und erschwerte mir den Abschied, sogar meine Leiden, z.B. mein Schiffbruch, das Erdbeben, meine Krankheit, hatten etwas Anziehendes für mich, nur die Angst bei Erblickung des Fußtapfens und meine darauf folgenden Besorgnisse waren mir höchst unangenehm, und ich machte die vielleicht nicht seltene Erfahrung, daß selbst die Unannehmlichkeiten des Lebens im Stande sind, angenehme Rückerinnerungen zu erwecken, wenn nicht Thorheit oder Fehler von unserer Seite damit verwebt sind.

Es war am 19. Dezember 1686, nach dem Schiffskalender, als ich des Abends um 8 Uhr bei schönem Mondscheine die Insel verließ und an Bord gieng, nachdem ich 27 Jahre, 2 Monate und 19 Tage daselbst zugebracht hatte, am nämlichen Tage, da ich in dem Boote mit Xury von Salee entfloh. Wegen den Strömen und Klippen wollten wir aber erst nach Anbruch des Tages unter Segel gehen, und diese Verzögerung gab Anlaß zu einem Vorfalle, der aufs Neue beweist, wie ungleich die Ansichten und Gedanken der Menschen sind.

Von den Leuten, die man auf dem Schiffe zu Gefangenen gemacht hatte, fand man für gut, zwei der Schlimmsten ebenfalls auszusetzen und auf der Insel zu lassen, wohin sie denn auch gebracht worden waren, allein gegen 5 Uhr des Morgens kamen sie an das Schiff geschwommen, und baten um Gotteswillen, man möchte sie wieder an Bord nehmen. Nach langer Weigerung[42] nahm sie der Kapitän wieder auf. Als man sie fragte, was sie bewogen hätte, die Insel zu verlassen, da sie doch in England nichts als die Todesstrafe zu erwarten hätten, antworteten sie, wenn sie auch auf der Stelle gehangen werden sollten, so wollten sie das lieber, als auf der Insel mit den Bösewichten zu bleiben, welche sie zu Tode peinigen würden. Da man sie indeß nicht unbestraft lassen konnte, so erhielten sie eine tüchtige Tracht Schläge. Dagegen fand es sich, daß zwei Andere, die doch bereits eine ähnliche Strafe erhalten hatten, während der Nacht mit dem kleinen Boot an den Strand gefahren, dasselbe dort gelassen, und in's Innere der Insel entwichen waren, weil sie dennoch fürchteten, in England dem Richter überliefert zu werden, oder weil sie auf der Insel, wo sie mit Andern Wasser geholt hatten, von Atkins und seinen Kameraden zu diesem Schritte verleitet worden waren. Der Kapitän sandte die Schluppe an den Strand, um das kleine Boot zurück und zugleich den auf der Insel Bleibenden ihre Kisten und Kleider, noch etwa fünfzig Pfund Pulfer und allerlei Gemüsesämereien, die ich mir oft gewünscht hatte, zu bringen; ich ließ ihnen noch versprechen, wenn es möglich wäre, ein Schiff zu senden, um sie mit allerlei Bedürfnissen zu versehen oder sie abzuholen, und empfahl ihnen sehr ernstlich, meine Verhaltungsbefehle dem Don Gusman unfehlbar einzuhändigen, welches, wie ich nachher erfuhr, sie auch gethan haben.

Diese Vorfälle hatten unsere Abreise verzögert, und die Sonne war bereits hoch über den Horizont, als wir[43] unter Segel giengen, und die Insel mit fünfzehn Kanonenschüssen begrüßten, welche von dem Echo erwiedert wurden. Ich hatte zum Andenken meine große Mütze von Ziegenfellen, meinen Sonnenschirm, meinen Papagei und meinen Hund mitgenommen, auch das Geld, welches ich auf unserm und dem spanischen Schiffe gefunden, nicht vergessen. Es war so lange ungebraucht in meinem Keller gelegen, und ganz schimmlicht geworden, so daß man es kaum erkennen konnte, und durch Reiben wieder rein gemacht werden mußte, um in Umlauf gesetzt werden zu können. Der Wind, die Ebbe, und der daher entstehende bekannte Strom, beschleunigten so sehr den Lauf unsers Schiffs, daß wir in weniger als zwei Stunden die Insel aus dem Gesichte verloren, und bis dahin war weder ich noch Frei tag vom Verdeck abzubringen; wir sahen nicht ohne Thränen die letzten Felsengipfel in den Fluthen verschwinden.

Unsere Reise war glücklich, und wir ließen am 11. Juni 1687 auf der Rheede von Spitsead die Anker fallen. Die Gefühle, die mich beinahe überwältigten, als ich die Küsten meines Vaterlandes, eine mir nicht unbekannte Rheede, die vor uns liegenden Städte Portsmuth und Gosport, und hinter uns die liebliche Insel Wight wieder sah, lassen sich leichter ahnen als ausdrücken, da ich bereits über dreissig Jahre aus England abwesend war. Ich gieng mit dem Kapitän, mit dem Passagier und mit Freitag nach Portsmuth, wo wir zu Mittag speisten, aber ich war hier beinahe eben so fremde als Freitag, denn die vielen großen Schiffe, noch weit mehr die Menge großer[44] Häuser in langen Straßen gereihet, das Volksgedränge, und am meisten die Pferde und Wagen, in ein unbeschreibliches Erstaunen setzte. Ich und der Passagier entschlossen uns, des andern Morgens mit der Post nach London zu reisen, da der Kapitän sich hier einige Tage aufhalten mußte, und der Wind die Durchfahrt bei Dover verspäten konnte. Freitag kehrte also mit dem Kapitän an Bord zurück, um unsere nothwendigsten Bedürfnisse abzuholen, und des andern Tags reiseten wir in einer Postchaise ab, deren Schnelligkeit ein neues Wunder für Freitag war, der sich jetzt in einer bezauberten Welt zu befinden glaubte.

In London erkundigte ich mich zuerst nach der Wittwe, welcher ich mein kleines Vermögen anvertraut hatte; ich fand sie noch bei Leben, aber in sehr ungünstigen Umständen, denn sie war zum zweiten Mal Wittwe, und hatte viele Unglücksfälle erlebt. Ich zerstreute vor allem aus ihre Besorgnisse wegen dem, so sie mir schuldig war, weil die Auslieferung desselben für sie höchst drückend, wohl gar unmöglich gewesen wäre. Ich versprach ihr, sie darüber nicht zu beunruhigen, dankte ihr für ihre mir bezeigte Güte, und wünschte ihr dieselbe erwiedern zu können.

Nach ungefähr acht Tagen reisete ich nach York, wo meine Aussichten sich keineswegs verbesserten. Mein Vater und meine Mutter waren schon längst gestorben, und ich fand Niemand mehr von meiner Familie bei Leben als zwei Schwestern und zwei erwachsene Söhne meines, erst nach dem Tode meiner Eltern zurückgekommenen zweiten Bruders, der erst vor wenigen Jahren[45] gestorben war, und einiges Vermögen hinterlassen hatte. Da man auch mich längst für todt hielt, weil ich auf die ergangenen Vorladungen nicht zur bestimmten Zeit geantwortet oder mich eingefunden hatte, so war mein Antheil unter die übrigen Geschwister vertheilt worden, und sie befanden sich nicht in der Lage, mir das Geringste zu erstatten, so daß mir nichts übrig blieb, als das Wenige, was ich von meiner Insel mitgebracht hatte, und zu meinem Unterhalt nicht hinlänglich war. So war ich kaum wieder unter Menschen, als mich Nahrungssorgen quälten, und mich nöthigten, auf weitere Hülfsquellen zu denken. Natürlich mußten meine ersten Gedanken auf meine Pflanzung in Brasilien fallen, und ich überlegte, ob ich dahin oder nur nach Lissabon gehen, oder vorerst nur dahin schreiben sollte, um meine kleine Habe zu schonen.

Da ich in York nichts weiter zu finden wußte, so kehrte ich nach London zurück, wo in der Zwischenzeit der Kapitän mit seinem Schiffe glücklich angelangt war. Ich ließ sofort meine Sachen in die Wohnung bringen, die ich gemiethet hatte, und einige Tage nachher erhielt ich ein Geschenk, das ich in meiner Lage für eine wahre Wohlthat ansehen konnte. Der redliche Kapitän, der mich zurückgebracht hatte, machte den Rheedern einen so vortheilhaften Bericht von meiner Mitwirkung für die Wiedereroberung des Schiffs, das sonst für sie verloren gewesen wäre, daß sie einen der Ihrigen zu mir sandten, um mir ihren Dank zu bezeugen, und ein Geschenk von 200 Pfund Sterling zu machen. Dieses machte meiner Unentschlossenheit ein[46] Ende, und setzte mich in den Stand, in eigener Person nach Lissabon zu reisen, um daselbst Erkundigungen über meine Pflanzung und über meinen Mitpflanzer einzuziehen, der mich ohne Zweifel für todt halten mußte.

Quelle:
[Defoe, Daniel]: Der vollständige Robinson Crusoe. Constanz 1829, Band 2, S. 36-47.
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