Siebentes Kapitel.

[82] Ich nahm ihr Anerbieten an, lebte ein halbes Jahr mit ihr, und wäre wohl noch länger bei ihr geblieben, wenn das, was sie mir voraus verkündet, nicht für sie selbst eingetroffen wäre; sie ging nämlich bald eine sehr günstige Heirat ein.

In dem Grade, wie sich ihre Verhältnisse verbesserten, verschlechterten sich die Aussichten für mich. Ich fand nichts passendes, zwei Steuerleute, oder so etwas ähnliches, bemühten sich zwar um mich, mit den Schiffskapitänen aber verhielt es sich so: es waren entweder solche, die ein gutes Geschäft, das heißt ein gutes Schiff besaßen und nur vorteilhaft heiraten wollten; oder solche, die gerade keinen Posten hatten und eine Frau suchten, die ihnen zu einem solchen verhelfen konnte, das heißt eine Frau, mit derem Gelde sie sich einen großen[83] Anteil an einem Schiffe zu kaufen und dadurch andere Teilhaber herbeizuziehen vermochten; oder aber eine Frau, die, wenn auch kein Geld, so doch Freunde in Rheder- und anderen Kreisen hatte, und durch diese dem betreffenden Manne zu einem Platze auf einem guten Schiffe verhelfen konnte; bei mir fanden sie nun nichts von alle dem, und es sah aus, als solle ich keinen Mann finden.

Die Erfahrung hatte mir ja schon die Erkenntnis beigebracht, daß sich in Dingen der Ehe manches anders verhielt, als man so denkt, daß Heiraten aus Berechnung geschlossen werden, daß sie den Interessen und den Geschäften dienlich sein müssen und die Liebe keine, oder nur eine sehr geringe Rolle dabei spielt.

Ja, es war wirklich so, wie meine Schwägerin in Colchester einmal gesagt, daß Schönheit, Klugheit, heiterer Sinn und gefälliges Benehmen kein Mädchen mehr empfehlen, daß das Geld allein eine Frau angenehm machen kann, daß die Männer sich ihre Geliebten allerdings nach ihrem Geschmack zu wählen pflegen, und daß eine Hure allerdings ein schönes Gesicht, eine angenehme Gestalt, ein lustiges Gemüt und ein anmutiges Benehmen haben muß; daß jedoch bei der Gattin keinerlei Mißgestaltung, noch sonstige üble Eigenschaften, das Urteil beeinflußt; daß hier eben nur das Geld, das Geld und wieder das Geld in Betracht kommt. Ein Ehebund war nie unsinnig oder ungeheuerlich, wie immer das Weib auch aussehen mochte, wenn er nur Geld, Geld, Geld einbrachte.

Wie nun einerseits die Männer den ganzen Markt in der Hand hatten, so fand ich, daß anderseits die Frauen das Recht verloren zu haben schienen, überhaupt Nein zu sagen; daß es für eine Frau eine große Gunst bedeutete, wenn ihr jemand einen Antrag machte, und daß eine junge Dame, die jemals die Anmaßung besessen, Nein zu erwidern, gewiß nie wieder in die Lage kam, zum zweitenmale antworten zu müssen. Die Männer hatten ja eine so große Auswahl, und die Aktien für die Frauen[84] standen so außerordentlich niedrig, daß die Männer eben an jede Türe, die ihnen paßte, klopfen konnten; und geschah es einmal, was aber kaum vorkam, daß sie abgewiesen wurden, so durften sie ganz sicher sein, im nächsten Haus mit um so offeneren Armen aufgenommen zu werden.

Außerdem fiel mir auf, daß die Männer nicht den geringsten Anstand nahmen, als Freier aufzutreten und auf die Mitgiftjagd zu gehen, wenn sie selbst auch ganz besitzlos waren und auch weiter gar keine Verdienste hatten; sie trieben es sogar so weit, daß sie einer Frau kaum gestatteten, sich nach dem Charakter oder den Lebensumständen ihres Bewerbers zu erkundigen.

Ich erlebte selbst einen Fall mit, der einer jungen Dame passierte, die neben mir wohnte und mit der ich bekannt geworden war. Sie besaß ein Vermögen von nahezu 2000 Pfd. Ein junger Kapitän bewarb sich um sie, und sie erkundigte sich bei einigen Bekannten nach seinem Charakter, seiner Lebensführung und überhaupt nach seinen näheren und weiteren Verhältnissen. Und er – was tat er? Er fühlte sich veranlaßt, sie bei seinem folgenden Besuche wissen zu lassen, daß er ihre Erkundigungen, von denen er Kenntnis erhalten, so übel aufgenommen habe, daß er sie in Zukunft mit der Belästigung durch seine Gegenwart verschonen werde. Ich hörte von der Sache und besuchte sie darauf. Sie schüttete mir ihr ganzes Herz aus. Obwohl sie sich für sehr schlecht behandelt hielt, fand sie doch nicht die Kraft, dem Betreffenden zu grollen; es bekümmerte sie im Gegenteil, daß sie ihn verloren, und daß ihn jetzt eine andere mit vielleicht weniger großem Vermögen gewinnen werde.

Ich suchte ihr diese geringe Auffassung ihres Wertes auszureden und sagte ihr, wie bescheiden ich auch in der Welt dastehe, so würde ich doch den Mann verschmähen, der da glaube, ich müsse ihn nur auf seine eigene Empfehlung hin nehmen. Und weiter sagte ich ihr, sie habe doch ein großes Vermögen und durchaus nicht nötig, sich den schlechten[85] Sitten der Zeit zu beugen; es sei schlimm genug, daß die Männer die unter uns, die nur wenig Geld hätten, beleidigen dürften; wenn sie jedoch zulasse, daß man sie so schlimm behandele, sie verletze, kränke, ohne daß sie es irgendwie nachtrage, so setze sie sich ein für allemal im Preise sehr herunter; eine Frau finde doch stets eine Gelegenheit, sich an einem Manne, der ihr übel mitgespielt, zu rächen, es gäbe doch Mittel und Wege genug, um einen solchen Menschen zu demütigen, und das sei ein Glück, denn sonst wäre die Frau das unglückseligste Geschöpf in der Welt.

Diese Reden schienen ihr sehr angenehm zu sein, und sie erwiderte mir, daß sie jetzt in der Tat sehr froh wäre, wenn sie ihm zu verstehen geben könne, wie sehr sie ihm zürne und ihn dadurch vielleicht veranlasse, sich ihr wieder zu nähern. Anderseits würde es ihr eine große Genugtuung gewähren, wenn ihre Rache so bekannt wie nur möglich werde.

Ich sagte ihr darauf, wenn sie meinem Rate folgen wolle, so könne sie ihre beiden Wünsche erfüllt sehen. Und ich verpflichtete mich, den Mann wieder vor ihre Türe zu bringen, wo er um Einlaß förmlich betteln solle.

Sie lächelte bei diesen Worten und gab mir zu verstehen, ihr Rachedurst sei nicht so groß, daß sie ihn dort allzulange betteln lassen würde.

Meinen Ratschlägen hörte sie jedoch mit großer Aufmerksamkeit zu. Ich sagte ihr, das erste, was zu tun wäre, sei ein Akt der Gerechtigkeit gegen sie selbst. Sie müsse bei den Damen, denen er vielleicht erzählt habe, er habe sie verlassen, bei der nächsten Gelegenheit, die sich unschwer bald finden werde, verbreiten, daß sie sich nach seinen Verhältnissen erkundigt und erfahren habe, er sei durchaus nicht der Mann, für den er sich ausgebe. »Verfehlen sie nicht,« sagte ich, »ausdrücklich zu erwähnen, daß er überhaupt nicht die Persönlichkeit ist, auf die Sie Anspruch machen können, und daß sie der Meinung wären, es sei gewagt, sich mit ihm einzulassen. Sie hätten gehört, er sei von übler Gemütsart, und habe[86] sich oft damit gerühmt, wie er die Frauen schlecht behandelte ... im übrigen sei er ein Liederjahn.« In der letzten Behauptung lag dabei ein Körnchen Wahrheit, doch fand ich nicht, daß er ihr um dessentwillen weniger angenehm war.

Sie erklärte sich mit alledem sehr einverstanden und tat gleich, wie ich ihr geraten. Sie erzählte die Geschichte nur ein paar Klatschbasen von Freundinnen, und siehe da, es wurde bald das einzige Teetischgeklatsche in dem Kreise, der in Betracht kam, und ich selbst hörte überall davon, wo ich einen Besuch machte. Da man wußte, daß ich mit der jungen Dame bekannt war, fragte man mich oft nach dem Sachverhalt, und ich bestätigte dann natürlich alles, was meine Freundin gesagt, mit den nötigen Unterstreichungen und malte des Kapitäns Charakter möglichst schwarz aus. Obendrein ließ ich noch durchblicken, was das Geschwätz bis jetzt noch nicht behauptet, daß ich nämlich gehört habe, er befände sich in sehr schlechten Verhältnissen, und er habe eine Mitgift nötig, um die anderen Teilhaber an dem Schiffe, das er kommandierte, zufrieden stellen zu können. Er habe nämlich seinen Anteil noch gar nicht bezahlt, und wenn dies nicht bald geschehe, so solle er vom Schiffe entfernt werden, und der erste Steuermann, der die Summe, die dem Kapitän fehle, aufbringen könne, das Kommando erhalten. Ich fügte noch hinzu, denn ich war herzlich erbost auf den Menschen, ich habe auch so etwas gehört, als hätte er schon eine Frau in Plymouth und eine andere in Westindien, etwas, das, wie alle wußten, bei solcher Art Gentleman ja nicht allzu selten vorkam.

Das wirkte, wie wir beide nur gewünscht hatten; denn die junge Dame, die hinter der nächsten Türe wohnte, an die der Kapitän alsbald klopfte, hatte einen Vater und eine Mutter, die sie und ihr Vermögen bewachten, die Tür vor ihm verschlossen und ihm das Haus verboten; und auch noch an einem zweiten Orte hatte ein Mädchen ganz unerwarteterweise den Mut, Nein zu sagen; so daß er nun anklopfen[87] konnte, wo er wollte, überall antwortete man ihm, man danke für seinen Hochmut, der nicht zulasse, daß seine zukünftige Frau sich nach seinem Charakter erkundige..

Nun begann er einzusehen, welche Unklugheit er begangen, und daß er bei keiner der Frauen dieses Stadtteils mehr auf Erfolg rechnen könne. Er begab sich infolgedessen in einem anderen auf die Suche und erlangte auch Zutritt zu mehreren Damen; doch obgleich man dort ebenfalls, der üblen Sitte der Zeit folgend, unter allen Umständen gewillt war, einen Antrag anzunehmen, hatte er doch das Pech, daß ihm sein Ruf dorthin nachfolgte, so daß er wohl Frauen genug, doch keine mit einer ansehnlichen Mitgift, wie er sie brauchte, finden konnte.

Dies war jedoch noch nicht alles. Meine junge Freundin tat noch einen anderen sehr schlauen Zug. Sie veranlaßte einen jungen Herrn, der ein naher Verwandter von ihr war, sie zwei oder dreimal in der Woche mit einem sehr schönen Wagen und Dienern in guter Livree zu besuchen, und ich und die schon vorhin genannten Klatschbasen erzählten nun in dem ganzen Viertel herum, dieser Herr bewerbe sich um sie: er habe ein jährliches Einkommen von 1000 Pfd. und liebe meine Freundin sehr, und sie werde sich bald zu einer Tante in die City begeben, weil es für den Herrn zu unbequem sei, mit seinem Wagen immer zu ihr in die engen und holperigen Straßen unseres Viertels zu kommen.

Das schlug ein. Und der Kapitän, überall ausgelacht und abgewiesen, versuchte nun alles mögliche, um sich ihr wieder zu nähern, schrieb ihr die leidenschaftlichsten Briefe und erlangte endlich nach langen Bitten die Erlaubnis, um die er bat: sie besuchen zu dürfen, um sich zu rechtfertigen und seinen Ruf ein wenig zu verbessern – wenn ers könne.

Bei dieser Zusammenkunft nun durfte sie nach Herzenslust ihrer Rache fröhnen. Sie fragte ihn, für was er sie wohl halte, daß er ihr zutraue, sie werde mit einem Manne, von dessen Lebensumständen sie nichts wisse, einen solch wichtigen Schritt[88] wie den der Heirat tun, ohne sich zuvor nach ihm zu erkundigen? Wenn er vielleicht glaube, daß sie sich in den Ehestand hineinprahlen lasse, so irre er sich eben sehr. Sein Charakter lasse im übrigen außerordentlich viel zu wünschen übrig und sei ihr von Leuten, die ihn kennten, nur allzu deutlich geschildert worden; und wenn er auch vielleicht ein paar Punkte, über die man sie ungünstig berichtet, aufklären könne, so habe sie ihm doch nichts weiter mehr zu sagen, als dies letzte, daß sie sich nicht fürchte, weder ihm noch irgend einem anderen ähnlichen Mossjöh mit einem sehr kräftigen Nein zu antworten.

Dann ließ sie ihn aber doch noch alles kosten, was sie von ihm gehört, oder vielmehr, was ich und sie uns über ihn ausgedacht hatten: daß er seinen Anteil an dem Schiff überhaupt noch nicht bezahlt habe, daß die übrigen Eigentümer daher beschlossen hätten, ihm das Kommando zu nehmen und dem Steuermann zu übertragen; daß seine ganzen Sitten ein großes Ärgernis erregten, daß man diese und jene Frauen mit ihm in Verbindung bringe, und sehr wohl wisse, daß er in Plymouth wie in Westindien schon eine Ehegattin sitzen habe. Und dann fragte sie ihn, ob er nicht selbst sagen müsse, daß sie nur vernünftig daran tue, ihn so schroff zurückzuweisen – so lange, bis er sich in all diesen Punkten gerechtfertigt?

Er war ganz verwirrt und verstört über diese Rede und konnte kein Wort hervorbringen, so daß sie schon schließen zu müssen meinte, ihre Anklagen beruhten tatsächlich auf Wahrheit, obgleich sie ja wohl wußte, daß sie selbst nur diese Gerüchte aufgebracht habe.

Nach einer kleinen Weile faßte er sich jedoch und war von der Zeit an der bescheidenste und anspruchsloseste Bewerber, den man sich nur vorstellen kann.

Sie fragte ihn weiter, ob er glaube, es gehe ihr vielleicht nicht gut, daß sie sich eine derartige Behandlung gefallenlassen müsse? und ob er nicht sehe, daß noch ganz andere es für wert hielten,[89] sich um ihre Hand zu bemühen? Damit spielte sie auf den jungen Herrn an, den sie veranlaßt hatte, sie mit Pferd und Wagen zu besuchen.

So brachte sie ihn dazu, daß er ihr von selbst all seine Verhältnisse klar auseinandersetzte und ihr auch über seinen Lebenswandel Rechenschaft gab. Er brachte ihr den untrüglichen Beweis, daß er seinen Anteil am Schiffe wohl bezahlt, er besorgte ihr ein Schreiben von den übrigen Eigentümern, welches besagte, das Gerücht, das Kommando des Schiffes solle ihm entzogen werden, sei falsch und grundlos, kurz er war jetzt ganz das Gegenteil dessen, was er vorher gewesen.

So gelang es mir, meine Freundin zu überzeugen, daß die Männer nur deshalb die Frauen in allen Heiratsdingen übervorteilten, weil die Auswahl für sie so groß war und man die Frauen so leicht haben konnte, und weil ferner den Frauen der Mut fehlte, ihre Rechte geltend zu machen. Trotzdem bliebe aber das Wort zu Recht bestehen, das Lord Rochester von ihnen gesagt:


Und sei sie noch so arm und schwach, sie kann

Sich rächen an dem Übeltäter Mann.


Die junge Dame spielte ihre Rolle auch weiterhin so gut, daß sie, obgleich sie fest entschlossen war, den Kapitän zum Gatten zu nehmen, und dieser Wunsch die eigentliche Triebfeder ihres Handelns bildete, es ihm doch so schwer wie nur möglich machte, ihre Hand zu erringen. Und zwar tat sie es nicht, wie man gesehen, durch hochmütiges zurückhaltendes Betragen, sondern durch eine geschickte Behandlungsweise, indem sie ihm mit seiner eigenen Münze heimzahlte. Denn so großtuerisch er sich über jede Nachforschung und jedes Urteil stellen gewollt, so peinlich forschte und urteilte sie, und während er sich gefallen lassen mußte, daß sie sich alle nur mögliche Aufklärung über seine Verhältnisse geben ließ, gestattete sie ihrerseits ihm nicht im mindesten, hinter ihre eigenen zu sehen.

Es mußte ihm genügen, sie zur Frau zu bekommen; und sie sagte ihm einfach und gerade[90] heraus, da er ihre Verhältnisse, so weit er sie zu kennen brauche, ja kenne, sei es so recht und billig wie selbstverständlich, daß sie auch die seinen erfahre; und wenn er auch vielleicht ihre Verhältnisse nur nach dem Hörensagen schätzen könne, so habe er ihr doch so oft von seiner Liebe zu ihr gesprochen, daß sie annehmen müsse, ihm sei vor allem anderen an ihrer Hand gelegen ... und was Verliebte sonst noch so sagen. Kurz, sie nahm ihm jede Möglichkeit, sie des näheren nach ihrem Vermögen auszuforschen, legte einen Teil desselben stillschweigend in Depositen an, ohne ihn irgend etwas davon wissen zu lassen – und zwar so, daß sie für ihn ganz unerreichbar gewesen wären – und stellte ihn dann mit dem Rest noch hoch zufrieden.

Sie überließ ihm allerdings auch noch genug, nämlich 1400 Pfund in Gold, die sie ihm übergab; das übrige brachte sie nach und nach zum Vorschein, in der Weise, daß sie es ihm als eine nur persönlich von ihr zu erhebende Nebeneinkunft hinstellte, was ihm nur eine angenehme Überraschung sein konnte, da diese Gelder zwar nicht sein Eigentum waren, es ihm aber doch noch leichter machten, den Unterhalt seiner Frau zu bestreiten. Ich muß hinzufügen, daß der junge Herr durch dieses kluge Verfahren seiner Angebeteten nicht nur – wie schon erwähnt – zunächst ein lieber bescheidener Bewerber und Bräutigam wurde, sondern später auch der zuvorkommenste und aufmerksamste Gatte.

Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, den Frauen noch einmal in ihr Gedächtnis zu rufen, wie tief sie sich erniedrigen, wie sie sich eine Stellung zuweisen, die weit, weit unter der ist, die eine Ehefrau haben sollte, und wie sie sich selbst nur eine Fülle an Unannehmlichkeiten aufbürden, wenn sie zulassen, daß sie von den Männern in der Weise behandelt werden, die jener Kapitän meiner Freundin zuerst zumutete. Nein, die Frauen können mir glauben, sie brauchten eine so mißliche Rolle den Männern gegenüber durchaus nicht zu spielen; es gibt im Grunde nichts, das sie dazu zwänge.[91]

Meine Erzählung möge deshalb auch dazu dienen, den Frauen zu zeigen, ihnen klar zu machen, daß durchaus nicht alle Vorteile auf der anderen Seite liegen, wie die Männer wohl meinen und immer glauben machen möchten. Denn, wenn es auch richtig ist, daß die Männer eine zu große Auswahl haben, und wenn es auch leider genug Frauen gibt, die sich dadurch freiwillig herabwürdigen, daß sie sich so leichthin weggeben, so ist es darum nicht weniger wahr, daß die Männer, wenn sie eine Frau haben wollen, die vor sich selbst irgend welchen Wert besitzt, diese so schwer zu erlangen vermögen, wie man sich nur denken kann ... und daß die anderen Frauen, die unwürdigen, ein so voll geschütteltes Maß an Mängeln haben, daß es allerdings nicht der Mühe wert ist, sich es erst noch sonderliche Mühe kosten zu lassen, bis man eine solche bekommt.

Nichts ist wahrhaftig wahrer, als daß die Frauen nur dabei gewinnen, wenn sie auf ihren Rechten bestehen und ihren Bewerbern zu verstehen geben, daß sie ebenso leicht verzichten können und sich durchaus nichts daraus machen, auch einmal Nein zu sagen. O, man beleidigt uns bitter, wenn man immer sagt, daß die Frauen in der Überzahl seien, weil der Krieg, das Meer, das Geschäft so viele Männer verschlungen haben und immer verschlingen werden; so daß es kein richtiges Verhältnis mehr in der Zahl der Männer und Frauen gäbe. Ich bin weit davon entfernt, zuzugeben, daß die Anzahl der wirklichen Frauen so groß und die der wirklichen Männer so klein sei. Der Vorteil vielmehr, den die Männer über die Frauen haben, liegt ganz wo anders, liegt darin nämlich, daß die Menschen überhaupt, daß diese ganzen Zeiten so verderbt sind; das hat dann zur Folge, daß es in der Tat so wenig Männer gibt, mit denen sich eine anständige Frau überhaupt einlassen darf, daß man nur hin und wieder, ganz selten einmal einen trifft, mit dem man eine Ehe wagen kann.

Aus all dem muß man den Schluß ziehen, daß die Frauen wählerischer sein sollen! Es ist so wie[92] so schwer genug, den wahren Charakter eines Mannes, der einem einen Antrag macht, zu erforschen. Also – nicht schnell zugreifen! Die Frauen können sicher sein, sie stürzen sich nur schnell in Wagnis und Gefahr! Sie haben ja so viel Grund, vorsichtig und wählerisch zu sein! Fast immer werden sie betrogen! Und wie oft, wären sie nur langsamer in ihren Entscheidungen gewesen, würden sie noch zur rechten Zeit gemerkt haben, was ihnen drohte.

Denn, noch einmal sei es gesagt, an den Männern liegt die Schuld, die Männer von heute sind nichts wert. Und wenn die Frauen vor der Ehe nur ein wenig die Augen auftäten, wenn sie sich hier und da erkundigten, so würden sie es auch beizeiten merken und sich nicht so leichtsinnig weggeben. Den Frauen aber, die ihre eigene Sicherheit nicht des Nachdenkens wert erachten, die, ihres Mädchentums überdrüssig, sich in den Ehestand stürzen, wie ein Pferd in die Schlacht, denen kann ich nur sagen, daß sie zu den Kranken und Unmaßigen gehören, und daß man für sie wie für diese öffentlich beten sollte. Sie gleichen den Leuten, die ihr ganzes Vermögen in einem Lotteriespiel wagen, in dem auf hunderttausend Nieten ein einziger Gewinn fällt.

Kein Mann von gesundem Verstande wird eine Frau deshalb weniger schätzen, weil sie sich nicht im Gefecht der Bewerbungen auf den ersten Streich er gibt, oder den betreffenden Antrag nicht annimmt, ehe sie sich nach der Person des Bewerbers und seinem Charakter erkundigt hat; handelt sie dagegen so voreilig, überhastig, wie es jetzt leider üblich ist, so muß er sie für die schwachsinnigste Kreatur halten, da sie, ob sie gleich nur einmal über ihr Leben bestimmen kann, dies mit einer höchst leichtfertigen Gleichgültigkeit tut und den Sprung in die Ehe wie den Tod einen Sprung ins Dunkle sein läßt.

Ich möchte meinen Geschlechtsgenossinnen in dieser Beziehung gern zu einer ein wenig richtigeren Anschauung verhelfen; damit wäre dann zugleich auch ein anderer Schade, an dem wir leiden, gebessert. Schuld an dem ganzen Übelstande ist ja nämlich nur[93] ein Mangel an Mut, ist die Angst, vielleicht überhaupt keinen Mann zu bekommen und im Zusammenhange damit die Furcht vor dem verschrieenen Stande einer alten Jungfer. Ja, dieses letztere, das ist so recht eigentlich die Falle, in der die Frauen sich fangen; würden sie jedoch diese Furcht einmal überwinden und verstandesmäßiger handeln, so würden sie viel öfter ihr Recht auf Glück erhalten; und wenn sie vielleicht auch nicht so früh heirateten, so würden sie dafür um so glücklicher heiraten. Denn die ist noch immer zu früh verheiratet, die einen schlechten Gatten bekommt – und die kommt noch stets zurecht, die einen guten findet; kurz, es gibt keine Frau, eine verkrüppelte oder schlecht beleumundete ausgenommen, die nicht früher oder später, je nach ihren Verhältnissen, gut heiraten kann, wenn sie die Ehefrage nur vernünftig auffaßt; wenn sie sich jedoch übereilt, kann man tatsächlich hunderttausend zu eins wetten, daß es um sie geschehen ist.

Quelle:
Daniel De Foe: Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders. Berlin [1903]., S. 82-94.
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