[94] Doch komme ich nach dieser Abschweifung nunmehr wieder auf meine eigene Lage zurück, die augenblicklich ziemlich bedenklich war. Meine Verhältnisse ließen den Heiratsantrag irgend eines ordentlichen Bewerbers so notwendig wie nur möglich erscheinen. Doch fand ich bald, daß es mir nichts helfen konnte, wenn ich blos viele Herrenbekanntschaften machte; es kam bald heraus, daß »die Witwe« kein Vermögen hatte, und damit sagte man das Schlimmste von mir, was man überhaupt nur sagen konnte, denn ich war sonst gut erzogen, schön, klug, bescheiden und angenehm; all dies gestand ich mir wenigstens zu, ob mit Recht oder Unrecht mag dahingestellt bleiben – jedenfalls aber taten die Vorzüge keine Wirkung ohne Geld. Man urteilte allenthalben einfach: »Die Witwe« habe kein Geld! Und damit war die Witwe verurteilt.
Ich sah ein, daß es nötig war, meinen Aufentaltsort wieder einmal zu wechseln und irgendwo[95] anders als ganz neue Erscheinung aufzutauchen, ja wenn sich ein Anlaß bot, sogar den Namen noch einmal zu ändern, den ich unter meinen schlimmen Genossen angenommen.
Diese Absicht teilte ich meiner vertrauten Freundin, der Gattin des Kapitäns, mit, der ich so treulich in ihrer Heiratsangelegenheit beigestanden hatte, und die mir gern einen Gegendienst erweisen wollte. Ich nahm keinen Anstand, ihr meine Lage ganz klar auseinanderzulegen: Mein Kapital wäre sehr zusammengeschmolzen, denn ich hätte aus dem letzten Zusammenbruch nur 540 Pfd. gerettet und davon schon einiges verbraucht; immerhin blieben mir noch 460 Pfd., eine Menge sehr reicher Gewänder, eine goldene Uhr, einige wenn auch nicht sehr wertvolle Juwelen und etwa 30 oder 40 Pfd. in noch nicht verkauftem Leinen.
Meine liebe und treue Freundin, die Kapitänsfrau, war mir für den Dienst, den ich ihr erwiesen, so dankbar, daß sie mir nicht nur eine verläßliche Freundschaft bewahrte, sondern, nachdem sie meine Verhältnisse erfahren, mir auch häufig Geldgeschenke machte, und zwar so große, daß ich meinen Unterhalt vollständig von ihnen bestreiten konnte und mein kleines Kapital nicht weiter anzugreifen brauchte. Zum Schluß machte sie mir dann noch folgenden, wie sich allerdings in der Folge zeigen sollte, unglückseligen Vorschlag: Da wir gesehen hätten, daß kein Mann sich ein Gewissen daraus mache, sich, ohne es zu sein, als eine respektabele Persönlichkeit hinzustellen, die eine Frau mit Vermögen verlangen könne, so sei es nur gerecht, wenn man umgekehrt ihnen einmal geradeso mitspiele und wenn möglich diese Betrüger betrüge.
Kurz, die Kapitänsgattin setzte mir einen solchen Plan in den Kopf und sagte, wenn ich ihr folge, so wolle sie mir gewiß einen vermögenden Gatten verschaffen, und zwar so, daß er keinen Anlaß haben solle, mir hernach meine Besitzlosigkeit vorzuwerfen. Ich entgegnete ihr, auf diese Aussicht hin überlasse ich mich vollständig ihrer Leitung, und ich wolle[96] von jetzt ab meine Stimme nur so zum sprechen und meine Füße nur so zum gehen gebrauchen, wie es ihr recht sei – das heißt, wenn sie mich aus jeder Schwierigkeit, in die sie mich bringe, auch wieder herausziehen wolle; was sie mir versprach.
Das erste war, daß ich sie Base nennen und mich in das Haus eines angeblichen Verwandten begeben mußte, in dem sie mich bald darauf mit ihrem Gatten besuchte; sie nannte mich ebenfalls Base und drehte die Sache so, daß ihr Gatte von selbst und dann auch sie mich dringend einluden, doch einige Zeit in ihrem Viertel, ja in ihrem Hause zuzubringen, sie wohnten jetzt nämlich in einer ganz anderen Gegend als früher. Hierauf erzählte sie ihrem Gatten, ich habe ein Vermögen von wenigstens 1500 Pfd. und dereinst noch viel mehr zu erwarten. Dies genügte bei ihrem Gatten, und ich selbst brauchte nichts mehr zu sagen. Ich konnte still sitzen bleiben und die Ereignisse abwarten; denn bald wußte die ganze Nachbarschaft, daß die junge Witwe bei dem Kapitän eine »Partie« sei und wenigstens 1500 Pfd. im Vermögen und noch viel mehr zu erwarten habe; der Kapitän habe es selbst gesagt; und wenn man nun den Kapitän nach mir fragte, so bestätigte er dies Gerücht ganz unbedenklich, obwohl er keine anderen Beweise dafür hatte, als die Worte seiner Frau; doch wollte er damit nichts unrechtes tun, denn er glaubte es selbst. Der Ruf meines Vermögens beglückte mich nun bald mit zahlreichen Bewunderern, (so daß ich die Auswahl hatte) wenigstens nannten sie sich selbst so, und das bestätigt nur, was ich vorhin des öfteren sagte. Ich hatte bei dem verzwickten Spiel, das ich spielte, nichts weiter zu tun, als mir ganz einfach den für meinen Zweck geeignetsten Mann herauszusuchen, das heißt denjenigen, der sich am wahrscheinlichsten nur vom Hörensagen von der Existenz meines großen Vermögens überzeugen ließ und keine Einzelheiten wissen wollte. Wenn ich mich freilich in der Person irrte, war alles vergebens, denn meine Verhältnisse[97] erlaubten ja durchaus kein Eingehen auf Einzelheiten.
Ohne viel Schwierigkeit fand ich aber bald einen solchen Mann heraus; wenigstens schien es mir nach der Art und Weise, in der er mir den Hof machte, der richtige zu sein. Ich ließ ihn all die üblichen Beteuerungen herunter deklamieren: daß er mich über alles in der Welt liebe und daß es ihm genüge, wenn ich ihn nur glücklich machen wolle – was er aber natürlich blos in der Annahme sagte, daß ich sehr reich sei, obgleich ich selbst es nie auch nur angedeutet hatte.
Ja, das war der richtige Mann für mich, doch mußte ich mir durch und durch Klarheit über ihn verschaffen, das verlangte meine eigene Sicherheit von mir; denn wenn er später versagte, war ich hereingefallen, so sicher wie er angeleimt war, wenn er mich nahm; und wenn ich mich nicht nach seinem Vermögen erkundigte, so ließ ich ihm zuviel Zeit, sich nach dem meinen umzusehen. Ich tat zuerst, als zweifelte ich an seiner Aufrichtigkeit und sagte, er mache mir wohl nur den Hof um meines Vermögens willen; er aber verschloß mir mit einem Schwall von Beteuerungen den Mund; doch ich blieb noch immer bedenklich.
Eines Morgens zog er seinen Diamantring vom Finger und schrieb auf das Glas meiner Fensterscheibe:
Dich liebe ich, Dich ganz allein.
Ich las es, bat ihn, mir den Ring zu leihen und schrieb darunter:
Das redet der Liebende stets uns ein.
Er nahm den Ring wieder und kritzelte weiter:
Tugend wiegt mehr als Geld und Gut
Ich entlieh den Ring wieder und setzte hinzu
Doch Geld ist Tugend, Gold macht gut.
Er wurde feuerrot, als er sah, wie schnell ich ihm parierte, und fast wütend sagte er, er werde mich doch besiegen und schrieb weiter:
Ich verachte Dein Geld und liebe Dich doch.
Ich wagte nun alles in der letzten Zeile unserer Poeterei und vollendete kühn:
Ich bin arm; laß sehen – hält die Liebe noch?
[98]
Da stand nun die ganze traurige Wahrheit, doch konnte ich nicht sagen, ob er mir glaubte oder nicht; ich vermutete natürlich, daß es nicht der Fall war. Jedenfalls aber sprang er auf mich zu, nahm mich in seine Arme, küßte mich in größter Leidenschaftlichkeit und ließ mich eine ganze Weile nicht wieder los, bis er endlich Feder und Tinte verlangte – wobei er sagte, es sei ihm zu langweilig auf Glas zu schreiben – ein Stück Papier hervorzog und wieder schrieb:
Mit aller Armut komm, sei mein.
Ich nahm die Feder und antwortete sogleich:
Du hoffst, es wird nicht wirklich sein.
Er sagte mir darauf, das sei nicht lieb von mir, weil es nicht gerecht und nicht wahr sei; ich zwinge ihn unaufhörlich, mir zu widersprechen, was gegen alle Höflichkeit verstoße und da ich ihn nun einmal zu diesem poetischen Gekritzel veranlaßt habe, möge ich ihm gestatten, auch noch ein wenig fortzufahren. Und so schrieb er wieder:
Laß Lieb allein des Streites Kernpunkt sein.
Und ich setzte darunter:
Die liebt genug, die schweigend willigt ein.
Das nahm er für ein großes Entgegenkommen und legte die Feder hin. Es war in der Tat, von mir aus, wenn er alles gewußt hätte, ein großes Zugeständnis; er nahm es jedoch auf, wie ich es meinte, das heißt, es veranlaßte ihn, zu glauben, daß ich sehr geneigt sei, in nähere Beziehung zu ihm zu treten, was auch der Fall war, und wozu ich allen Grund hatte, denn er war der lustigste und gutmütigste Bursche, den ich je angetroffen, und ich machte mir doch oft Gedanken, wie verbrecherisch es sei, gerade einen solchen Mann zu betrügen; doch die Notwendigkeit, in der ich mich befand, mir eine Daseinsmöglichkeit zu schaffen, mußte mir immer als Berechtigung und Ausrede dienen, und so sehr seine Gutmütigkeit und seine Zuneigung zu mir mich davon hätten abhalten müssen, ihn zu betrügen, ebenso sehr verleiteten sie mich auch wieder dazu, und bestärkten mich in der Annahme, daß er die Enttäuschung, die ich ihm bereiten mußte, besser[99] aufnehmen werde, als irgend ein Heißsporn, den weiter nichts empfehlen konnte, als jene Leidenschaften, die doch nur dazu dienen, eine Frau unglücklich zu machen.
Übrigens – wenn er auch annehmen mußte, ich habe mit ihm nur über meine Armut gescherzt, so hatte er sich doch selbst jeden Einwand abgeschnitten, indem er sowohl im Scherz, als im Ernst erklärte, er wolle mich, ohne jeden Gedanken an meine Mitgift, zur Frau, so wie ich war, und ich hatte darauf hin so oft erklärt, ich sei arm, daß er einfach fest saß ... und wenn er später auch vielleicht sagen mochte, er sei betrogen worden, so konnte er doch nie behaupten, ich habe ihn betrogen.
Er bewarb sich nun immer dringender um mich, und ich sah, daß ich keine Furcht zu haben brauchte, er werde wieder abspringen. Trotzdem spielte ich länger die Spröde, als die Klugheit wohl sonst hätte ratsam erscheinen lassen; aber ich war mir bewußt, wie sehr diese Vorsicht der scheinbaren Gleichgültigkeit mir zu nutze kommen mußte, wenn er später meine wahren Verhältnisse erfuhr und ich ließ mich nur um so zögernder erobern, als ich fand, daß er aus diesem Umstande schloß, ich habe noch mehr Geld, als er zuerst angenommen und wolle nicht so ohne weiteres alles wagen.
Eines Tages sagte ich ihm dann, ich gedächte, nachdem er mir als rechter Liebhaber gesagt, er nehme mich, ohne sich um mein Vermögen zu kümmern, gleiches mit gleichem vergelten und mich auch nicht nach seinen Verhältnissen erkundigen, wenigstens nicht mehr, als der gesunde Menschenverstand unumgänglich nötig erscheinen lasse. Er möge mir nur einige Fragen beantworten, die er aber auch nach Gutdünken übergehen könne; eine dieser Fragen sei, wie und wo er zu leben beabsichtige. Ich habe gehört, er besitze eine große Plantage in Virginia, es entspreche jedoch nicht meinen Wünschen, nach dorthin auszuwandern.
Er nahm diese Worte zum Anlaß, um mir freiwillig einen offenen Blick in seine Verhältnisse[100] zu gestatten, und ich hörte, daß er sehr gut in der Welt dastehe, daß jedoch der größte Teil seines Vermögens in drei Plantagen in Virginia festgelegt sei, die ihm ungefähr 300 Pfd. das Jahr einbrächten, aber unbedingt viermal soviel abwerfen würden, wenn er sie selbst bewirtschaften könnte.
»Sehr schön,« dachte ich bei mir, »da sollst du mich so bald wie möglich hinbringen.«
Doch sagte ich einstweilen noch nichts davon. Ich zog ihn im Gegenteil mit einer Beschreibung seiner Person als Farmer in Virginia auf; und als ich genugsam festgestellt, daß er später doch alles tun werde, was ich wollte, ging ich zu einem andern Gespräch über und sagte, ich hätte nun aber um so weniger Luft, mit ihm auszuwandern, denn mein Vermögen passe durchaus nicht zu einem Herrn, der 1200 Pfd. Jahres-Einkommen habe.
Er erwiderte nochmals, er frage ja gar nicht nach meinem Vermögen, das habe er mir von Anfang an gesagt, und er sei ein Mann von Wort; doch wie immer es sich damit auch verhalte, er versichere mir nochmals, er werde nie den Wunsch ausdrücken, mich nach Virginia zu bringen, oder selbst dahin zu gehen, wenn es nicht auch meine Absicht wäre.
Diese Wendung war natürlich, wie Sie sich denken können, sehr nach meinem Wunsch, und es hätte mir nichts angenehmeres passieren können; doch behandelte ich ihn noch weiter mit einer Gleichgültigkeit, über die er sich oft wunderte. Ich erwähne dies um so lieber, als ich den Frauen dadurch wieder zeigen kann, daß nur der Mangel an Mut zu solch einer Gleichgültigkeit unser Geschlecht so niedrig im Preise stellt und daran schuld ist, daß wir so oft übel behandelt werden. Wagten sie einmal irgend einen Gecken von Liebhaber, der das beste Weib für sich gerade für gut genug hält, einfach fallen zu lassen, dann würde man gewiß nicht immer so leicht mit ihnen umspringen und sich mehr um sie bemühen. Hätte ich meinem Liebhaber jetzt wirklich entdeckt, daß mein ganzes Vermögen nicht einmal volle 500 Pfd. betrug, da er doch 1500 erwartete, so hätte[101] er doch nicht mehr zurückhaken können, sondern mich auch unter noch schlimmeren Umständen nehmen müssen, so fest hatte ich ihn schon am Bändel. Als er später die Wahrheit erfuhr, war er denn auch in der Tat weniger überrascht, als er es sonst vielleicht gewesen. Mir konnte er auch nicht den geringsten Vorwurf machen, denn ich hatte ihn bis zum Schluß in keiner Weise gelockt, sondern stets gleichgültig behandelt. So konnte er denn kein Wort sagen, als höchstens: er habe doch erwartet, es sei mehr; doch, wenn es auch noch weniger gewesen, er würde seinen Antrag nicht bereuen; nur sei er jetzt nicht imstande mich ganz so vornehm, wie er gewollt, zu unterhalten.
Kurz, wir verheirateten uns, und zwar sehr glücklich, denn er war der beste Mann, den sich eine Frau nur wünschen konnte. Immerhin waren seine Verhältnisse nicht ganz so günstig, wie ich erwartet. Gleich nach der Hochzeit mußte ich ihm nun also, wie ich schon andeutete, meine Vermögensverhältnisse klarlegen; das ließ sich nun nicht länger mehr aufschieben, und ich nahm denn auch die erste günstige Gelegenheit wahr, als wir uns eines Tages in bester Stimmung allein befanden, um ein kurzes Gespräch mit ihm zu beginnen.
»Mein Lieber,« sagte ich zu ihm, »wir sind nun vierzehn Tage verheiratet und es ist an der Zeit, dir zu sagen, ob du eine Frau ohne Eigentum genommen oder nicht.«
»Da hat ja noch immer gute Weile,« entgegnete er, »ich bin zufrieden, daß ich die Frau gefunden habe, die ich liebe; ich habe dich noch nie,« fuhr er fort, »mit irgend welchen Fragen danach belästigt.«
»Das ist wahr,« entgegnete ich, »doch wird es mir recht schwer, mit dir darüber zu sprechen, ich weiß kaum, wie ich es anfangen soll.«
»Wieso, meine Liebe?« fragte er.
»Nun,« sagte ich, »es wird mir hart ankommen und dir vielleicht noch härter. Man hat mir nämlich gesagt, daß der Kapitän (ich nannte den Gatten meiner Freundin) dir eine viel größere Summe genannt,[102] als ich je besessen, trotzdem ich nie mit ihm über meine Verhältnisse gesprochen.«
»Und wenn mir der Kapitän auch so etwas gesagt haben sollte, was tut das?« meinte er. »Wenn du nicht so viel hast, so hat er eben Unrichtiges behauptet. Und da du mir nie gesagt, was du hast, könnte ich dich nicht tadeln, wenn du überhaupt nichts hättest.«
»Du bist so gerecht und großmütig,« entgegnete ich, »daß ich nur doppelt betrübt sein kann, so wenig einzubringen.«
»Je weniger du hast, meine Liebe, desto schlimmer für uns beide,« antwortete er, »aber ich hoffe, du bist nicht deshalb betrübt, weil du fürchtest, ich werde ungehalten sein, daß du keine Mitgift mitbringst; nein, nein, wenn du nichts hast, so sage es nur gerade heraus. Ich kann vielleicht dem Kapitän sagen, er habe mich belogen, doch konnte ich nie behaupten, du habest es getan, denn da du mir oft zu verstehen gegeben, du seist arm, konnte ich ja nichts anderes erwarten.«
»Nun, mein Lieber,« entgegnete ich, »ich bin nur froh, daß du selbst einsiehst, daß ich dir nicht mit falschen Vorspiegelungen gekommen bin; wenn ich jetzt deine Annahme wieder nicht rechtfertige, so ist es diesmal nicht zum schlimmen; daß ich arm bin, ist wahr, doch bin ich nicht so arm, daß ich überhaupt nichts besitze.« Mit diesen Worten zog ich ein paar Banknoten heraus und übergab ihm etwa 160 Pfd. »Und das ist noch nicht alles,« fügte ich hinzu.
Ich hatte ihm, durch alles, was ich vorher gesagt, so nahe gelegt, garnichts zu erwarten, daß diese Summe, so klein sie war, doppelt willkommen kam. Er sagte mir denn auch, das sei ja mehr, als er gehofft, er habe nach meiner Rede schon geglaubt, meine reichen Kleider, die goldene Uhr und einige Diamantringe sei all mein Eigentum.
Nun ließ ich ihn sich zwei oder drei Tage mit den 160 Pfd. begnügen. Dann, als ich einmal gerade von einem Ausgange zurückkehrte, auf dem ich[103] sie geholt haben konnte, brachte ich ihm weitere 100 Pfd. in Gold und sagte dabei: da ist noch ein kleines Kapitälchen für dich. Eine Woche später gab ich ihm noch einmal 180 Pfd. und das Leinen im Werte von 60 Pfd. und machte ihn glauben, daß ich es mit den 100 Pfd. in Gold für eine Schuld von 600 Pfd. hätte annehmen müssen: mein Gläubiger habe Bankrott gemacht und mir nur fünf Schilling auf das Pfund herausbezahlen können.
»Und nun, mein Lieber,« sagte ich, »muß ich dir leider mitteilen, daß ich dir mein ganzes Vermögen übergeben habe,« ich ließ ihn jedoch durchblicken, wenn die Person, der ich die 600 Pfd. geliehen, mich nicht so übel behandelt habe, so hätte ich ihm 1000 Pfd. eingebracht. So aber habe ich nichts anderes tun können, als ihm ehrlich, alles was ich noch besaß, zu übergeben. Wäre es mehr gewesen, so sollte er es auch bekommen haben.
Er war so erfreut über mein Benehmen und die Summe, daß er sie sehr dankbar annahm, denn er hatte doch schon Furcht gehabt, ich bringe ihm überhaupt nichts ein. So wandte ich also meinen Betrug, mich für eine gute Partie ausgegeben und mir dadurch einen Mann verschafft zu haben, zum besten; immerhin halte ich dies Vorgehen für den gefährlichsten Schritt, den eine Frau tun kann, weil sie die größte Gefahr läuft, in der Ehe dafür schlecht behandelt zu werden.
Mein Gatte freilich war unendlich gutmütig, doch, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er war auch Geschäftsmann. Und als er sich nun sagen mußte, daß sein Einkommen zu der Lebensweise, die er, wenn er die gewünschte Mitgift erhalten, beabsichtigt hatte, nicht paßte, und auch aus den Plantagen in Virginia nicht die gewünschten Einkünfte erhielt, drückte er sehr oft den Wunsch aus, selbst hinüber zu gehen, um auf seinen eigenen Besitzungen zu leben, und sehr oft pries er die billige, üppige und fröhliche Lebensweise dort.
Ich begann zu verstehen, worauf er hinauswollte und redete ihn eines Morgens gerade heraus[104] darauf hin an: auch ich fände, daß seine Güter lange nicht das einbrächten, was sie abwerfen könnten, wenn er sie selbst bewirtschafte und daß ich wohl verstehe, daß er wünsche, dort hinüberzugehen und da zu leben; daß ich mir auch sage, nachdem er mit seiner Frau in etwas eine Enttäuschung erlitten, sei es nur gerecht, wenn sie ihm dafür einen Ersatz biete, kurz, ich sei willens, mit ihm nach Virginia zu gehen und dort zu leben.
Er sagte mir tausend liebe Worte auf diesen Vorschlag hin und entgegnete: wenn er sich bezuglich meines Vermögens enttäuscht sähe, so habe ihn doch seine Frau selbst durchaus nicht enttäuscht – sagte, daß ich ihm alles sei, was eine Frau einem Manne nur sein könne, und daß mein Anerbieten liebenswürdiger von mir wäre, als er Worte habe, seinen Dank auszusprechen.
Um kurz zu sein: wir beschlossen also, überzufahren. Er schilderte mir noch, daß er ein sehr gut möbliertes Haus dort unten habe, in dem seine Mutter wohne und seine Schwester, die einzigen Verwandten, die er besitze. Sie würden jedoch, sobald er mit seiner jungen Frau ankomme, in ein anderes Haus ziehen, das ihnen gehöre und nach ihrem Tode ihm zufalle, so daß ich Herrin in meinem eigenen Hause sein würde.
Ich fand später auch alles so, wie er gesagt.
Wir ließen nun viele gute Möbelstücke aus unserer Wohnung an Bord des Schiffes schaffen, mit dem wir überfahren wollten, sowie gute Vorräte an Leinen und anderen notwendigen Dingen, die wir dort unten trefflich verkaufen konnten. Und fort ging es.
Ausgewählte Ausgaben von
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
|
Buchempfehlung
»Was soll ich von deinen augen/ und den weissen brüsten sagen?/ Jene sind der Venus führer/ diese sind ihr sieges-wagen.«
224 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro