Anfang der Geschichte

[11] Schon waren Jahre verflossen, und Mirzoza blieb Mangoguls Geliebte. Die Liebenden hatten sich alle jene Phrasen gesagt und tausendfältig wiederholt, die selbst den geistreichsten Leuten eine heftige Leidenschaft eingibt. Sie waren bis zur Vertraulichkeit gekommen und hätten es für Sünde[11] gehalten, sich den geringfügigsten Umstand ihres Lebens zu verheimlichen. Sonderbare Fragen wie: »hätte der Himmel, der mich auf den Thron setzte, mich im Staube geboren werden lassen, wären Sie zu mir herabgestiegen? Hätte Mirzoza mich dennoch mit ihrer Liebe gekrönt?« »Wenn Mirzoza ihre geringen Reize verlöre, würde Mangogul sie immer lieben?« Derartige Fragen, sag' ich, die Liebende von Erfindungsgabe im Scharfsinn üben, nicht selten sogar empfindsame Liebende entzweien und die aufrichtigsten Liebenden gar oft zu Lügen verleiten, waren für sie schon verbraucht. Die Favorite, eine große Meisterin in der so notwendigen und seltenen Kunst gut zu erzählen, hatte die Skandalgeschichten von Banza bereits erschöpft. Da sie nicht viel Temperament besaß, so war sie nicht immer aufgelegt, des Sultans Liebkosungen zu empfangen, noch der Sultan immer gelaunt, ihre dergleichen anzutragen. Kurz, es gab Tage, wo Mangogul und Mirzoza nichts zu reden, beinahe nichts zu tun hatten, und, ohne sich[12] darum weniger zu lieben, sich schlecht unterhielten. Solche Tage waren selten, ader es gab ihrer doch, und so einer grade war es.

Der Sultan lag nachlässig auf einem Lehnstuhl, der Favorite gegenüber. Sie häkelte und sprach kein Wort dabei. Eine Spazierfahrt erlaubte das Wetter nicht. Mangogul mochte keine Piquetpartie vorschlagen; und diese verdrießliche Stimmung dauerte fast eine Viertelstunde, als der Sultan nach häufigem Gähnen anfing: »Man muß gestehn, Geliotte sang wie ein Engel!« »Und Ihrer Hoheit wird die Zeit zum Sterben lang,« setzte die Favorite hinzu. »Nein, Madame,« erwiderte der Sultan, und gähnte nur halb, »der Augenblick, in dem man Sie sieht, gehört niemals der Langeweile.« – »Das wäre ja beinahe galant gewesen! Aber Sie träumen, Sie sind zerstreut, Sie gähnen; was fehlt Ihnen, Fürst?« – »Ich weiß nicht,« sagte der Sultan. »Ich errate es«, fuhr die Favorite fort: »Ich war achtzehn Jahr alt, da ich das Glück hatte, Ihnen zu gefallen. Sie lieben mich seit vier Jahren. Achtzehn und vier[13] sind zweiundzwanzig. Ich bin freilich sehr alt.« Mangogul lächelte über die Rechnung. »Wenn ich denn also,« setzte Mirzoza hinzu, »für das Vergnügen nichts mehr tauge, so will ich Ihnen wenigstens zeigen, daß guter Rat bei mir zu finden ist. Die Abwechslung aller Freuden um Sie her hat Sie vor Überdruß nicht bewahren können. Ja, Sie sind übersättigt. Das ist Ihre Krankheit, Fürst.« – »Ich gebe nicht zu, daß Sie recht haben,« sprach Mangogul, »aber gesetzt, es wäre so, wüßten Sie ein Mittel dagegen?« Mirzoza bedachte sich einen Augenblick und antwortete dann dem Sultan: Seine Hoheit hätten ihr soviel Vergnügen an den galanten Abenteuern der Stadt zu finden geschienen, daß sie bedaure, nicht mehr davon zu wissen, oder über die seines Hofes nicht besser unterrichtet zu sein; zu diesem Mittel würde sie wieder ihre Zuflucht genommen haben, bis ihr ein besserer Einfall gekommen wäre. »Das halte er auch für gut,« sagte Mangogul, »aber wer weiß die Geschichte aller jener Närrinnen? Und wenn sie jemand[14] wüßte, wer kann erzählen wie Sie?« – »Suchen wir sie nur zu erfahren,« erwiderte Mirzoza, »es mag sie erzählen wer da will, Ihre Hoheit gewinnen sicherlich mehr an Gehalt der Sache, als Sie an der Einkleidung verlieren.« »Ich werde mir,« sagte Mangogul, »wenn Sie wollen, mit Ihnen zusammen die Damen meines Hofes sehr unterhaltsam vorstellen, aber was hilft mir das? Wären sie noch hundertmal mehr, es ist ja unmöglich dahinter zu kommen.« »Es mag schwierig sein,« antwortete Mirzoza, »aber das ist auch alles, denk' ich. Der Genius Cucufa, Ihr Verwandter und Freund, hat größere Wunder getan. Was fragen Sie den nicht um Rat.« – »Freude meines Lebens!« rief der Sultan, »Sie sind bewundernswert. Was der Genius für mich tun kann, das wird er aufbieten. Daran zweifele ich nicht. Gleich verschließ' ich mich in mein Betzimmer und will ihn heraufbeschwören.« Mangogul stand auf, küßte der Favorite linkes Auge, nach der Sitte von Congo, und ging hinaus.

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 11-15.
Lizenz: