II.

[264] Für Praskowja Iwanowna konnte in einem solchen Empfange nichts Überraschendes liegen. Warwara Petrowna hatte ihre ehemalige Pensionsfreundin schon immer, seit den Tagen der Kindheit, despotisch und unter dem Scheine der Freundschaft beinah verächtlich behandelt. Aber im vorliegenden Falle war die Lage noch eine ganz besondere. In den letzten Tagen war es zwischen den beiden Häusern zu einem vollständigen Bruche gekommen, wie ich das auch bereits beiläufig erwähnt habe. Die Ursachen dieses[264] Bruches waren für Warwara Petrowna vorläufig noch ein Geheimnis und infolgedessen um so kränkender; aber die Hauptsache war, daß Praskowja Iwanowna ihr gegenüber ein außerordentlich hochmütiges Benehmen angenommen hatte. Warwara Petrowna fühlte sich selbstverständlich dadurch verletzt, und dabei waren auch bereits gewisse sonderbare Gerüchte zu ihr gedrungen, die sie ebenfalls maßlos aufregten, und zwar gerade durch ihre Unbestimmtheit. Warwara Petrownas Charakter war offen und stolz; sie war eine Draufgängerin, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist. Am allerwenigsten konnte sie geheime, versteckte Anschuldigungen leiden und zog den offenen Krieg immer vor. Wie dem nun auch sein mochte, jedenfalls hatten die beiden Damen einander seit fünf Tagen nicht mehr gesehen. Der letzte Besuch war von Warwara Petrownas Seite erfolgt, die von der »Drosdowschen« tief gekränkt und verstimmt weggefahren war. Ich kann ohne Gefahr eines Irrtumes sagen, daß Praskowja Iwanowna jetzt in der naiven Überzeugung hereinkam, Warwara Petrowna müsse aus irgendwelchem Grunde vor ihr Angst haben; das konnte man schon an ihrem Gesichtsausdrucke sehen. Aber über Warwara Petrownas Herz gewann jedesmal der Hochmutsteufel die Herrschaft, sobald sie auch nur im entferntesten argwöhnen konnte, daß jemand über ihr zu stehen glaubte. Praskowja Iwanowna aber zeichnete sich, wie viele schwächliche Personen, die sich lange ohne Protest haben beleidigen lassen, durch besondere Heftigkeit des Angriffs aus, sobald einmal die Sache eine für sie günstige Wendung nahm. Allerdings war sie jetzt krank, und während einer Krankheit wurde sie stets reizbarer. Ich füge endlich[265] noch hinzu, daß wir alle, die wir uns im Salon befanden, durch unsere Gegenwart die beiden Jugendfreundinnen nicht besonders genieren konnten, falls wirklich ein Streit zwischen ihnen entbrennen sollte; denn wir galten als Familienangehörige und beinahe als Untergebene. Ich erwog das gleich damals nicht ohne Besorgnis. Stepan Trofimowitsch, der sich seit Warwara Petrownas Ankunft nicht wieder hingesetzt hatte, ließ sich kraftlos auf einen Stuhl niedersinken, als er Praskowja Iwanownas Gejammer hörte, und suchte in seiner Verzweiflung meinen Blick aufzufangen. Schatow drehte sich in scharfer Wendung auf seinem Stuhle herum und brummte etwas vor sich hin. Es kam mir so vor, als wolle er aufstehen und weggehen. Lisa hatte sich nur ein klein wenig erhoben, sich aber sogleich wieder zurücksinken lassen und dem Gejammer ihrer Mutter nicht einmal die schuldige Aufmerksamkeit zugewendet, aber nicht infolge ihres »eigensinnigen Charakters«, sondern weil sie sich offenbar ganz im Banne einer anderen mächtigen Empfindung befand. Sie blickte jetzt irgendwohin in die Luft, beinah zerstreut, und wandte selbst Marja Timofejewna nicht mehr die frühere Aufmerksamkeit zu.

Quelle:
Dostojewski, Fjodor: Die Teufel. Leipzig [1920], Band 1, S. 264-266.
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