[26] PICCARDA.
Nichts regt sich im Zimmer Mona Lisas.
Ich pochte – keine Antwort.
DIANORA.
Und sie versprach mir doch,
Zur Aschermittwochsmess' mit mir zu geh'n ...
Sollt mit dem Vater sie ...?
PICCARDA.
Den Domine hört' ich vor Tau und Tag
Die Tore öffnen und das Haus verlassen.
DIANORA.
Wie düster es hier ist, wie still, wie kalt ...
Geh, öffne doch die Fenster –
Und ich lösch das Licht.
Gleich einem Armesünderflämmchen flackert es,
Es kann nicht leben und es kann nicht sterben.
PICCARDA.
Welch trüber Tag! Ein rechter Aschermittwoch.
DIANORA.
Komm', Piccarda! Wir gehen dieweil den Lungarno hinab
Und seh'n nach meinem neuen Boot,
Ob's nicht vielleicht ein übermüt'ger Junge
In Faschingslaune von der Kette löste ...
DIANORA.
Grüner, grüner, blaublühender Rosmarin,
Wie gehen die Tage meiner Jugend hin?
Wie die Blätter an deinem Strauch,
Gleichet ein Tag dem andern auch.
Grüner, grüner, blaublühender Rosmarin,
Warum ist so sehnsuchtsschwer mir der Sinn?
Wie deine Blüten drängen ans Sonnenlicht,
Such' ich die Lieb', die Lieb' – und find' sie nicht.
Grüner, grüner, blaublühender Rosmarin,
Sag', was trag' ich in meinem Herzen drinn?[26]
Wie dein Gezweig das Nest der Amsel trägt,
Also mein Herz getreu das Bild des Liebsten hegt.
Grüner, grüner, blaublühender Rosmarin – –
LISA.
Was ist ... ach so ... zur Messe läuten sie ...
Wie müd' bin ich ... wie müd' ... wie müde ...
Er ist nicht da ... er ist schon auf ... ach, Gott sei Dank ...
Die fürchterliche Nacht! Solch' schauerlicher Traum.
Wie gut ist's, zu erwachen und zu seh'n,
Daß es nichts weiter war – als nur ein Traum.
Ich weiß nicht, wie mir ist ...
Da ... da ...
Das war ja doch kein Traum ... das ist gescheh'n!
Gott! Gott! Jetzt kehren mir die Sinne wieder!
Das ist gescheh'n! In Wirklichkeit gescheh'n!
Ich hab' geschlafen! Ich – ich hab' geschlafen,
Ließ ungenützt die Stunden vergeh'n
Und tat nichts, ihn zu retten ...?
Den Schlüssel ... den Schlüssel ...
Ah ... der ist im Fluß!
Ich war gelähmt vor Schrecken und Entsetzen ...
Ich tat nichts, ihn zu retten, tat nichts!!
Befreien muß ich ihn –
Alles andere gilt mir gleich –
Befreien – –
Giovanni! Giovanni! Höre mich!
Hör' mich ... Giovanni! Giovanni!
Ich bin's – ich Fiordalisa!
Nur einen Augenblick Geduld noch – –
Ich hole Leute, schlag' die Türe ein.
Giovanni! – – Vannino! – Hörst du mich nicht?
Giovanni, gib mir Antwort, um Himmelswillen!
Ruft er nicht?
Giovanni!!
Rührt sich nichts?
Vannino! – Mein Vannino!
Gott, sei barmherzig! – Giovanni – hörst du mich?[27]
CHOR.
Confixa clavis viscera, tendens manus vestigia,
Redemptionis gratia hic immolata est Hostia ...
LISA.
Vannino, ein Wort nur, ich flehe dich an!
Ein Wort nur, ein einziges Wort!
Nichts – – Ich bin bereit, zu folgen dir,
Wohin du willst – – jetzt hab' ich Mut!
In Ewigkeit lass' ich dich nicht, Vannino!!
Nichts – – alles still – – wie im Grab – –
Er ist tot – – – er ist tot – – –
Giovanni ...!
Tot – tot – – tot – – –
FRAUEN-CHOR.
O Crux benedicta,
Quae sola foisti digna
Portare Regem Coelorum
Et Dominum – Alleluia!
DIANORA.
Es wird schon spät – Ich wecke sie –
Mammina, du bist hier?
LISA.
Wer ruft mich?
DIANORA.
Nun, ich! 's ist hohe Zeit!
LISA.
Wozu?
DIANORA.
Mein Gott, zur Aschermittwochsmesse –
Ich wart' schon lange,
Erging mich am Lungarno mittlerweile – –
Und sieh nur, was ich fand in meinem Boot?
Solch' sonderbaren Schlüssel,
Ganz ähnlich dem, wie Vater ihn besitzt
Zum Perlenschrein.
LISA.
Den Schlüssel zum Perlenschrein, sagst du?
DIANORA.
Ich sagt', er sei ihm ähnlich.
LISA.
Wo fand'st du ihn?
DIANORA.
In meinem neuen Boot,
Das, wie du weißt, dort unt' – verankert liegt!
LISA.
Den Schlüssel bringst du? Bringst den Schlüssel?
DIANORA.
Ja, ja –
LISA.
Und bringst ihn mir?[28]
DIANORA.
Gewiß, wenn du ihn willst – –
LISA.
Ob ich ihn will? Ob ich ihn will?
DIANORA.
Ach, Mütterchen, was ist –?
LISA.
Nichts, Töchterchen ... geh' nun zur Messe ... geh'!
Und bet' für mich.
DIANORA.
Du kommst nicht mit?
LISA.
Später komm' ich ...
Zur Predigt ... in den Dom ...
DIANORA.
Nach Santa Maria del Fior!?
Zu Fra Girolamo?
LISA.
Ja, ja – ich komm' ... – –
Er fiel ins Boot ...
Ich brauchte ein paar Schritte zu geh'n
Hätte ihn gefunden!
Und jetzt ...?
Ich bebe ... mir fehlt die Kraft,
Die Tür zu öffnen ...
Giovanni! – – – Nichts – – –
Giovanni! – Giovanni!
Hier ist die Feder – – und ich kenn den Griff – –
Doch ich kann nicht! Kann nicht!
Ich weiß ja, daß er tot – – – – Er!
FRANCESCO.
Sie ist nicht hier? – – Lisa! –
– Was tust du dort?
LISA.
Ich schaue – nach – dem Platz –
FRANCESCO.
Ich dachte, in Verzweiflung sie zu finden,
Und sie »schaut nach dem Platz ...?«
Ein trüber Tag ... ich bin schon zeitig fort –
Bei Messer Salviati war ich – –
Die Perle ihm zu bringen. – – –
Ich nahm sie dir des Nachts.
Doch er – war nicht daheim – –
Ein Liebesabenteuer
Hat ihn wohl festgehalten –
Vielleicht auch ließ er sich in einen Handel ein,
Der schlecht für ihn verlief ...?
Der schöne Salviati![29]
Der schöne glatte Schurke! –
Kurzum, er kam nicht heim.
Sie lächelt ...?
LISA.
Sieh, was ich hier habe.
FRANCESCO.
Das ist ja – mein Schlüssel ...?
LISA.
Ja – zu dem Perlenschrein.
FRANCESCO.
Unmöglich! Den warf ich selbst –
LISA.
In den Arno wohl – doch fiel er
In Dianoras Boot – man bracht' ihn mir ...
FRANCESCO.
Wann? Wann?
LISA.
Nun – ganz kurz nachdem du mich verlassen hast.
FRANCESCO.
Wer brachte ihn?
LISA.
Das Mädchen – – Piccarda –
Spät kam sie heim – es war ja Karneval! – –
FRANCESCO.
So hat sie ihn befreit? So lebt er noch?
Darum lächelt sie so höhnisch?
Gib den Schlüssel!
LISA.
Ja doch. Mir ist er nicht von Wert,
Du weißt, ich frag' nicht viel nach deinen Perlen.
Und eben fällt mir ein,
Ich hab' heut' Nacht die Schnüre nicht getragen,
Die für Madonna Borgia bestimmt.
Gib sie heraus, ich lege sie gleich an,
Daß sie an Glanz gewinnen.
FRANCESCO.
Er lebt! Er lebt!
LISA.
Was zögerst du?
So gib mir doch die Perlen.
FRANCESCO.
Ich bin ganz irre an der Welt – an mir –
Wie war's denn nur?
War er vielleicht – gar nicht dort drinn?
Ich sah ihn doch ...
Wie? Nein, ich sah ihn nicht ...
Hat mich die Eifersucht genarrt,
War ich vom Wein benommen?
War's eine Täuschung?
Könnt' sie so lächeln, unschuldvoll und sanft,
Wenn ich ihr das getan? – Ich bin ganz irre –
LISA.
Nun?[30]
FRANCESCO.
Ja, ja, die Perlen der Lukretia
Ich – hole sie – –
Ah!!
LISA.
Was siehst du? Schlich sich ein Schurke ein?
So fass' ihn, sonst raubt er dir die Perlen.
FRANCESCO'S STIMME.
Lisa! Lisa!
LISA.
So! so! Hab' ich dich!
So! so! Halt ich dich!
Hahahahahaha!
Nur einen Augenblick genoß ich ein Glück,
Und du straftest mich mit der Hölle Qualen
Jetzt geb' ich zehnfach sie dir zurück,
Jetzt sollst du zehnfach mir bezahlen!
Hat dich mein Lächeln berückt?
Bist in die Falle gegangen?
Ist mir der Fang geglückt?
Hab' ich dich gefangen?
Hahahahahaha!
Den Teufel hast du in mir geweckt,
Den Dämon hast du beschworen,
Der in jedem Weibe steckt,
Der mit dem ersten Weib geboren!
Hast mich gelehrt die Wollust der Gefahr,
Hast mich gelehrt, mit Entsetzen zu spielen,
Hast ertötet in mir, was menschlich war,
Sollst nun meine teuflische Rache fühlen!
Den Schlüssel – verstecken – –
Niemand – niemand – entdecken – –
Ah – kühl – kühl – tut wohl – tut wohl – –
Zu Fra Girolamo will ich geh'n ...
Der predigt so schön ...:
Untergang ist dir geschworen!
»Pest, Krieg vor deinen Toren – –
Die Höll' ist los! Die Höll' ist los!«
Tut Buße! Tut Buße!
O Gott! Erbarmen!
Misericordia! – Misericordia!
DER LAIENBRUDER.
...Das war des Dramas Ende,
Das End' der Faschingsnacht![31]
DIE FRAU.
Und – Mona Lisa?
DER BRUDER.
Von ihr gibt die Chronik fürder keine Kunde,
Ihr Name ist verklungen
Seit jener Stunde.
Einzig ihr Bildnis lebt
Und zwingt noch heut' die Herzen in den Bann.
Das Haus der Greuel erbten später
Die Brüder der »Certosa«,
Und sie verwalten es
Zu Nutzen einer frommen Stiftung.
DIE FRAU.
Nehmt – mein Bruder –
Laßt eine Messe lesen
Für's Seelenheil der armen Mona Lisa!
DER FREMDE.
Der armen?
Wir danken, Bruder.
DER BRUDER.
Wer bist du? – – – Eva?
Magdalena? – Bath-Seba? – – Versucherin!
Mona – Lisa! – – Mona – Lisa!
Ende
[32]
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